Keine Diskriminierung durch mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfen

In zwei Urteilen vom 17.02.2021 (Rechtssachen T-259/20 und T-238/20) hatte das EuG zum ersten Mal über die Nichtigkeit von Kommissionsbeschlüssen im Zusammenhang mit COVID-19-Beihilfen zu entscheiden.

Den Anfang machte damit Ryanair – ein Kläger mit einschlägigen Erfahrungen im Beihilfenrecht. Die Luftverkehrsgesellschaft fühlte sich aufgrund eines in Frankreich im Rahmen der COVID-19 Pandemie eingeführtes Zahlungsmoratoriums für Steuern zur Unterstützung von Luftfahrtunternehmen und einer von Schweden im Rahmen der COVID-19 Pandemie eingeführte Regelung über Darlehensgarantien zur Unterstützung von Luftfahrtunternehmen diskriminiert. In beiden Fällen blieben die Klagen jedoch ohne Erfolg.

Der Klagevorwurf von Ryanair

Die Klagen Ryanairs betreffen unterschiedliche Maßnahmen – von Ad-Hoc-Maßnahmen bis zu Beihilferegelungen – deren Genehmigungen die Kommission teils auf Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV (so bspw. in dem in der Rechtssache T-259/20 angefochtenen Beschluss) und teils auf Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV (so bspw. in dem in der Rechtssache T-238/20 angefochtenen Beschluss) stützt. Die Maßnahmen begünstigen dabei unterschiedliche Fluggesellschaften in beiden Mitgliedstaaten. Ryanair wirft der Kommission vor, die bei paneuropäischen Fluggesellschaften im Rahmen der COVID-19 Pandemie entstandenen Schäden außer Acht gelassen zu haben und es den Mitgliedsstaaten so erlaubt zu haben, Beihilfen ausschließlich bestimmten Airlines vorzubehalten.

Den gleichförmigen textbausteinartigen Klagen liegen im Kern die gleichen Klagegründe zugrunde (siehe exemplarisch die Klage in der Rechtssache T-259/20):

Die Beschlüsse der Kommission würden gegen die besonderen Vorschriften des AEUV und die allgemeinen Grundsätze des Unionsrechts hinsichtlich des Verbots der Diskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und des freien Dienstleistungsverkehrs verstoßen;

die Kommission habe einen offensichtlichen Beurteilungsfehler bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit der Beihilfe bezüglich des Schadens begangen oder gegen den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit verstoßen.

Die Entscheidungen des EuG

Das EuG hat beide Klagen aus übereinstimmenden Erwägungen abgewiesen.

Zunächst stellt das EuG fest, dass Art. 18 Abs. 1 AEUV insofern eine Einschränkung erfährt, dass Diskriminierungen aus Gründen der Staatsangehörigkeit unbeschadet besonderer Bestimmungen der Verträge (d.h. u.a. des AEUV) verboten sind. Da Art. 107 Abs. 2 und Abs. 3 AEUV solche besonderen Bestimmungen darstellen, ist die Vereinbarkeit der jeweiligen Maßnahme mit dem Unionsrecht am Maßstab dieser Vorschriften zu prüfen.

Nach Einschätzung des EuG stellen die jeweiligen Maßnahmen nach diesen Grundsätzen keine verbotene Diskriminierung dar. Die Voraussetzungen des Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV (in der Rechtssache T-259/20) und des Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV (in der Rechtssache T-238/20) sind erfüllt.

In einem Fall bedeuten die erlassenen Verkehrsbeschränkungs- und Eindämmungsmaßnahmen als Reaktion auf die Pandemie ebenso wie die Pandemie selbst ein außergewöhnliches Ereignis im Sinne des Art. 107 Abs. 2 Buchst. b AEUV. In dem anderen Fall hat die Pandemie zu einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben im Sinne des Art. 107 Abs. 3 Buchst. b AEUV geführt.

Das EuG kommt zu dem Ergebnis, die als Reaktion auf die Folgen der Pandemie erlassenen Maßnahmen gehen nicht über das hinaus, was zur Beseitigung der entstandenen Schäden bzw. zur Behebung der durch die Pandemie entstandenen beträchtlichen Störung erforderlich ist. Die Maßnahmen sind insofern verhältnismäßig.

Hierbei schob das Gericht ausdrücklich dem wohl eigentlichen Ansinnen Ryanairs, bei den Beihilferegelungen der jeweiligen Mitgliedsstaaten berücksichtigt zu werden, einen Riegel vor. Das Gericht erläutert jeweils ausführlich, dass eine Erstreckung der jeweiligen Regelung auf nicht in dem Mitgliedsstaat ansässige Unternehmen wohl nicht verhältnismäßig wäre. Im Falle Schweden stellen die für eine Beihilfe in Betracht kommenden Unternehmen die Anbindung Schwedens durch die Beförderung von sowohl Fracht als auch Passagieren auf regelmäßigen Verbindungen von und nach Schweden sicher. Im Falle Frankreichs sind die für eine Beihilfe in Betracht kommenden Unternehmen am stärksten von den Eindämmungs- und Verkehrsbeschränkungsmaßnahmen betroffen. Die Erstreckung der Regelungen auf paneuropäische, nicht ortsansässige Unternehmen würde dazu führen, dass diese Zwecke nur weniger präzise und mit einem höheren Risiko der Überkompensation erreicht werden könnten.

Hinsichtlich des von Ryanair gerügten Verstoßes gegen den in Art. 56 AEUV verankerten freien Dienstleistungsverkehr beschränkte sich das EuG auf die Feststellung, dass die Grundfreiheit nicht auf den einer besonderen rechtlichen Regelung unterliegenden Verkehrsbereich anwendbar ist. Die Festlegung der Voraussetzungen des Grundsatzes des freien Dienstleistungsverkehrs im Luftsektor ist in der Verordnung Nr. 1008/2008 erfolgt. Einen Verstoß gegen die Verordnung hat Ryanair aber nicht geltend gemacht.

Auch den Vorwurf eines offensichtlichen Fehlers der Kommission bei der Beurteilung des Wertes des gewährten Vorteils lehnte das EuG unter kurzem Hinweis darauf ab, dass die Höhe der den Unternehmen entstandenen Schäden den Gesamtbetrag der jeweiligen Beihilfe höchstwahrscheinlich bei weitem übersteigen wird, sodass eine Überkompensation auszuschließen ist.

Fazit

Die Praxis der Gewährung von Beihilfen für ein Unternehmen als einzelfallbezogene Ermessensentscheidung kann als solche keine unzulässige Diskriminierung sein. Die EU-Beihilfenkontrolle dient nicht dazu, über den Umweg Diskriminierungsverbot oder Grundfreiheiten zu einer Verteilungskontrolle ausgeweitet zu werden.

Den dahingehenden Ansatz Ryanairs hat das EuG unter klarer Herausarbeitung des Zusammenspiels zwischen den Vorschriften über staatliche Beihilfe und der in Art. 18 AEUV geregelten Nichtdiskriminierung aus Gründen der Staatsangehörigkeit und den Vorschriften über den freien Dienstleistungsverkehr folgerichtig abgelehnt. So findet insbesondere Art. 18 AEUV seine Einschränkung in den Beihilfevorschriften, wenn deren Voraussetzungen eingehalten sind.

Das EuG nutzte die Gelegenheit, Ryanair auch über diese Erwägungen hinaus in seinem Ansinnen, dass die jeweils von einem Mitgliedstaat gewährten Beihilfen nicht nur bestimmten Airlines vorbehalten sein sollten, in die Schranken zu weisen. Das Gericht stellte – eingerahmt in die Prüfung des Art. 107 AEUV – klar, dass in den rechtmäßigen Beihilferegelungen der Mitgliedsstaaten nicht nur keine Diskriminierung Ryanairs bestehe, sondern dass umgekehrt eine Erstreckung der Regelungen auf nicht ortsansässige Luftfahrtunternehmen zu einer Unverhältnismäßigkeit der Regelung führen würde.

*Diesen Beitrag schrieb Christopher Hanke während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Ulrich B.

    Wieder ein sehr informativer Beitrag. Auf den Punkt gebracht!

  2. Tobias Traupel

    Man könnte wohl noch etwas weiter gehen: das Beihilferecht begründet keinen Anspruch auf Subventionierung. Allerdings könnte man sich fragen, ob ein paneuropäischer Anbieter, der Slots zur Aufrechterhaltung der Anbindung eines Mitgliedstaates in vergleichbarem Maß wie ein National Carrier bedient , nicht einbezogen werden muss. Insoweit könnte der Grundsatz greifen, dass europarechtswidrige (dann doch diskriminierende) Regelungen zur Rechtswidrigkeit einer Beihilfe führen

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