Unter dem weniger prätentiösen Titel Neuausrichtung des Beihilferechts in der industriepolitischen Zeitenwende? diskutiert am Montag der Berliner Gesprächskreis zu Europäischen Beihilfenrecht Wege aus der (eingebildeten?) Sinnkrise.
Die beihilferechtliche Landschaft zeigt derzeit folgendes, zugegeben subjektives Bild: Große Vorhaben werden von der Kommission in einem aufwändigen, Ressourcen bindenden Verfahren genehmigt. Großvorhaben scheitern nicht am Beihilfeverbot, pro forma wird jedoch ein kompliziertes Verfahren durchgeführt, das Behörden und damit den Steuerzahler stark belastet (und den Beratern Arbeit gibt 😉). Der Verfahrenskodex der Generaldirektion Wettbewerb zu den 5 Phasen eines wichtigen Projekts von gemeinsamem europäischem Interesse sei hier exemplarisch genannt.
Kleinvorhaben, wie z.B. die die Förderung der Dachbegrünung von Kitas, werden zwar nicht der Kommission vorgelegt, bedürfen aber insbesondere bei international tätigen Kitaträgern, der Prüfung, ob überhaupt eine Beihilfe vorliegt, und wenn ja, welcher AGVO-Freistellungstatbestand einschlägig sein könnte oder ob doch auf die De-minimis-Verordnung zurückgegriffen werden sollte, wenn erst mal geklärt ist, welche Einrichtungen des international tätigen Kitaträgers dem „einzigen Unternehmen“ zuzurechnen sind. Es drängt sich der Eindruck auf, dass Kleinvorhaben einer strengeren Beihilfenkontrolle als Großvorhaben unterliegen.
Das Interesse der Kommission bei der einzelfallbezogenen Beihilfenkontrolle hat sich von den Mitgliedstaaten weg zu Drittstaaten entwickelt. Mit der Drittstaatensubventionsverordnung hofft die Kommission die Beihilfenkontrolle, die sie in der EU bei Großvorhaben nur noch zurückhaltend ausübt, zumindest in den Nicht-EU-Mitgliedstaaten zur Anwendung zu bringen.
Die Kommission sieht sich durch die Vielzahl von (wenig fundierten) Wettbewerbsbeschwerden überlastet und würde diese gerne, von wenigen interessanten Ausnahmen abgesehen, ohne großen Begründungsaufwand zurückweisen
Die Anwendung des EU-Beihilferechts durch nationale Gerichte ist durch eine geringe Fallzahl und die nicht vorhersehbare Bereitschaft gekennzeichnet, sich mit beihilferechtlichen Fragestellungen auseinanderzusetzen.
Vielleicht ist es an der Zeit, die Beihilfenkontrolle gänzlich umzustellen. Auch ohne Änderung des Primärrechts könnte die Beihilfenkontrolle weitgehend den Wettbewerbern überlassen werden. Die Beihilfevergabe durch die Mitgliedstaaten müsste transparent gemacht werden. Das Transparenzregister müsste für die Wettbewerber so anwenderfreundlich sein, dass es seinen Namen verdient. Die Wettbewerber (und die Kommission) erhalten eine Frist, von beispielsweise 6 Monaten nach Eintrag im Transparenzregister, die Beihilfe zur Überprüfung zu stellen. Nach Ablauf der Frist gilt die Beihilfe als bestehende Beihilfe. Fehlende oder fehlerhafte Einträge im Transparenzregister würden die Frist nicht auslösen, insoweit könnte die bestehende Frist von 10 Jahren beibehalten werden. Die Überprüfung sollte durch die Kommission oder eine hierfür eingerichtete nationale Stelle erfolgen, die verpflichtet und berechtigt ist, der Kommission Fälle zur Entscheidung über die Vereinbarkeit mit dem Binnenmarkt vorzulegen. Die Überprüfung der Beihilfe durch einen Wettbewerber sollte mit einem Kostenrisiko verbunden sein, um Querulanten abzuschrecken.
Das skizzierte System hätte den Vorteil, dass die Beihilfenkontrolle und die dafür notwendigen Ressourcen auf die Beihilfen konzentriert würden, die tatsächlich Wettbewerber beeinträchtigen.
Am Montag wird die Neuausrichtung des Beihilferechts diskutiert, Sinnkrise und Träumereien des Autors werden vergangen sein.
Diesen Beitrag schrieb Rechtsanwalt Christoph von Donat während seiner Zeit bei Müller-Wrede Rechtsanwälte