Für Beihilferechtler sind bestimmte Regionen Deutschlands berufsbedingt belegt. Ich kann z.B. nicht durch Deggendorf fahren, ohne an Beihilferückforderung zu denken. Gleiches gilt für die Altmark in Sachsen-Anhalt. Diese déformation professionelle ist auf Entscheidungen der Kommission oder Unionsgerichte zurückzuführen, die unter den Namen der Städte oder Regionen europaweit abgespeichert sind.
Insbesondere die Altmark hat sich durch das Urteil des EuGH vom 24.07.2003, R. C-280/00 und das darauf von der Kommission erlassene „DawI-Paket“ ins Herz eines jeden Beihilferechtlers gebrannt. In dem „Altmark Trans“ Urteil entschied der EuGH, dass Ausgleichszahlungen für Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse keine staatlichen Beihilfen enthalten, wenn vier Kriterien erfüllt sind:
- Das begünstigte Unternehmen muss tatsächlich mit der Erfüllung einer gemeinwirtschaftlichen Verpflichtung betraut sein und diese Verpflichtungen müssen klar bestimmt sein.
- Die Parameter, anhand derer der Ausgleich berechnet wird, sind zuvor auf Grundlage objektiver und transparenter Kriterien aufzustellen.
- Der Ausgleich darf nicht über das hinausgehen, was erforderlich ist, um die Kosten der Erfüllung der gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen unter Berücksichtigung der dabei erzielten Einnahmen und eines angemessenen Gewinns aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen ganz oder teilweise zu decken.
- Wenn die Wahl des Unternehmens, das mit der Erfüllung gemeinwirtschaftlicher Verpflichtungen betraut werden soll, im konkreten Fall nicht im Rahmen eines Verfahrens zur Vergabe öffentlicher Aufträge erfolgt, auf dessen Grundlage der Bewerber ausgewählt wird, dessen Angebot die geringsten Kosten für die Allgemeinheit enthält, so ist die Höhe des erforderlichen Ausgleichs auf der Grundlage einer Analyse der Kosten zu bestimmen, die ein durchschnittliches, gut geführtes Unternehmen bei der Erfüllung der betreffenden Verpflichtungen hätte, wobei die dabei erzielten Einnahmen und ein angemessener Gewinn aus der Erfüllung dieser Verpflichtungen zu berücksichtigen sind.
Diese vier „Altmark“-Kriterien müssen kumulativ erfüllt sein, um eine Beihilfe auszuschließen. Kann dabei insbesondere das vierte Kriterium nicht erfüllt werden, eröffnen der DawI-Freistellungsbeschluss, der DawI-Rahmen sowie die DawI-De-minimis Verordnung Möglichkeiten für die Vereinbarkeit der staatlichen Ausgleichsleistungen mit dem Binnenmarkt.
In dem „Altmark-Verfahren“ ging es vereinfacht darum, dass der Landkreis Altmark der Firma Altmark Trans die Genehmigung für den Betrieb von Liniendiensten erteilte. Gegen diese Vergabe klagte ein Wettbewerber vor deutschen Gerichten, da Altmark Trans für den Betrieb einen staatlichen Ausgleich erhalten habe. Das BVerwG war schließlich mit dem Fall befasst und legte dem EuGH u.a. die Frage vor, inwieweit ein staatlicher Verlustausgleich im Personenverkehr dem Beihilfenverbot unterfalle.
Am 13.06.2024 hat die Kommission nun ein förmliches Prüfverfahren eröffnet, in dem es erneut um die Gewährung von Ausgleichsleistungen zugunsten eines öffentlichen Nahverkehrsunternehmens in Deutschland geht.
Bei den mutmaßlichen Beihilfemaßnahmen – die übrigens auch in diesem Fall aufgrund einer Wettbewerbsbeschwerde aufgegriffen wurden – handelt es sich um die Direktvergabe eines öffentlichen Dienstleistungsauftrags durch den Kreis Heinsberg an WestVerkehr, um einen Gewinnabführungsvertrag zwischen WestVerkehr und seiner Mehrheitsgesellschafterin NEW Kommunalholding GmbH, eine Einzahlung des Minderheitsaktionärs Kreiswerke Heinsberg GmbH in die Kapitalrücklage von WestVerkehr sowie um eine Kontokorrentvereinbarung zwischen WestVerkehr und den Kreiswerken Heinsberg. Die NEW Kommunalholding und die Kreiswerke Heinsberg sind Unternehmen, an denen der Kreis Heinsberg beteiligt ist.
Nach der veröffentlichten Pressemitteilung ist die Kommission bislang der Ansicht, dass eine Beihilfe auf Grundlage der o.g. vier „Altmark-Kriterien“ nicht auszuschließen ist. Sie wird daher nun prüfen, inwieweit sie die o.g. Maßnahmen auf Grundlage des sog. DawI-Rahmens für mit dem Binnenmarkt vereinbar erklären kann. Der DawI-Rahmen bildet bislang nur in wenigen Fällen die Grundlage von Kommissionsentscheidungen.
Nun haben jedoch zunächst erst einmal in dem ergebnisoffenen Verfahren Deutschland und betroffene Dritte wie der Empfänger der mutmaßlichen Beihilfe sowie der Beschwerdeführer die Möglichkeit, im Rahmen des Verfahrens Stellungnahmen abzugeben.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede Rechtsanwälte