Am 10. August 2021 hat die Kommission eine Beihilfe iHv. 550 Mio. € für die Deutsche Bahn genehmigt. Vorausgegangen war diesem Beschluss ein monatelanges zähes Ringen.
Im Ring standen dabei die Bundesregierung und die EU-Kommission, von der Seitenlinie unterstützt durch die Deutsche Bahn. Aber auch das Netzwerk der Europäischen Eisenbahn e.V. (NEE) hat sich als Sprachrohr der Wettbewerber in den Ring geworfen.
Zunächst stand eine Kapitalerhöhung zugunsten der Deutschen Bahn iHv. 5 Mrd. € im Raum. Normalerweise wäre dieser Betrag vom staatlichen Gesellschafter „beihilfefrei“ unter Anwendung des Market-Operator-Tests (MEOT) gewährt worden. Die Corona-bedingten Eindämmungsmaßnahmen haben jedoch auch den Bahnsektor erheblich getroffen. Mit einem Rückgang des Fahrgastaufkommens auf ein Drittel im Vergleich zum Vorjahreszeitraum sind nicht nur die Verluste gestiegen, sondern auch die Renditeerwartungen erheblich geschmälert worden. Daher musste also vom Vorliegen einer Beihilfe ausgegangen werden und es stellte sich die Frage nach einer Genehmigungsgrundlage.
Naheliegend schien zunächst der Temporary Framework, der seit seiner 4. Änderung vom 13. Oktober 2020 auch Regelungen für die Genehmigung von Rekapitalisierungsmaßnahmen zugunsten staatlicher Unternehmen enthält (Blogbeitrag vom 25.11.2020). Die Genehmigung ist allerdings mit erheblichen Auflagen verbunden. Die Verbindung einer Beihilfegenehmigung mit Auflagen wurde dabei jedoch nicht nur von der Kommission gefordert. Wie einem Schreiben vom 18. August 2020 an die Wettbewerbskommissarin Margrethe Vestager zu entnehmen ist, befürchtete der NEE durch eine Eigenkapitalerhöhung zugunsten der Deutschen Bahn eine erhebliche Verfälschung des Wettbewerbs. Dies insbesondere deshalb, da der erforderliche Verlustausgleich der Bahn nicht allein auf die Auswirkungen der Corona-Pandemie zurückzuführen sei, sondern vielmehr auf strukturelle Probleme des Konzerns bereits vor der Krise.
Der Presse ist zu entnehmen, dass es bei der Diskussion um Auflagen zur Reduzierung der Wettbewerbsbeeinträchtigung neben dem Verzicht des Managements auf Bonuszahlungen u.a. auch um Vorschläge wie den Verkauf alter Waggons der Bahn an Wettbewerber oder die Öffnung der Buchungs-App der Deutschen Bahn für Dritte ging. Die Auflagen waren für die Deutsche Bahn nicht akzeptabel, so dass auf Grundlage des Temporary Frameworks keine Lösung gefunden werden konnte.
Als Grundlage für eine Genehmigung wurde nunmehr Art. 107 Abs. 2b AEUV herangezogen – wie der Beschluss der Kommission vom 10. August 2021 zeigt (siehe Pressemitteilung der Kommission vom 10. August 2021).
Bereits zu Beginn der Corona-Pandemie hat die Kommission in einer Handreichung die Corona-Krise als ein „außergewöhnliches Ereignis“ iSd. Art. 107 Abs. 2b AEUV eingestuft und damit den Anwendungsbereich dieser Norm eröffnet (siehe Blogbeitrag vom 24.03.2020). Auf Grundlage von Art. 107 Abs. 2b AEUV konnten seither Mitgliedstaaten durch die Corona-Pandemie verursachte Schäden ausgleichen. Die Beihilfen sind dabei auf den Ausgleich der Schäden begrenzt, die durch Corona entstanden sind und durch die Pandemie unmittelbar verursacht wurden. Die Beihilfeintensität kann dabei bis zu 100% betragen. Erforderlich ist jedoch die Vereinbarung eines Rückzahlungsmechanismus für den Fall der Überkompensation.
Auf Grundlage eines vermutlich „streckenscharfen Verlustnachweises“ hat die Kommission auf Grundlage von Art. 107 Abs. 2b AEUV daher einen Schadensausgleich für die Schäden der DB Fernverkehr während des ersten Lockdowns genehmigt. Die entstandenen Verluste der DB Fernverkehr hatte die Deutsche Bahn als Muttergesellschaft auf Grundlage eines Gewinnabführungs- und Verlustübernahmevertrages Ende 2020 übernommen. Die Entscheidung der Kommission bezieht sich auf den Schadensausgleich im Hinblick auf Corona-bedingte Ausfälle von Inlandsfahrten auf den Zeitraum vom 16. März bis 7. Juni 2021 und hinsichtlich internationaler Bahnreisen auf die Zeit vom 16. März bis zum 30. Juni 2021.
Bei der Bemessung der Höhe der Ausgleichsleistungen wird im Übrigen auch die Ermäßigung der Wegeentgelte für Personenbahnverkehre zu berücksichtigen sein. Diese Regelung hatte die Kommission bereits am 30. Juli 2021 genehmigt (Staatliche Beihilfe SA.63635). Begünstigt wird durch diese Regelung nicht nur die Deutsche Bahn, sondern die gesamte Branche.
Im Ergebnis ist festzustellen, dass die Kommission die Hürde für Rekapitalisierungsmaßnahmen unter dem Temporary Framework sehr hoch gelegt hat – das durfte ja bereits die Lufthansa erfahren (siehe Blogbeitrag vom 01.07.2020). Der Weg über den Schadensausgleich des Art 107 Abs. 2b AEUV mag zunächst steiniger erscheinen („Streckenscharfer Verlustnachweis“), ist im Ergebnis aber sicherlich schmerzloser. Im Übrigen ist jedoch davon auszugehen, dass dies nur der erste Streich der Deutschen Bahn in Sachen Corona-Beihilfe gewesen sein dürfte. Auch andere Tochtergesellschaften der Deutschen Bahn wie z.B. DB-Cargo sind erheblich von der Pandemie getroffen worden und dürften ebenfalls einen Ausgleich fordern.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner