Was ich schon immer zum Flughafen Tallinn sagen wollte …

Die Kommission hat festgestellt, dass der mithilfe des Kohäsionsfonds finanzierte Ausbau des internationalen Flughafens Tallinn (Estland) unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten mit dem Binnenmarkt vereinbar ist. Diese Feststellung ist wenig verwunderlich. Der Beschluss wirft beim Leser eher die Frage auf, wie lange die Kommission die nahezu unübersehbare Reihe unproblematischer Flughafengenehmigungen noch fortsetzen möchte, bis sie die ressourcenintensive Einzelfallprüfung einstellt und eine Freistellung für die staatliche Finanzierung derartiger Infrastrukturen schafft.

In dem Beschluss vom 10.11.2015 zur staatlichen Beihilfe SA.39315 stützt die Kommission ihre Annahme einer zumindest potentiellen Wettbewerbsverfälschung auf eine mehr theoretische Erreichbarkeit des Flughafens Riga (Litauen) von dem dünn besiedelten Süden Estlands aus und eine Umsteigerquote von gerade einmal 2 %. Es kann daher bezweifelt werden, dass Beihilfen zugunsten des Flughafens Tallin überhaupt das Potential für eine Wettbewerbsverfälschung haben. Darüber hinaus ist das Potential bei Flughäfen ohnehin gering. Flughäfen konkurrieren in erster Linie nicht miteinander, sondern sind aufeinander angewiesen. Die Kommission betont selbst die Bedeutung der Flughäfen für das Trans-European Transport Network. In den Beschlüssen zu dem Flughafen Riga in 2010 (N 41/2010) und 2013 (SA.36297) wies die Kommission noch auf die Hub-Funktion des Flughafens Riga für die Region und insbesondere den Flughafen Tallinn hin. Von den Beihilfen für den Flughafen Tallinn dürfte daher auch der Flughafen Riga profitieren, eine Beeinträchtigung steht nicht zu befürchten. Die Kommission scheint noch kein Rezept für die in ihrer Entscheidungspraxis zur Beihilfenkontrolle bei voneinander abhängigen Wettbewerbern zu haben. Sie lässt hypothetische Auswirkungen auf den Wettbewerb für die Anwendung der Beihilfenkontrolle genügen, um dann das Genehmigungserfordernis unter Ziffer 3.2 lit. (f) der Flughafenleitlinien von 2014 „Vermeidung übermäßiger negativer Auswirkungen auf den Wettbewerb und den Handel zwischen Mitgliedstaaten“ mangels konkreter negativer Auswirkungen ohne Schwierigkeiten bejahen zu können.

Von der Rechtsprechung ist keine Korrektur zu erwarten. Flughäfen sind – so das grundlegende Urteil des EuGH in der Rs. C-82/01 „Aéroports de Paris“ – dem Wettbewerbsrecht unterworfen. Die Beurteilung der Auswirkungen von Beihilfen auf Wettbewerb und Handel überlässt die Rechtsprechung der Kommission. Die Anwendung des Wettbewerbsrechts auf Flughäfen ist zweifellos aufgrund deren regional marktbeherrschenden Stellung als Unternehmen auch sinnvoll. Die Sinnhaftigkeit einer Kontrolle des Baus von Flughafeninfrastrukturen unter beihilferechtlichen Gesichtspunkten ist damit jedoch noch nicht belegt. Die Wettbewerbskommissarin Vestager begründet wie ihre Vorgänger die Beihilfenkontrolle mit dem Schutz des Steuerzahlers vor verfehlten öffentlichen Ausgaben. Damit maßt sie sich eine Kompetenz an, die ausschließlich bei den jeweils zuständigen Parlamenten belassen werden sollte. Die Organe der Europäischen Union sollten – soweit nicht wie beim Flughafen Tallinn der Unionshaushalt auch unmittelbar betroffen ist – äußerste Zurückhaltung üben, wenn es um die vornehmste Aufgabe der Parlamente von Gebietskörperschaften unterhalb der Unionsebene, der Haushaltskontrolle geht. Die Frage, ob ein neuer Flughafen oder der Ausbau eines Flughafens sinnvoll ist, lässt sich ohnehin erst im Nachhinein sicher beantworten. Der Flughafen Kassel-Calden, dem die Kommission in ihren insgesamt 3 Beschlüssen eine hinreichende Auslastungsperspektive konstatierte, wurde zwar vom Markt nicht angenommen, leistete bei der Aufnahme von Flüchtlingen im letzten Jahr jedoch wertvolle Dienste. Die Entscheidung über derartige Ausgaben sollte daher grundsätzlich denen überlassen werden, die sich später vor dem Wähler rechtfertigen müssen. Die Beihilfenkontrolle ist zwar unter kompetenzrechtlichen Aspekten ein taugliches Instrument für die Kommission, Entscheidungen über die Verwendung fremder Haushaltsmittel zu beeinflussen. Ohne Relevanz für den Wettbewerb wird daraus jedoch nur das von Europagegnern beschrieene Bürokratiemonster, das sich in sämtliche (auch innerstaatliche) Angelegenheiten einmischt.

Notwendig ist dagegen die Beihilfenkontrolle auf der Ebene der Nutzer. Die Betreiber von Flughäfen neigen dazu, den bei ihnen beheimateten Fluggesellschaften unter die Arme zu greifen, wenn auch nach den Feststellungen der Kommission im Fall des Flughafens Tallinn zugunsten der Estonian Air (SA.36868) und des Flughafens Ljubljana zugunsten der Adria Airways (SA.32715) beihilfenfrei. Die Estonian Air musste trotz dieser Hilfestellung ihren Flugbetrieb am 8. November 2015 einstellen, da die Kommission keine weiteren Rettungs- und Umstrukturierungsbeihifen genehmigte (Pressemitteilung der Kommission IP/15/6023). Den Flugbetrieb am Flughafen Tallinn sichern jetzt Adria Airways (als Kooperationspartner für die neu gegründete nordic aviation) und die lettische airBaltic. Die Rettungs- und Umstrukturierungsbeihilfen zugunsten dieser beiden Fluggesellschaften (SA.32715, SA.34191) hatte die Kommission genehmigt.

Wenn man annimmt, dass der Wettbewerb zwischen den Fluggesellschaften weniger durch Kommissionsbeschlüsse als durch die Entgelte der direkt oder indirekt staatlich finanzierten Flughäfen beeinflusst wird, an denen die Flugzeuge stationiert sind, kommt man zu dem Ergebnis, dass das angestrebte Level Playing Field nur durch eine Art einheitliches Tarifsystem der Flughäfen in der Union erreicht werden könnte. Aber damit würde man nur das Bürokratiemonster wecken.

Diesen Beitrag schrieb Rechtsanwalt Christoph von Donat während seiner Zeit bei Müller-Wrede & Partner

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