Dr. Franziska Pingel
Mit seiner Entscheidung vom 10.09.2024 in der Rechtssache C-465/20 P hebt der EuGH das Urteil des Gerichts der Europäischen Union (EuG) vom 15.07.2020 (T-778/16 und T-892/16) auf. Der EuGH bestätigt damit die Auffassung der Europäischen Kommission, dass Irland Apple durch zwei Steuervorbescheide – sogenannte „Tax Rulings“ – rechtswidrige staatliche Beihilfen gewährt hat. Apple muss damit etwa 13 Milliarden Euro an Steuern zuzüglich der hierauf anfallenden Zinsen zurückzahlen.
Beschluss der Europäischen Kommission vom 30.08.2016 – 2017/1283
Die Europäische Kommission stellte bereits im Jahr 2016 in ihrem Beschluss vom 30.08.2016 fest, dass die an Apple von der irischen Finanzverwaltung bewilligten Steuervergünstigungen in den Steuervorbescheiden der Jahre 1991 und 2007 staatliche Beihilfen im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV darstellen. Diese Steuervergünstigungen waren an die irischen Apple-Tochtergesellschaften Apple Sales International Ltd. (ASI) und Apple Operations Europe Ltd. (AOE) gewährt worden.
Auffassung des irischen Fiskus und steuerrechtliche Folgen
Der irische Fiskus vertrat in den vorgenannten Steuervorbescheiden die Auffassung, dass die Gewinne des Apple-Konzerns, die durch die Nutzung von Lizenzen des geistigen Eigentums erzielt worden waren, nicht in Irland zu versteuern seien. Hintergrund hierfür war, dass die irische Finanzverwaltung die Gewinne einem „Verwaltungssitz“ zuwies, der über keine physische Präsenz und keine Mitarbeiter verfügte. Damit folgte der Fiskus den steuerrechtlichen Vorschlägen des Apple-Konzerns. Infolgedessen blieben diese Gewinne bei der Bestimmung der Steuerbemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer in Irland unberücksichtigt, was zu einer immensen Verringerung der Steuerschuld für Apple in den Jahren 1991 bis 2014 führte. Der Körperschaftsteuersatz, den Apple auf seine europäischen Gewinne entrichtete, betrug 2003 lediglich 1 % und sank bis 2014 auf nur 0,005 % (siehe dazu auch die Pressemitteilung der Europäischen Kommission vom 30.08.2016).
Argumentation der Europäischen Kommission im Beschluss vom 30.08.2016 bezüglich des Vorliegens einer staatlichen Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs 1 AEUV
Die Kommission stellte in Ihrem Beschluss vom 30.08.2016 im Kern fest, dass Irland Apple durch die Gewährung eines selektiven steuerlichen Vorteils eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt hatte, die ohne vorherige Bewilligung gemäß Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig war.
Die streitigen Steuervorbescheide seien der irischen Finanzverwaltung, mithin dem Staat Irland, zuzurechnen.
In der Verringerung der Bemessungsgrundlage für die Körperschaftsteuer sei ein Vorteil zu sehen. Die Kommission führte an, dass es so scheine, als ob die „Verwaltungssitze“ von ASI und AOE „lediglich auf dem Papier“ bestünden und eine Erwirtschaftung von Gewinn durch diese Verwaltungssitze dementsprechend abzulehnen sei. Die Gewinne hätten ASI und AOE zugerechnet werden müssen.
Ferner greife die Vermutung, dass ein selektiver Vorteil vorliege, weil die Steuervorbescheide allein ASI und AOE erteilt worden seien. Von dem einschlägigen Bezugsrahmen, und zwar dem allgemeinen Körperschaftsteuersystem, sei vorliegend abgewichen worden.
Auch führe die Verringerung der Steuerschuld der Apple-Gesellschaften zu einer stärkeren Wettbewerbssituation, sodass der Wettbewerb verfälscht werde beziehungsweise zu verfälschen drohe.
Es sei darüber hinaus zu bejahen, dass die beiden Steuervorbescheide geeignet seien, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten zu beeinträchtigen, da der Apple-Konzern, dem ASI und AOE angehören, in jedem Mitgliedstaat agiere.
Beihilfeempfänger sei der Apple-Konzern, da es sich bei diesem sowie bei ASI und AOE um eine wirtschaftliche Einheit handele.
Folglich wurde Irland von der Kommission verpflichtet, die ihrer Ansicht nach rechtswidrig gewährten Beihilfen in Höhe von etwa 13 Milliarden Euro plus Steuern von Apple zurückzufordern.
Rechtsprechung zu Tax Rulings
Bei den von der Kommission überprüften Steuervorbescheiden handelt es sich um sogenannte „Tax Rulings“. Die Kommission untersucht seit 2013, ob solche Tax Rulings im Einzelfall als nicht mit dem Europarecht vereinbare Beihilfe gelten, dazu haben wir schon eine Reihe von Blogbeiträgen veröffentlicht.
Zum Teil bestätigte das EuG die Beschlüsse der Kommission in der Vergangenheit (z. B. in der Rechtssache T-648/19 betreffend Nike und Converse; siehe insoweit unseren Blogbeitrag vom 28.07.2021). Zum Teil erklärte das EuG die Beschlüsse jedoch auch für nichtig (z. B. in der Rechtssache T-760/15 und T-636/16 betreffend Starbucks; siehe insofern unseren Blogbeitrag vom 14.11.2019).
Urteil des EuG vom 15.07.2020
In seinem Urteil vom 15.07.2020 erklärte das EuG den Beschluss der Kommission vom 30.08.2016 für nichtig. Das EuG führte dort im Wesentlichen aus, dass die Kommission nicht ausreichend nachgewiesen habe, dass die Steuervorbescheide Apple einen selektiven Vorteil bieten, der eine staatliche Beihilfe im Sinne des Art. 107 Abs. 1 AEUV begründen würde. Das Gericht argumentierte, dass die Kommission ungenügend aufgezeigt habe, dass die Rechte hinsichtlich des geistigen Eigentums ebenfalls ASI und AOE zuzurechnen seien, mit der Folge, dass der Gewinn von Apple, der aus der Nutzung von Lizenzen des geistigen Eigentums herrührte, in Irland zu versteuern sei (siehe zu den Ansichten der Parteien in diesem Rechtsstreit ausführlich sowie zu den Entscheidungsgründen des EuG bereits unseren Blogbeitrag vom 31.07.2020).
Urteil des EuGH vom 10.09.2024
Der EuGH teilt in seiner Entscheidung vom 10.09.2024 in der Rechtssache C-465/20 P die Auffassung des EuG nicht. Vielmehr bestätigt er die Ansicht der Kommission in ihrem Beschluss vom 30.08.2016, dass Apple von Irland rechtswidrige staatliche Beihilfen gewährt wurden, sowie deren Argumentation diesbezüglich.
Er hebt demgemäß das Urteil des EuG vom 15.07.2020 auf, was zur Folge hat, dass Apple rund 13 Milliarden Euro an Steuern zurückzahlen muss, zuzüglich der hierauf anfallenden Steuern.
Der EuGH führt im Wesentlichen folgende Gründe für seine Entscheidung an:
Die Kommission habe – entgegen den Ausführungen des Urteils des EuG – die Gewinne von Apple, die durch die Nutzung von Lizenzen des geistigen Eigentums erzielt worden waren, gemäß dem einschlägigen irischen Steuerrecht zutreffend beurteilt. Die vorstehenden Gewinne hätten dementsprechend den irischen Tochtergesellschaften zugerechnet werden müssen. Das EuG habe mithin zu Unrecht festgestellt, dass die Kommission ihre Haupterwägungen auf einer falschen Beurteilung der Besteuerung nach dem irischen Steuerrecht stützt (vgl. insbes. zusammenfassend Rn. 254 des Urteils). Das Gericht, nicht die Kommission, habe das irische Steuerrecht falsch angewandt (Rn. 256).
Ferner habe die Kommission im ausreichenden Maße dargelegt, dass ASI und AOE ein selektiver Vorteil gegenüber anderen Unternehmen durch die zwei Steuervorbescheide erwachsen sei (Rn. 305) und auch, dass dieser Vorteil dem Staat zuzurechnen sei (Rn. 317). Der EuGH wiederholt hinsichtlich der Voraussetzung, dass der selektive Vorteil „aus staatlichen Mitteln“ resultieren muss, dass es unschädlich ist, dass dem Unternehmen kein öffentliches Mittel zugeflossen sei. Vielmehr liege diese Voraussetzung auch dann vor, wenn ein staatlicher Verzicht auf eine Steuereinnahme vorliege, wobei die Steuereinnahme richtigerweise hätte erfolgen müssen (Rn. 318 f.).