Fail to recover – ein déjà-vu! Die Kommission verklagt Frankreich wegen unterlassener Rückforderung unzulässiger Beihilfen für Fluggesellschaften

Nach Artikel 108 Abs. 2 AEUV kann die Kommission beim Gerichtshof Klage gegen einen Mitgliedstaat erheben, wenn dieser einem Beschluss der Kommission zur Rückforderung von Beihilfen nicht nachkommt. Von dieser Möglichkeit hat die Kommission nun gegenüber Frankreich Gebrauch gemacht.

Mit ihrer Klage begehrt die Kommission die Feststellung, dass Frankreich dadurch gegen seine Verpflichtungen zur Rückforderung der Ryanair und Airport Marketing Services gewährten staatlichen Beihilfen verstoßen hat, dass es der Rückforderungspflicht nicht innerhalb der festgesetzten Frist nachgekommen ist.

Die Entscheidung des Gerichtshofes verspricht keine Überraschungen, sie bietet dem Gerichtshof jedoch eine Gelegenheit, noch einmal jene Grundsätze in Erinnerung zu rufen, nach denen er das Verhältnis von nationalem Verfahrensrecht und dem Unionsrecht im Bereich der beihilfenrechtlichen Rückforderung bestimmt.

Hintergrund: Überprüfung der Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften in Frankreich und Deutschland

Die Klage ist Folge einer Untersuchung der Kommission zu staatlichen Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften in Frankreich und Deutschland beruhend auf den neuen Leitlinien der Kommission über staatliche Beihilfen für Flughäfen und Luftverkehrsgesellschaften, die Anfang 2014 im Rahmen der Initiative zur Modernisierung des EU-Beihilfenrechts (SAM) veröffentlicht wurden.

Nach entsprechenden Kommissionsbeschlüssen aus dem Jahre 2014 sollte Frankreich unzulässige staatliche Beihilfen von insgesamt knapp 10 Mio. € von der Fluggesellschaft Ryanair und ihrer Tochtergesellschaft AMS zurückfordern. Die Kommission hatte einen ungerechtfertigten wirtschaftlicher Vorteil für die beiden Luftverkehrsgesellschaften darin gesehen, dass diese aufgrund verschiedener Vereinbarungen die Dienste mehrerer französischen Flughäfen zu Vorzugsbedingungen nutzen konnten.

Die Kommission hat Frankreich eine Frist von 4 Monaten gesetzt. Frankreich hat die zurückzufordernde Summe nicht innerhalb der Frist zurückerlangt. Die mitgliedstaatlichen Behörden haben zwar bereits die entsprechenden Zahlungsbescheide an die Fluggesellschaften erlassen. Die Fluggesellschaften haben hiergegen allerdings Einspruch eingelegt. Der Einspruch entfaltet nach französischem Recht aufschiebende Wirkung und steht damit einer Vollstreckung der Bescheide entgegen.

Wie wird der Gerichtshof entscheiden?

Die Aufschiebende Wirkung im Spannungsfeld zwischen den Erfordernissen der effektiven Rechtsdurchsetzung, dem Prinzip des effektiven Rechtsschutzes und dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten

Das Verfahren wirft die Frage auf, ob das Institut der aufschiebenden Wirkung mit der Verpflichtung der unverzüglichen Rückforderung gem. Art. 14 Abs. 3 VO 659/99 zu vereinbaren ist. Diese Frage war zunächst ungeklärt.

Die Kommission hatte in ihrem Vorschlag für eine Beihilfeverfahrensverordnung 1998 eine Bestimmung vorgesehen, der zufolge innerstaatliche Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung haben sollten, da, so die Erwägungsgründe des Vorschlages, die aufschiebende Wirkung von Rechtsmitteln nationalen Rechts die sofortige Durchführung der Entscheidung praktisch unmöglich machen und dem Empfänger erlauben würde, den Vorteil aus der rechtswidrigen Beihilfe weiterhin zu genießen.

Da sich diese Regelung im Rat nicht durchsetzen konnte, wurde eine Kompromissformel beschlossen, wonach die betreffenden Mitgliedstaaten zum Zwecke der effektiven Rückforderung im Fall eines Verfahrens vor nationalen Gerichten unbeschadet des Gemeinschaftsrechts alle in ihren jeweiligen Rechtsordnungen verfügbaren erforderlichen Schritte unternehmen. Die Unvereinbarkeit der aufschiebenden Wirkung nationaler Rechtsbehelfe ging aus dieser Formulierung nicht ohne weiteres hervor. Vielmehr wurde hiermit dem Gerichtshof die schwierige Gratwanderung zwischen den Erfordernissen der effektiven Rechtsdurchsetzung, dem Prinzip des effektiven Rechtsschutzes und dem Grundsatz der Verfahrensautonomie der Mitgliedstaaten überantwortet.

2005 hat der Gerichtshof Klarheit geschaffen. In seinem Urteil in der Rechtssache Scott entschied er, dass ein Verfahren dadurch, dass es Rechtsbehelfen gegen zur Rückforderung einer gewährten Beihilfe erlassene Zahlungsbescheide eine aufschiebende Wirkung zuerkennt, nicht als ein Verfahren angesehen werden kann, das die sofortige und tatsächliche Vollstreckung der Rückforderungsentscheidung ermöglicht. Vielmehr kann es die Rückforderung der Beihilfen durch die Zuerkennung einer derartigen aufschiebenden Wirkung beträchtlich verzögern. Damit würde die sofortige Wiederherstellung der früheren Lage hinausgezögert und die Dauer des auf den fraglichen Beihilfen beruhenden unzulässigen Wettbewerbsvorteils verlängert. Der Gerichtshof hat die Vorschrift über die aufschiebende Wirkung der gegen Zahlungsbescheide eingelegten Rechtsbehelfe im damaligen Verfahren deshalb für unanwendbar erklärt.

Den Wegfall der aufschiebenden Wirkung hat der Gerichtshof nicht als unabdingbar für einen effektiven Rechtsschutz angesehen, da ja der Rückforderungsadressat Nichtigkeitsklage vor dem EuG erheben könne. Hierbei verwies der Gerichtshof noch auf Art. 278 AEUV, wonach Klagen zwar keine aufschiebende Wirkung haben, der Gerichtshof aber, wenn er dies den Umständen nach für nötig hält, die Durchführung der angefochtenen Handlung aussetzen kann.

Ein déjà-vu

Das Urteil Scott dürfte für die vorliegende Rechtssache ohne weiteres zum Tragen kommen. Denn, das Pikante an dem gegenwärtigen Verfahren: Gegenstand des Urteils in der Rechtssache Scott war just jene französische Verfahrensvorschrift, die auch im vorliegenden Rückforderungsverfahren zur aufschiebenden Wirkung führt. Auf die nach der nationalen Verfahrensordnung vorgesehenen aufschiebende Wirkung der von den Beihilfenempfängern eingelegten Einsprüche dürfte Frankreich sich daher nicht berufen können. Aller Voraussicht nach wird der Gerichtshof feststellen, dass die Französische Republik dadurch gegen ihre Verpflichtungen aus Artikel 288 Absatz 4 AUV und den Artikeln 3 und 4 der Entscheidung 2015/1226/EU verstoßen hat, dass sie nicht innerhalb der festgesetzten Frist alle erforderlichen Maßnahmen ergriffen hat, um die in dieser Entscheidung angeführten Beihilfen vom Beihilfeempfänger zurückzufordern. Das Verfahren verspricht unter diesem Gesichtspunkt also keine besonderen Überraschungen.

Anhand des vorliegenden Verfahrens lassen sich aber noch einmal die Grundsätze vergegenwärtigen, die der Gerichtshof für die Anwendbarkeit des nationalen Verfahrensrechts bei der Rückforderung der von der Kommission als mit dem gemeinsamen Markt nicht vereinbar erklärten Beihilfen aufgestellt hat.

  • Zum einen zeigt sich gerade im Hinblick auf das Institut der „aufschiebenden Wirkung“ die Bereitschaft des Gerichtshofes im Interesse einer effektiven Durchsetzung des Beihilfenrechts auch solche Regelungen des Mitgliedstaatlichen Verfahrens unangewendet zu lassen, die für einen effektiven Rechtsschutz von besonderem Stellenwert sind.
  • Des Weiteren ist wird sehr deutlich, dass der Grundsatz der mitgliedstaatlichen Verfahrensautonomie nur in dem Maße Geltung beanspruchen kann, in dem sie Erfordernisse der Effektiven Durchsetzung nicht beeinträchtigen.

Rechtslage in Deutschland

Im deutschen Verwaltungsrecht enthält § 80 Abs. 1 S. 1 VwGO eine der streitbefangenen französischen Vorschrift vergleichbare Regelung, wonach Widerspruch und Anfechtungsklage aufschiebende Wirkung haben. In seiner Bekanntmachung über die Rückforderung unionsrechtswidrig gewährter staatlicher Beihilfen vom 3. Februar 2015 hat das Bundeswirtschaftsministerium die sich aus der Rechtsprechung des Gerichtshofes für die deutsche Rechtslage ergebenden Konsequenzen gezogen, wonach „auch Widerspruch und Anfechtungsklage vor nationalen Gerichten gegen die Aufhebung oder die Rückforderung (…) (z.B. nach § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 VwGO) keine aufschiebende Wirkung haben dürfen“. Die Bekanntmachung geht damit offenbar von einer Verpflichtung der Rückforderungsbehörden aus, in jedem Fall die sofortige Vollziehbarkeit des Rückforderungsbescheides anzuordnen.

Fazit und Ausblick

Während im Gesetzgebungsprozess zur VO 659/99 noch eine gewisse Unsicherheit im Hinblick auf das Schicksal der aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen im nationalen Verfahren zum Ausdruck kam, ist diese Frage heute, nachdem sich der EuGH im Sinne einer effektiven Durchsetzung des Beihilfenrechts positioniert hat, als überwundenes Rechtsproblem anzusehen. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass der Antrag der Kommission auf Feststellung der Vertragsverletzung Frankreichs Erfolg haben wird. Die Rückforderungsbekanntmachung des Bundeswirtschaftsministeriums hat angesichts der eindeutigen Rechtslage hierauf reagiert und die notwendigen Konsequenzen gezogen.

*Diesen Beitrag schrieb Dr. Jan Wolters während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.

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