Der aktuelle Krankenhausreport zeigt: jedes zweites Krankenhaus in Deutschland ist nicht in der Lage, anstehende Investitionen aus eigenen Mitteln zu finanzieren. Das betrifft insbesondere öffentliche Krankenhäuser. Die bislang bewährte Praxis, entstehende Verluste und notwendige Investitionen aus der Tasche der öffentlichen Träger zu finanzieren, steht jedoch derzeit auf dem Prüfstand beim BGH. Ausgangspunkt ist die Klage des Bundesverbandes der deutschen Privatkliniken (BDPK), der bislang mit wenig Erfolg in einem Musterverfahren versucht, die Ausgleichszahlungen des Landkreis Calw zugunsten zweier Kreiskliniken mit dem Argument der beihilferechtswidrigen Finanzierung zu stoppen.
Sowohl das LG Tübingen (Az. 5 O 72/13) als auch das OLG Stuttgart in zweiter Instanz (Az. 2 U 11/14) sind jedoch dem Antrag des BDPK nicht gefolgt und haben die Klagen abgewiesen. Nun bleibt abzuwarten, wie der BGH entscheidet und ob er zur Klärung offener Rechtsfragen zuvor den EuGH befragen wird.
Krankenhausfinanzierung in Deutschland – dualistisch und komplex
Stark vereinfacht, erfolgt die Krankenhausfinanzierung in Deutschland auf Grundlage des Krankenhausfinanzierungsgesetztes nach dem sogenannten dualistischen System. Die Finanzierung erfolgt dabei aus zwei Quellen: Die Investitionskosten eines Krankenhauses werden von den Ländern getragen, soweit dieses Krankenhaus in den Krankenhausplan des jeweiligen Bundeslandes aufgenommen wurde. Dazu gehören Aufwendungen für Neubauten, Instandsetzung und Anschaffungen von Großgeräten. Die Finanzierung der Betriebskosten erfolgt durch die Patienten bzw. deren Krankenkassen (SGB V) über Fallpauschalen. Dazu gehören u.a. Personalkosten, Kosten für Verbrauchsmaterial, Strom und Versicherungen. Diese Finanzierung erhalten alle Plankrankenhäuser, unabhängig davon, ob sie in öffentlicher, gemeinnütziger oder privater Trägerschaft betrieben werden. Die reguläre Krankenhausfinanzierung gilt bislang als beihilferechtlich unproblematisch.
Die dritte Säule der Krankenhausfinanzierung auf dem beihilferechtlichen Prüfstand
Neben der regulären Krankenhausfinanzierung wurden und werden insbesondere Verluste von öffentlichen Krankenhäusern mit Hilfe ihrer Träger ausgeglichen. Diese sog. „dritte Säule der Krankenhausfinanzierung“ ist derzeit im Fokus der beihilferechtlichen Prüfung – nunmehr beim BGH. Dass es sich dabei nicht nur um ein Problem der deutschen Krankenhausfinanzierung handelt, zeigen eine Reihe von Verfahren, die die Kommission derzeit prüft, insbesondere aber das Verfahren der belgischen Krankenhäuser.
Zusammengefasst geht es in diesen Verfahren um die Frage, unter welchen Voraussetzungen es sich bei der Erbringung der Krankenhausleistungen um eine ausgleichsfähige Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DawI) handelt und damit eine staatliche Finanzierung nach dem Freistellungsbeschluss vom 20.11.2011 (ABl. L 7 vom 11.1.2012, S. 3) nicht notifizierungspflichtig wäre.
Die Mitgliedstaaten verfügen grundsätzlich über ein weites Ermessen bei der Festlegung einer DawI. Aus Art. 106 Abs. 2 AEUV geht jedoch hervor, dass Unternehmen, die mit der Erbringung einer DawI betraut sind, eine „besondere Aufgabe“ übertragen werden muss. Dabei muss es sich um eine Aufgabe handeln, die ein Unternehmen – wenn es im eigenen gewerblichen Interesse handelt – nicht oder nicht in diesem Umfang oder zu den gleichen Bedingungen erbringen würde. Die bislang strittige Frage ist vor diesem Hintergrund, wann ein Krankenhaus tatsächliche eine ausgleichsfähige Sonderverpflichtung erbringt.
Beihilfeverfahren NN 54/2009 (ex- CP 244/2005) – Belgique Financement des hôpitaux publics du réseau IRIS de la Région Bruxelles-Capitale
Die Kommission hatte aufgrund einer Beschwerde der privaten Krankenhäuser CBI in diesem Verfahren den staatlichen Defizitausgleich zugunsten der öffentlichen Iris-Krankenhäuser in der Region Brüssel-Hauptstadt zu überprüfen. Im Ergebnis stellte die Kommission fest, dass es sich bei diesen Maßnahmen um eine zulässige Beihilfe handelt, weil den Iris-Krankenhäusern spezielle krankenhausfremde Gemeinwohlaufgaben zugewiesen seien. Dabei handele es sich um „die Verpflichtung zur Annahme jedes Patienten unter allen Umständen, auch außerhalb von Notfällen“, oder die Verpflichtung „zu einer dauerhaften Krankenhausversorgung …, die jedem Patienten, unabhängig von seiner sozialen oder finanziellen Stellung, offensteht,“ und zum anderen um „die Verpflichtung, eine Krankenhausvollversorgung an allen Standorten anzubieten“ oder „jedem Patienten gegenüber auf bloßes Ansuchen hin jede Art von Krankenhausdienstleistung in einem Universalrahmen zu erbringen“.
Urteil des EuG in der Rs. T-137/10
Dieser Argumentation ist das Gericht der Europäischen Union im Rahmen der gegen die Entscheidung der Kommission erhobenen Nichtigkeitsklage entgegengetreten. Unter Hinweis auf das erste „Altmark-Kriterium“ führt das Gericht aus, dass Ausgleichsleistungen an öffentliche Krankenhäuser beihilferechtlich zulässig seien, soweit die Leistung auf Grundlage eines entsprechenden Betrauungsaktes mit einer besonderen Gemeinwohlverpflichtung verknüpft sei, die von kommerziellen Anbietern am Markt so nicht wahrgenommen wird. Demnach sei also allein auf die den hier kommunalen Krankenhäusern übertragenen Krankenhaussonderaufgaben und nicht auf die allgemeine Gemeinwohlaufgabe der Versorgung mit Krankenhausdienstleistungen abzustellen. Da die Kommission derartige Zusatzverpflichtungen jedoch nicht geprüft habe, erklärte das Gericht der Europäischen Union den Beschluss der Kommission für nichtig und stellte fest, dass die Kommission ein förmliches Prüfverfahren hätte eröffnen müssen. Dieses wurde mit Beschluss der Kommission vom 1. Oktober 2014 eingeleitet (SA.19864 (2014/C) (ex NN 54/2009) – Belgium Public financing of Brussels public IRIS hospitals (CBI)).
Verfahren vor dem Landgericht Tübingen/ OLG Stuttgart
Vor dem Hintergrund dieses Urteils hat der BDPK Anlauf vor deutschen Gerichten genommen, um gegen den Defizitausgleich öffentlicher Krankenhäuser vorzugehen. Sowohl das LG Tübingen als auch das OLG Stuttgart haben in erster und zweiter Instanz diese Klagen jedoch abgewiesen.
So haben LG Tübingen und OLG Stuttgart in dem Fall der Kreiskrankenhäuser Calw und Nagold eine Sonderaufgabe der öffentlichen Krankenhäuser angenommen. Die besondere Aufgabe der staatlichen Daseinsvorsorge öffentlicher Krankenhäuser liege in der Betreiberpflicht, die öffentliche Krankenhäuser mit Aufnahme in den jeweiligen Krankenhausplan treffe. Im Unterschied zu den Krankenhäusern in öffentlicher Trägerschaft, die flächendeckend auch unrentable Klinikstandorte betreiben müssten, könnten sich Privatkliniken stets von unwirtschaftlichen Standorten trennen.
Fazit und Ausblick
Die deutschen Gerichte und auch die Kommission sehen in „dem staatlichen Sicherstellungsauftrag der Länder für eine ordnungsgemäße und bedarfsgerechte Krankenhausversorgung“ die Rechtfertigung einer beihilfenfreien Ausgleichsleistung. Fraglich erscheint jedoch, ob der BGH diesem Ansatz folgen wird. Dies insbesondere vor dem Hintergrund des o.g. Urteils des Gerichts der Europäischen Union, aus dem zu entnehmen ist, dass die allgemeine Gemeinwohlaufgabe der Versorgung mit Krankenhausdienstleistungen für die Annahme einer ausgleichsfähigen DawI wohl gerade nicht ausreiche, sondern vielmehr die öffentlichen Krankenhäuser mit konkreten Sonderaufgaben betraut werden müssten und eben nur diese auch ausgleichsfähig sind.
Unabhängig von der Frage der Betrauung mit einer DAwI handelt es sich jedoch bei der Verlustausgleichsfinanzierung eines öffentlichen Krankenhauses nicht um eine Beihilfe, soweit diese ausschließlich Auswirkung auf regionaler Ebene zeigt und es damit an einer Handelsbeeinträchtigung fehlt. Davon kann nach der aktuellen Beschlusspraxis der Kommission wohl ausgegangen werden, wenn ein Krankenhaus sogenannte Standardgesundheitsleistungen ohne grenzüberschreitende Auswirkungen erbringt (s. dazu Beitrag in diesem Blog vom 18. Juni 2015 „Ausstieg aus der Handelsbeeinträchtigung auf lokaler Ebene“). Diesen rein lokalen Charakter wird man jedoch bereits grundsätzlich nicht jedem größeren Kreiskrankenhaus unterstellen können.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner