Sind öffentliche Unternehmen mit einer impliziten unbeschränkten Bürgschaft ein bevorzugter Vertragspartner?
Probleme der Nachweisbarkeit eines beihilferechtlichen Vorteils auf der Grundlage von Factoringleistungen im Lichte der „IFP“-Entscheidung des EuG
Das Gericht hat mit Urteil vom 26. Mai 2016 (Urteil in den verbundenen Rechtssachen T-479/11 und T-157/12 Frankreich und IFP Énergies nouvelles/Kommission) den Beschluss der Kommission, die implizite unbeschränkte Bürgschaft des französischen Staates zugunsten des Institut Français du Pétrole als staatliche Beihilfe einzustufen, für nichtig erklärt. Das Gericht stützt seine Entscheidung unter anderem auf den unzureichenden Nachweis eines tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteils durch diese Bürgschaft.
Sachverhalt:
Das Institut Français du Pétrole ist eine französische öffentliche Einrichtung, die auch solche Leistungen erbringt, die als wirtschaftliche Tätigkeit im Sinne des Beihilfebegriffs einzustufen sind (zB Technologietransfer und Auftragsforschung).
Im Jahr 2006 wurde das Unternehmen in eine juristische Person des öffentlichen Rechts umgewandelt (sog. EPIC). Bis dato war das IFP ein unter wirtschaftlicher und finanzieller Kontrolle der französischen Regierung stehendes Unternehmen des Privatrechts.
In ihrem Beschluss kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass dem Unternehmen mit dem neuen Status als öffentliches Unternehmen eine unbeschränkte staatliche Bürgschaft für sämtliche Tätigkeiten gewährt worden sei (Beschluss 2012/26/EU der Kommission vom 29. Juni 2011 über die staatliche Beihilfe C 35/08 (ex NN 11/08) Frankreichs zugunsten des „Institut Français du Pétrole“ (ABl. 2012, L 14, S. 1).
Die Kommission stellte für diese Bewertung maßgeblich auf den Umstand ab, dass das Unternehmen nicht den allgemeinen Vorschriften des Insolvenzverfahrens unterliegt und somit die Gläubiger des Unternehmens nicht das Risiko tragen, mit ihrer Forderung auszufallen.
Aus der Sicht der Kommission stellte dieser Umstand einen tatsächlichen wirtschaftlichen Vorteil gegenüber den Wettbewerbern der IFP dar, welche ihrerseits dem Insolvenzrecht unterliegen. Sie begründete dies im Wesentlichen mit der Annahme, dass die Lieferanten und Kunden diesem aufgrund des fehlenden Ausfallrisikos Vorzugskonditionen gegenüber seinen Wettbewerbern einräumen.
Das Verfahren:
Frankreich und das Unternehmen selbst wandten sich mit ihren Klagen unter anderem gegen die Feststellung der Kommission zum Vorliegen eines wirtschaftlichen Vorteils. Das Gericht hat sich den Klägern in diesem Punkt angeschlossen.
Die Kommission hat aus der Sicht des Gerichts nicht dargetan, dass die Lieferanten das IFP wegen der Bürgschaft günstiger behandeln, z. B., indem sie die Preise für ihre Waren oder Dienstleistungen senken und damit eine günstigere Bewertung seines Ausfallrisikos zum Ausdruck bringen. Im Hinblick auf die Geschäftsbeziehungen der IFP zu seinen Kunden führte das Gericht aus, dass die Kommission nicht nachgewiesen hat, weshalb die Kunden von Forschungsinstituten dem Insolvenzrisiko ihres Vertragspartners durch Erfüllungsbürgschaften oder Best-effort-Garantien vorbeugen sollten und die Kunden eines Unternehmens mit dem Status des IFP dazu neigen sollten, keine solchen Sicherheiten zu verlangen.
Bewertung:
Das Urteil, welches bislang nur in französischer Sprache vorliegt, legt mit seinen Ausführungen zum Nachweis der Hypothese des „bevorzugten Vertragspartners“ gewissermaßen den Finger in die Wunde. Insofern zeigt eine Lektüre der Kommissionsentscheidung ganz deutlich, wie schwer es in der Praxis ist, Nachweis darüber zu führen, dass erstens auf Seiten der Geschäftspartner das fehlende Ausfallrisiko als wertbildender Faktor wahrgenommen wird und dass sich dies zweitens tatsächlich in den Vertragskonditionen zugunsten des IFP niederschlägt.
Dies wird besonders im Zusammenhang mit den Ausführungen der Kommission zu den Geschäftsbeziehungen des IFP zu seinen Lieferanten deutlich: Im Hinblick auf die Geschäftsbeziehungen zu den Lieferanten misst die Kommission die Preissenkung, die auf der günstigeren Bewertung des Ausfallrisikos eines EPIC durch seine Lieferanten beruht, anhand der sog. äquivalenten Risikoübernahmekosten. Also den Kosten, die einem Lieferanten normalerweise entstehen würden, wenn er sich gegen das Risiko des Ausfalls seines Vertragspartners vollständig absichern möchte. Derartige Risikoübernahmeleistungen werden von Factoringgesellschaften angeboten. Die Kommission vergleicht nun, vereinfacht ausgedrückt, wie häufig und zu welchen Kosten Leistungen des Forderungskaufs von Lieferanten des IFP in Anspruch genommen werden mit dem Umfang der Factoringleistungen, die von Lieferanten vergleichbarer Unternehmen ohne eine implizite staatliche Bürgschaft beansprucht werden sowie mit den Factoringleistungen, wie sie vor der Überführung des IFP in einen öffentlichen Status in Anspruch genommen wurden.
Diese Methode ist durchaus angreifbar, denn, wie die Kommission selbst einräumt, dient Factoring nicht nur der Beseitigung des Ausfallrisikos. Vielmehr wird der Forderungsverkauf von Unternehmen in der Praxis auch eingesetzt, um einen Liquiditätsvorschuss zu erlangen, oder schlicht um den Forderungseinzug auszulagern. Da im konkreten Fall keine Erkenntnisse darüber vorliegen, in welcher Funktion der Forderungsverkauf erfolgt, lässt der Umfang des Factoring auch keine sichere Aussage über den Stellenwert des Ausfallrisikos zu.
Dieser Schwachpunkt des Kommissionsansatzes schlägt sich in der Entscheidung deutlich nieder: Ausgehend von der Annahme, dass die Zahlungen des IFP an Factoringgesellschaften im Jahr 2006 zugenommen haben, folgert Frankreich, dass die Überführung des Unternehmens in den öffentlichen Status nicht zu einer veränderten Wahrnehmung vom Ausfallrisiko des IFP geführt hätten, da Factoringleistungen von diesem Zeitpunkt seltener oder sogar gar nicht mehr in Anspruch genommen worden wären. Diesem Argument tritt die Kommission mit einer nicht ohne weiteres nachvollziehbaren Begründung entgegen. Die Ausführungen der Kommission werden wörtlich wiedergegeben, da sie die methodische Schwäche des Prüfansatzes der Kommission in diesem Punkt selbst am besten zum Ausdruck bringen: „Da die Inanspruchnahme des Factorings (…), immer häufiger mit dem Liquiditätsbedarf (…) und immer seltener mit der Übernahme des Ausfallrisikos (…) zusammenhängt und es nicht möglich ist, anhand der Bücher des IFP die von seinen Lieferanten in Anspruch genommenen Factoringleistungen zu unterscheiden, vertritt die Kommission im Gegenteil die Auffassung, dass die vom IFP festgestellte Entwicklung ihre Argumentation keineswegs entkräftet und erst recht nicht beweist, dass die Lieferanten des IFP nach dessen Umwandlung mit einem gestiegenen Ausfallrisiko gerechnet hätten.“
Diese Aussage ist problematisch, denn sie steht mit dem von der Kommission selbst gewählten Ansatz der Ermittlung des Vorteils im Widerspruch. Der Ansatz der Kommission fußt ja gerade auf der Annahme, dass die äquivalenten Risikoübernahmekosten durch den Umfang der Factoringleistungen abgebildet werden können. Dies setzt aber zwingend voraus, dass der Forderungsverkauf von der Kommission ausschließlich als Mittel zur Beseitigung des Ausfallrisikos verstanden wird. Damit ist entgegen der Auffassung der Kommission die Feststellung einer Zunahme der Factoringleistungen von Lieferanten nach der Umwandlung des Unternehmens sehr wohl geeignet, die Annahme zu entkräften, dass der Markt das fehlende Ausfallrisiko wahrnimmt. Deshalb widerspricht die Kommission ihrem eigenen Ansatz, wenn sie die Feststellungen Frankreichs mit den übrigen Funktionen des Factorings erklärt.
Schließlich ist zwar richtig, dass diese Entwicklung des Factoring (ebensowenig) beweist, dass „die Lieferanten des IFP nach dessen Umwandlung mit einem gestiegenen Ausfallrisiko gerechnet hätten.“ Diese Feststellung ist indes neben der Sache, da die Kommission die Beweislast dafür trägt, dass die Lieferanten nach der Umwandlung mit einem gesunkenen Ausfallrisiko gerechnet hätten. Und dies kann sie, wie soeben dargelegt, aufgrund der dreifachen Funktion des Factorings eben nicht.
Ausblick:
Die Kommission vertritt in jüngerer Zeit die Hypothese des bevorzugten Vertragspartners bei der beihilferechtlichen Bewertung von impliziten Bürgschaften durch fehlende Insolvenzfähigkeit. Die Rechtssache IFP zeigt, wie schwer es in der Praxis mitunter sein dürfte, den Nachweis zu führen, dass ein Unternehmen in der Beziehung zu Lieferanten und Kunden ein bevorzugter Vertragspartner ist.
*Diesen Beitrag schrieb der Autor während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.