Was lange währt – wird endlich gut? Notion of Aid reloaded

Am 19. Mai 2016 hat die Kommission die „Notion of Aid“ veröffentlicht http://ec.europa.eu/competition/state_aid/modernisation/notice_of_aid_de.pdf

Diese Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff ist der letzte Baustein der State aid modernisation, der noch unter Vizepräsident und Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia angestoßen wurde. Zwei Jahre sind nunmehr nach der Veröffentlichung des ersten Entwurfs vergangen. Große Begeisterung hatte die Kommission mit ihrem Ansatz, alle Fragen rund um den Beihilfentatbestand des Art. 107 Abs. 1 AEUV in einem Papier lösen zu wollen, in 2014 nicht ausgelöst. Im Rahmen der Konsultation wurde dabei zum einen die grundsätzliche Frage gestellt, ob ein solches Papier überhaupt gebraucht werde. Zum anderen wurde kritisiert, dass die Kommission mit ihrer Bekanntmachung bewusst versuche, ihre Entscheidungspraxis und die Rechtsprechung der Europäischen Gerichte „zu kanalisieren“.

Notion of Aid 2016

Im Vergleich zu der ersten Version aus 2014 ist die Notion of Aid 2016 um ganze neun Seiten stärker und umfasst nun also 68 Seiten. Diese Gewichtszunahme ist dabei entscheidend auf die Ergänzungen zum Thema „Infrastruktur“ zurückzuführen. Macht sich die Kommission dabei die Mühe, auf die beihilferechtlichen Besonderheiten und Regelungen unterschiedlicher Infrastrukturen einzugehen, ist es doch bedauerlich, dass sie dabei den Bereich der Multifunktionshallen und Sportstätten sowie den Hinweis auf die Freistellung dieser Infrastrukturbeihilfen in Art. 55 AGVO auslässt.

Unabhängig davon konnten bislang im Zusammenhang mit der staatlichen Finanzierung von Infrastrukturprojekten einige beihilferechtliche Themen noch nicht abschließend geklärt werden. Zu den offenen Fragen gehört neben der Abgrenzung zwischen wirtschaftlichem und nicht-wirtschaftlichem Betrieb konkreter Infrastrukturen, die Prüfung der beihilferelevanten Begünstigung auf Betreiber- und Nutzerebene. Zu diesen beiden Punkten versucht die Kommission nun in ihrer Notion of Aid 2016 Licht ins Dunkel zu bringen.

Wirtschaftliche und nicht-wirtschaftliche Nutzung einer Infrastruktur

Nach der Rechtsprechung zu der Rechtssache Leipzig-Halle entscheidet die spätere Nutzung einer Infrastruktur bereits über den beihilferechtlichen Charakter ihrer Errichtung. Im Ergebnis enthält bereits die staatliche Finanzierung des Baus einer wirtschaftlich genutzten Infrastruktur daher eine Beihilfe iSd. Art. 107 Abs. 1 S. 1 AEUV. Die Kommission stellt in der Notion of Aid 2016 noch einmal klar, dass staatliche Infrastrukturfinanzierung in hoheitlichen Bereichen wie u.a. militärische Einrichtungen, Flugsicherung, Leuchttürme, im öffentlichen Interesse erfolgende Flutsicherung, Polizei und Zoll von der Beihilfekontrolle ausgenommen ist. Das gelte im Übrigen auch für Infrastrukturen, „die nicht genutzt würden, um Waren und Dienstleistungen auf einem Markt anzubieten“. Als Beispiel für den zuletzt genannten Punkt wird die unentgeltliche Nutzung von Straßen genannt.

Werden Infrastrukturen dabei sowohl wirtschaftlich als auch nicht-wirtschaftlich bzw. hoheitlich genutzt, ist damit nur der wirtschaftliche Teil beihilferelevant. Dennoch muss der Mitgliedstaat sicherstellen, dass keine Quersubventionierung des wirtschaftlichen durch die staatliche Finanzierung des nicht-wirtschaftlichen/hoheitlichen Bereichs erfolgt. Eine getrennte Buchführung ist da hilfreich.

Im Fall der gemischten Nutzung einer Infrastruktur, deren Schwerpunk jedoch auf einer überwiegend nicht-wirtschaftlichen Nutzung liegt, ist die gesamte Finanzierung unter Umständen beihilfenfrei. Dafür darf es sich bei der wirtschaftlichen Tätigkeit aber nur um eine Nebentätigkeit handelt, die mit der Haupttätigkeit eng verbunden und erforderlich ist oder in untrennbarem Zusammenhang mit der nicht-wirtschaftlichen Tätigkeit steht. Davon ist auszugehen, wenn beide Bereiche auf dieselben Maschinen und Anlagen, Materialien, Ausrüstungen und identisches Personal zugreifen können. Als Beispiel nennt die Kommission die zeitweilige Vermietung von Laboratorien von Forschungseinrichtungen an die Industrie. Voraussetzung ist dabei jedoch, dass nicht mehr als 20% der jährlichen Kapazitäten der Infrastruktur wirtschaftlich genutzt werden.

Übliche Zusatzleistungen zu einer nicht-wirtschaftlich genutzten Infrastruktur wie z.B. Restaurants oder zahlungspflichtige Parkplätze stuft die Kommission dabei mangels Handelsbeeinträchtigung gar nicht erst als Beihilfe ein.

Die Handelsbeeinträchtigung einer Infrastruktur insgesamt schließt die Kommission dabei für Infrastrukturen mit rein lokalem Einzugsbereich für den Fall nachweislich nur marginaler Auswirkung auf grenzüberschreitende Investitionen aus. Daneben geht die Kommission vom Fehlen einer Handelsbeeinträchtigung aus, wenn eine Infrastruktur keinem unmittelbaren Wettbewerb ausgesetzt ist, in dem entsprechenden Sektor nur geringe private Finanzierungsmöglichkeiten zur Verfügung stehen, und die Infrastruktur polyvalent für die gesamte Gesellschaft nutzbar ist.

Ausschluss beihilferelevanter Begünstigung auf Betreiber- und Nutzerebene

Im Rahmen von beihilferechtlichen Überprüfungen von Infrastrukturprojekten (z.B: Multifunktionsarenen, Seehäfen) prüfte die Kommission grundsätzlich das Vorliegen einer Beihilfe auf Errichter-, Betreiber- und Nutzerebene. Soweit auf Betreiberebene für den Betrieb der Infrastruktur ein marktübliches Entgelt gezahlt wird, kann eine beihilferelevante Begünstigung ausgeschlossen werden. Ob für die Ermittlung eines marktüblichen Entgelts die Durchführung eines Bietverfahrens ausreicht, schien nach der bisherigen Beschlusspraxis der Kommission nicht wirklich geklärt. Insbesondere im Bereich der Multifunktionsarenen hat sich die Kommission auf den Standpunkt gestellt, dass trotz Durchführung eines offenen, transparenten und diskriminierungsfreien Bietverfahrens die Begünstigung des Betreibers nicht ausgeschlossen werden könne, da „dieser die Kosten für den Bau der Infrastruktur nicht in voller Höhe zu tragen hat“ z.B. Staatliche Beihilfe SA.35135 Multifunktionsarena der Stadt Erfurt http://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/245994/245994_1426006_91_2.pdf und damit eine Begünstigung vorliege. Auf der anderen Seite erachtete die Kommission eine Ausschreibung für die Ermittlung weiterer Betreiber einer Hafeninfrastruktur als ausreichend, um eine beihilferelevante Begünstigung auszuschließen Staatliche Beihilfe SA.39177 Port of Baja http://ec.europa.eu/competition/state_aid/cases/256486/256486_1691770_114_2.pdf

In der Notion of Aid 2016 verweist die Kommission zu der Frage der Ermittlung der marktüblichen Vergütung eines Infrastrukturbetreibers auf den Abschnitt 4.2. der Bekanntmachung und stellt klar, dass ein beihilferelevanter Vorteil ausgeschlossen werden könne, wenn die Konzession für den Betrieb der Infrastruktur im Rahmen eines Ausschreibungsverfahrens vergeben wird (s. dazu unten ausführlich).

Eine Beihilfe kann auf Ebene der Nutzer unter Heranziehung des MEOT ebenfalls durch ein Bietverfahren ausgeschlossen werden. Wenn ein solches Verfahren nicht möglich ist, verweist die Kommission auf einen Vergleich mit Mieten oder Pachtgebühren, die von Privaten in vergleichbaren Situationen vereinbart wurden (Benchmarking). Bringen weder das Ausschreibungsverfahren noch das Benchmarking Erhellung zur marktüblichen Nutzungsgebühr, bleibt der Rückgriff auf weitere Standardbewertungsmethoden. Bei der Festlegung der Nutzungsgebühr sollten alle inkriminellen Einnahmen und alle erwarteten inkreminellen Kosten, die dem Betreiber anteilig im jeweiligen Nutzungsverhältnis entstehen, berücksichtigt werden. In dem Zusammenhang verweist die Kommission auf ihren Beschluss „Propapier“, staatliche Beihilfe SA.36147 http://eur-lex.europa.eu/legal-content/DE/TXT/?uri=uriserv:OJ.L_.2015.089.01.0072.01.DEU&toc=OJ:L:2015:089:FULL Dieser Ansatz wurde auch bei der Prüfung anderer Infrastrukturmaßnahmen (vor allem Flughafen-, Hafen- und Forschungsinfrastrukturen) zugrunde gelegt.

 

Ermittlung des Marktpreises zwischen Vergabe- und Beihilfenrecht

Grundsätzlich geht die Kommission in der Notion of Aid 2016 davon aus, dass die Durchführung eines transparenten, offenen (wettbewerblichen) und bedingungsfreien Ausschreibungsverfahrens auf Grundlage der aktuellen Vergaberichtlinien den Verkauf zu Marktkonditionen sicherstellt. Das eigentlich Interessante findet sich dabei im Kleingedruckten (Fußnote 146) und in den Randnummern 90 – 94. Ohne von der bisherigen Spruchpraxis der Gerichte hinsichtlich der materiellen Voraussetzungen abweichen zu wollen, stellt die Kommission klar, dass sie die Durchführung eines offenen Bietverfahrens nicht mit einem „offenen Ausschreibungsverfahren“ iSd. Vergaberechts gleichsetzt. Ein offenes Verfahren sei vielmehr im Sinne eines wettbewerblichen Verfahrens zu verstehen. Also ein Verfahren, an dem alle interessierten und qualifizierten Bieter teilnehmen können.

Welche Vergabeverfahren diese Voraussetzungen erfüllen, führt die Kommission jedoch nicht aus. Bislang war sie in dem Entwurf der Notion of Aid aus 2014 (aber auch in der DawI-Mitteilung bzw. dem FAQ zu DawI) davon ausgegangen, dass das offene und das nicht-offene Vergabeverfahren diese Voraussetzungen erfüllen. Gleichzeitig hatte die Kommission in beiden Papieren ausgeführt, dass der wettbewerbliche Dialog und das Verhandlungsverfahren mit Veröffentlichung einer Bekanntmachung unter Umständen die Teilnahme interessierter Bieter einschränke und daher beide Verfahren nur in Ausnahmefällen als ausreichend angesehen, um den Marktpreis zu ermitteln. Diese klaren Ausführungen fehlen aktuell. Deutlich macht die Kommission in der Notion of Aid 2016 indes (wie auch in den o.g. älteren Papieren), dass die Durchführung eines Verhandlungsverfahrens ohne vorherige Bekanntmachung für die Ermittlung des Marktpreises nicht herangezogen werden könne.

Unklar bleibt an dieser Stelle das Verhältnis zwischen vergaberechtlichen und beihilferechtlichen Vorgaben für den Fall einer Inhouse-Vergabe. Der DawI-Mitteilung ist dagegen klar zu entnehmen, dass auch in Fällen, in denen keine rechtliche Verpflichtung zur Ausschreibung besteht, eine offene, transparente und diskriminierungsfreie öffentlichen Ausschreibung eine angemessene Methode ist, um verschiedene potenzielle Angebote vergleichen zu können. Ein Hinweis auf die Durchführung eines entsprechenden Bietverfahrens auch für den Fall, dass die Vergabevorschriften keine Anwendung finden, fand sich ebenfalls in der Notion of Aid 2014. Diese klare Aussage fehlt in der aktuellen Version.

Für den Fall, dass nur ein Angebot vorliegt, geht die Kommission davon aus, dass ein solches Verfahren grundsätzlich nicht ausreiche, den Marktpreis zu ermitteln. Soweit jedoch besonders strenge Vorkehrungen in dem Ablauf des Verfahrens einen echten und effektiven Wettbewerb gewährleisten und es nicht offensichtlich ist, dass nur ein glaubwürdiges Angebot abgegeben werden kann oder die öffentlichen Behörden durch „zusätzliche Maßnahmen“ sicherstellen, dass das Ergebnis tatsächlich dem Marktpreis entspricht, kann auch bei Vorliegen nur eines Angebots von der Ermittlung des marktüblichen Preises ausgegangen werden.

Als „zusätzliche Maßnahmen“ dürfte hier insbesondere eine gutachterliche Bewertung im Rahmen eines Benchmarking in Betracht kommen. Ein ausdrücklicher Hinweis auf die Erstellung eines unabhängigen Wertgutachtens zur Ermittlung der Marktüblichkeit, wie er sich noch in der Grundstücksmitteilung oder auch im XXIII Wettbewerbsbericht gefunden hat, findet sich in der Notion of Aid 2016 nicht mehr. Die Spruchpraxis der Europäischen Gerichte präferiert zwar eindeutig im Zusammenhang mit dem Verkauf von Unternehmen die Durchführung eines transparenten, offenen und bedingungsfreien Bietverfahrens. Damit erhalte man bessere Näherungswerte als durch unabhängige Wertgutachten, die unabhängig von den gewählten Methoden und Parametern auf einer nur prognostischen Prüfung beruhten. Ausgeschlossen wird die Bestimmung des Marktpreises über ein Wertgutachten in der Rechtsprechung jedoch nicht. Insbesondere für den Fall, dass gar kein Ausschreibungsverfahren durchgeführt wurde oder dieses nicht offen, transparent und bedingungsfrei gewesen ist, wird die Bestimmung des Marktpreises im Wege eines Wertgutachtens durchaus als sinnvoll erachtet. (EuG, Urteil vom 28.2.2012 verb. Rs. T-268/08 und T-281/08 „Bank Burgenland“) http://curia.europa.eu/juris/document/document.jsf?text=&docid=119763&pageIndex=0&doclang=DE&mode=req&dir=&occ=first&part=1

Die Kommission erkennt in ihrer Notion of Aid 2016 auch die grundsätzliche Differenz zwischen Vergabe und Beihilfenrecht: ein vergaberechtlicher Zuschlag erfolgt in der Regel an das wirtschaftlichste Gebot. Bei der beihilferechtlichen Bewertung des Einkaufs von Waren und Dienstleistungen durch die öffentliche Hand hat dabei der Abschluss des Vertrages mit dem günstigsten Bieter zu erfolgen, um den MEOT zu bestehen. Die Kommission fordert daher, dass das „wirtschaftlich günstigste Angebot dem Marktwert“ zu entsprechen habe, indem der „Preis-Komponente“ des Angebots großes Gewicht beigemessen werde.

Gute Ansätze – offene Fragen bleiben

Die Bekennung des Beihilfenrechts zum Vergaberecht im Rahmen des MEOT erscheint sinnvoll und naheliegend. Ob damit aber alle Probleme gelöst werden können, erscheint fraglich. Unabhängig von den Vorschriften des Vergaberechts bleibt die Verpflichtung, ein offenes (wirtschaftliches), transparentes und bedingungsfreies Bietverfahren durchzuführen. Dies führt dazu, dass ein Verhandlungsverfahren ohne vorgeschaltete Bekanntmachung für ein Bestehen des MEOT nicht ausreicht. Ob ein wettbewerbliches Verfahren oder ein Verhandlungsverfahren mit vorheriger Bekanntmachung diese Voraussetzungen erfüllen, wird wohl im Einzelfall zu prüfen sein.

Eine Beauftragung für die Erbringung einer Dienstleistung im Wege einer Inhouse-Vergabe erscheint grundsätzlich nicht geeignet, die Kriterien eines offenen (wirtschaftlichen), transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens zu erfüllen. Wie für den Fall, dass nur ein Angebot vorliegt, sollte hier jedoch die Möglichkeit bestehen, die Marktüblichkeit durch ein Benchmarking im Rahmen eines Gutachtens zu belegen.

Problematisch erscheint aus meiner Sicht der Versuch der Kommission, das wirtschaftlichste dem günstigsten Angebot angleichen zu wollen, um bei einem Vergabeverfahren den MEOT zu bestehen. Im Vergaberecht sind aufgrund landes- oder kommunalrechtlicher Vorgaben zur Leistungsbeschaffung regelmäßig auch Sekundärziele zu berücksichtigen (z.B. innovative oder umweltpolitische Aspekte). Jede Beschaffung steht dabei unter dem Gebot der Wirtschaftlichkeit. Der Zuschlag ist – unter Berücksichtigung aller Umstände – dem wirtschaftlichsten Angebot zu erteilen. Die Zuschlagskriterien sind in der Vergabebekanntmachung oder den Vergabeunterlagen (unter Angabe der Gewichtung bei EU-Ausschreibungen) enthalten. Der niedrigste Preis allein ist nicht entscheidend, es sei denn es sind keine Kriterien angegeben.

Beihilferechtlich fordert die Kommission nun die Festlegung des Preises als Hauptkriterium im Rahmen eines Vergabeverfahrens für den Beleg der Marktüblichkeit. Müsste damit nicht konsequenterweise der Preis in jedem vergaberechtlichen Beschaffungsvorgang der öffentlichen Hand das Hauptkriterium darstellen, um beihilferechtliche Risiken wie Beschwerden von Wettbewerbern und die Nichtigkeit des Vertrages zu reduzieren? Es wird sich wohl erst noch zeigen müssen, wie dieser Eingriff des Beihilfenrechts in das Vergaberecht durch die Hintertür der Notion of Aid 2016 tatsächlich gelebt wird.

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