Etappen-Sieg für die Kommission bei Prüfung von „tax rulings“ zugunsten von Nike und Converse: Klage gegen Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens abgewiesen

Seit 2013 untersucht die Kommission die mitgliedsstaatliche Praxis der Gewährung von an sich legalen Steuervorbescheiden (sog. „tax rulings“) zugunsten multinationaler Konzerne auf ihre Vereinbarkeit mit dem Beihilfenrecht. Nicht selten gelangte die Kommission in entsprechenden Beschlüssen zur Beihilferechtswidrigkeit des jeweiligen Steuervorbescheides.

Im Zusammenhang mit Entscheidungen des EuG zu den Beschlüssen der Kommission überwogen hierbei zuletzt allerdings die negativen Nachrichten für die Kommission (siehe insofern EuG zum Thema Tax-rulings: die Kommission liegt 1:2 im Rückstand & Rückschlag für die Kommission – EuG hält Nachforderung von Steuern gegen Apple für rechtswidrig).

Nun kann sie aber einen vorläufigen Erfolg in ihrem fortwährenden Vorgehen gegen ihrer Ansicht nach beihilferechtswidrige Steuervorbescheide verbuchen:

Nach einer Entscheidung des EuG vom 14. Juli 2021 (Rs. T-648/19) ist die Einleitung eines förmlichen Prüfverfahrens in Bezug auf tax rulings, die von der niederländischen Steuerverwaltung in den Jahren 2006, 2010 und 2015 zugunsten von Nike European Operations Netherlands (im Folgenden „Nike“) und in den Jahren 2010 und 2015 zugunsten von Converse Netherlands (im Folgenden „Converse“) erlassen worden waren, rechtmäßig. Die von Nike und Converse erhobene Klage auf Nichtigerklärung des Beschlusses der Kommission wies das Gericht vollumfänglich ab.

Die in Streit stehenden Maßnahmen:

Nike und Converse schulden anderen, in den Niederlanden nicht steuerpflichtigen, Gesellschaften der Nike-Gruppe Lizenzgebühren (sog. „royaltys“) als Gegenleistung für die Nutzung von Rechten des geistigen Eigentums, u.a. für den exlusiven Vertrieb von Produkten der jeweiligen Marken in bestimmten Ländern der EMEA-Region (Europe, Middle East, Africa). Die Lizenzgebühren mindern die von Nike und Converse in den Niederlanden zu versteuernden Einkünfte.

Mit den gegenständlichen tax rulings wurde von der niederländischen Steuerverwaltung die sich aus der jeweiligen Höhe der Lizenzgebühren ergebende Verrechnungspreistransaktion in steuerlicher Hinsicht für zulässig erklärt.

Die Entscheidung der Kommission:

In ihrem Beschluss vom 10. Januar 2019 gelangt die Kommission zu der vorläufigen Bewertung, dass die tax rulings zu einem selektiven Vorteil für Nike und Converse führen. Entsprechend leitete sie das förmliche Prüfverfahren ein, um zu ermitteln, ob eine rechtswidrige staatliche Beihilfe vorliegt.

Sie folgt bei der Prüfung des Vorliegens eines selektiven Vorteils ihrem aus den Beschlüssen zu Starbucks, Fiat Chrysler und Apple (siehe hierzu die oben angeführten Beiträge)bekannten Ansatz, dass die jeweilige Steuerbehörde die konzerninternen Verrechnungspreise so festzusetzen habe, wie sie zwischen unabhängigen Gesellschaften unter Marktbedingungen für eine vergleichbare Transaktion ausgehandelt worden wäre (sog. „arm’s length principle“).

Diesem Ansatz sei die niederländische Steuerverwaltung hier nicht gefolgt. Unter anderem dadurch, dass sie eine falsche Kalkulationsmethode angewandt habe und die finanzielle Situation der lizenzgebenden Unternehmen nicht berücksichtigt habe, sei ein niedrigerer Jahresgewinn als Grundlage genommen worden, als wenn ein fremdvergleichskonformer Preis herangezogen worden wäre.

Die Entscheidung des EuG:

Das Gericht wies die Rügen der Kläger Nike und Converse, dass die Kommission (1.) ihre Begründungspflicht verletzt habe, (2.) offensichtliche Beurteilungsfehler begangen habe und (3.) Verfahrensrechte der Kläger missachtet habe, in vollem Umfang ab. Hierbei besann es sich auf mittlerweile altbekannte Grundsätze zur Prüfung der Beihilferechtmäßigkeit von tax rulings und auf Grundprinzipien des förmlichen Prüfverfahrens.

Verletzung der Begründungspflicht

Bereits bei der Prüfung, ob die Kommission ihre Begründungspflicht verletzt haben könnte, betont das Gericht, dass es sich bei der Eröffnung des förmlichen Prüfverfahrens lediglich um den Abschluss einer vorläufigen Prüfungsphase handele. Folglich sei die Beurteilung der Kommission nicht abschließend, sondern kann sich zunächst darin erschöpfen, zusätzliche Informationen erlangen zu wollen. Die Begründung des Eröffnungsbeschlusses müsse deshalb nur die bisherigen Erkenntnisse, nach denen die Kommission zu ihren (vorläufigen) Zweifeln der Maßnahme mit dem Binnenmarkt gelangt ist, zusammenfassen und involvierten Parteien so die Möglichkeit geben, sich effektiv am förmlichen Prüfverfahren zu beteiligen.

Diesen Voraussetzungen sei die Kommission umfassend nachgekommen. Die Kommission habe die individuelle Natur und mögliche Selektivität der Maßnahmen nachvollziehbar und ohne inneren Widerspruch begründet.

Anders als von den Klägern als Argument für eine Verletzung der Begründungspflicht angeführt, sei es in diesem Stadium insbesondere nicht notwendig, sich bereits dazu zu äußern, ob eine Beihilferegelung existiert.

Offensichtliche Beurteilungsfehler

Zur Begründung eines Beurteilungsfehlers der Kommission führen die Kläger an, die tax rulings hätten rein deklarativen Charakter und seien keine Vorbedingung für die Ausübung der Tätigkeiten in den Niederlanden oder für die Anwendung des Fremdvergleichsgrundsatzes.

Auch hier hebt das Gericht die sich aus dem Verfahrensstadium ergebenden Besonderheiten hervor:

Das Gericht könne keine finale Entscheidung über eine Frage treffen, zu der die Kommission erst eine vorläufige Beurteilung vorgenommen habe. Die Überprüfbarkeit des Beschlusses beschränke sich deshalb darauf, ob die Kommission einen Beurteilungsfehler dahin gehend begangen hat, dass es des förmlichen Prüfverfahrens bedarf. Dem sei die Kommission hinreichend nachgekommen.

Es obliege nach einschlägiger Rechtsprechung des Gerichts (siehe die bereits angeführten Beiträge zu den Entscheidungen zu Starbucks, Fiat Chrysler und Apple) der Kommission anhand des „arm’s length principle“ zu beurteilen, ob die Steuerbehörde Verrechnungspreise so festgesetzt hat, wie dies unter normalen Marktbedingungen in den Niederlanden der Fall wäre.

Da sich die – ausschließlich der Kommission obliegende – Beantwortung dieser Frage nur mit der Einholung weiterer Informationen von den beteiligten Parteien und Mitgliedstaaten bewerkstelligen lasse, könne die Einleitung des förmlichen Prüfverfahrens zu diesem Zweck per se schon nicht mit Erfolg angefochten werden.

Schließlich sei es aber auch nicht fehlerhaft gewesen, von der Selektivität der tax rulings auszugehen. Sie beträfen individuell die Kläger und keine anderen Unternehmen. Die Kommission habe ihre vorläufige Einschätzung eines selektiven Vorteils im Übrigen durch ihre oben angeführte Argumentation hinreichend dargelegt.

Soweit die Kläger anführen, die Kommission habe gegen den Grundsatz der Gleichbehandlung verstoßen, indem sie nicht gegen andere Profiteure vergleichbarer Steuervorbescheide vorgehe, betont das Gericht den Grundsatz „keiner Gleichbehandlung im Unrecht“: Die Kläger können sich zur Stützung eigener Ansprüche nicht auf rechtswidrige Maßnahmen zugunsten anderer berufen.

Missachtung von Verfahrensrechten

Soweit die Kläger sich auf eine Missachtung ihrer Verfahrensrechte berufen, beschränkt sich das Gericht auf die Anmerkung, dass im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens Stellungnahmen an die Kommission gesendet werden können und den Klägern insofern alle Verfahrensrechte zustehen und wahrgenommen werden können.

Fazit

Das Urteil des EuG ist wohl zunächst nicht mehr als ein Etappen-Sieg der Kommission in ihrer Tour gegen die tax-rulings. Dies insbesondere deshalb, weil es sich „nur“ um eine Klage gegen einen Eröffnungsbeschluss handelt. In diesem Zusammenhang ist insbesondere im Hinblick auf die Begründungstiefe der Kommission eine andere Messlatte anzulegen als bei einer abschließenden Entscheidung: „Daher ist die Beurteilung der in Rede stehenden Maßnahmen durch die Kommission nicht endgültig und kann sich im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens zur Einholung zusätzlicher Informationen … weiterentwickeln“ (Rn. 72 des Urteils).

Damit betont das Gericht zu Recht den vorläufigen Charakter der Begründung der Kommission in der Verfahrenseröffnung. Die bereits längere Zeit im Beihilfenrecht Aktiven mag dieser Hinweis an die Klageflut gegen die Verfahrenseröffnung im Zusammenhang mit dem „EEG 2012“ im Jahre 2014 erinnern. Angestoßen wurde diese damals durch das Urteil des EuGH in dem Verfahren Deutsche Lufthansa (Rs. C-284/12), in dem der Gerichtshof die bindende Wirkung von Eröffnungsentscheidungen für nationale Gerichte manifestiert. Für alle die jetzt eine Trendwende wittern der Hinweis: Aus Sicht des EuGH stand der Bindungswirkung bereits damals der vorläufige Charakter der Einschätzung der Kommission im Rahmen der Verfahrenseröffnung nicht entgegen. Vielmehr ging der EuGH auch vor dem Hintergrund, dass die Kommission im Rahmen des Prüfverfahrens ihre Meinung noch ändern würde, von einer Bindung der nationalen Gerichte an den Eröffnungsbeschluss aus.

Im Hinblick auf die beihilferechtliche Bewertung der konkreten tax rulings bleibt abzuwarten, wie die Kommission im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens entscheidet und ob es dann in die nächste Etappe geht.

*Diesen Beitrag schrieb Christopher Hanke während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.

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