Regelmäßig werden Beihilfen auf Grundlage des DawI-Freistellungsbeschlusses oder der DawI-De-minimis Verordnung gewährt. „Nicht-Beihilfen“ auf Grundlage der Altmark-Kriterien gibt es in Ausnahmefällen. Noch seltener sind jedoch Fälle, in denen die Kommission die Ausgleichszahlungen einer DawI auf Grundlage des DawI-Rahmens genehmigt.
Umso interessanter sind derartige Kommissionsentscheidungen, aus denen auch über das betroffene Verfahren hinaus grundsätzliche Schlüsse für die Herangehensweise der Kommission im Zusammenhang mit DawI-Ausgleichsleistungen gezogen werden können. Um so einen Fall handelt es sich bei den seitens Italiens zugunsten der Seeverkehrsgesellschaften der Tirrenia-Gruppe gewährten Ausgleichsleistungen, die die Kommission auf Grundlage des DawI-Rahmens bereits im März 2020 genehmigt hat, (EU) 2020/1411 (C 64/99 (ex NN 68/99), ABl. EU L 12.10.2020, S.1.
Hintergrund
Die Unternehmen der Tirrenia-Gruppen haben seit 1991 auf Grundlage von mit dem italienischen Staat geschlossener Verträge Seevekehrsdienste als eine öffentliche Dienstleistung erbracht und dafür staatliche Mittel erhalten.
Nachdem die Kommission im Jahr 1999 diesbezüglich zahlreiche Beschwerden privatwirtschaftlicher Betreiber erhalten hatte, erklärte sie in mehreren Entscheidungen, zuletzt im Jahr 2005, die Beihilfen als mit dem Binnenmarkt unvereinbar. Die Entscheidung wurde vom EuG mit Urteil vom 04. März 2009 (verbundene Rechtssachen T-265/04, T-292/04 und T-504/04) für nichtig erklärt.
Die daraufhin erfolgte erneute Prüfung der Kommission führte zu der im Folgenden dargelegten Beurteilung der zwischen 1992 und 2008 gezahlten Beihilfen.
Beschluss der Kommission
In ihrem Beschluss vom 02.03.2020 gelangt die Kommission zu dem Ergebnis, dass es sich bei den Ausgleichszahlungen teils um bestehende Beihilfen und teils um eine auf Grundlage des DawI-Rahmens mit dem Binnenmarkt vereinbare neue Beihilfen handelt.
Bestehende oder neue staatliche Beihilfen
Bei dieser Frage differenziert die Kommission zwischen Kabotageverbindungen (Verbindungen innerhalb eines Landes) und internationalen Verbindungen.
Hinsichtlich der Kabotageverbindungen kam die Kommission zu dem Schluss, dass die Ausgleichszahlungen aufgrund des direkten Zusammenhangs zwischen gezahltem Ausgleich und den in der ursprünglichen Vereinbarung verankerten gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen eine bestehende Beihilfe im Sinne der Anciennitätsklausel des Artikel 4 Absatz 3 der Seekabotageverordnung (Verordnung (EWG) Nr. 3577/92 des Rates vom 07. Dezember 1992) darstellt. Nach der Klausel können „bestehende Verträge über Verkehrsdienste aufgrund von Verpflichtungen des öffentlichen Dienstes bis zum jeweiligen Ablaufdatum gültig bleiben.“.
Den Ausgleich für den Betrieb der internationalen Routen stufte die Kommission demgegenüber als neue Beihilfe im Sinne des Artikels 1 der Verfahrensverordnung (Verordnung (EU) 2015/1589 des Rates) ein, nach dem bestehende Beihilfen „alle Beihilfen, die vor Inkrafttreten des AEUV in dem jeweiligen Mitgliedstaat bestanden“ darstellen. Die ursprüngliche Beihilferegelung habe wesentliche Änderungen erfahren, die ihren Charakter stark verändert hätten, sodass im Grunde eine völlig neue Beihilferegelung entstanden sei. Unter anderem seien die meisten internationalen Routen, die Gegenstand des Beschlusses waren, nicht vor Inkrafttreten des EG-Vertrages in Betrieb genommen, die Rechtsgrundlage nach Inkrafttreten des EG-Vertrages aufgehoben und der Zeitraum, über den ein Ausgleich gewährt werden konnte, wiederholt verlängert worden.
Vereinbarkeit der Beihilfe
Die Vereinbarkeit der gewährten Beihilfen für den Betrieb der internationalen Routen maß die Kommission an den Voraussetzungen des am 31.01.2012 in Kraft getretenen Rahmens der Europäischen Union für staatliche Beihilfen in Form von Ausgleichszahlungen für die Erbringung öffentlicher Dienstleistungen (im Folgenden „DawI-Rahmen von 2012“):
Vorliegen einer DawI
Unter einer DawI versteht man nach den Randnummern 12 und 13 des DawI-Rahmens von 2012 Dienstleistungen, die im Allgemeininteresse liegen und die unter normalen Marktbedingungen von Unternehmen nicht bereits zufriedenstellend erbracht werden oder erbracht werden können – also ein Marktversagen vorliegt. Die Festlegung einer solchen Dienstleistung obliegt dem Ermessen der Mitgliedsstaaten, sodass die Kommission ihr Vorliegen nur infrage stellen kann, wenn eine offenkundige Fehlbeurteilung vorliegt.
Im konkreten Fall beschränkte die Kommission deshalb ihre Prüfung auf die Frage, ob der Betrieb der internationalen Verkehrsverbindungen von Italien als notwendig erachtet wurde, um einem dringend öffentlichen Beförderungsbedarf zu genügen.
Hierbei stellte die Kommission anhand einer umfassenden Prüfung zunächst fest, dass der Betrieb der Routen den jeweiligen Unternehmen Kosten verursachte, die nicht entstanden wären, wenn es allein nach dem eigenen wirtschaftlichen Interesse gehandelt hätte.
In der Folge beurteilte die Kommission für jede einzelne Verbindung, ob es konkurrierende Anbieter von Dienstleistungen gab, die den vom öffentlichen Betreiber angebotenen Dienstleistungen ähnlich oder vergleichbar waren und den von den Behörden festgelegten Anforderungen genügten. Hierbei kam sie zu dem Ergebnis, dass es sich entweder um „echte DawI“ handelte, da das begünstigte Unternehmen das einzige war, das regelmäßige und zuverlässige Fährdienste für Passagiere und Fracht auf den Routen sicherstellte oder aber, dass das legitime öffentliche Interesse, eine ganzjährige Linienverbindung aufrecht zu erhalten, durch das freie Spiel der Marktkräfte nicht erreicht werden konnte. In beiden Fällen bejahte die Kommission ein Marktversagen.
Eine ausgleichsfähige DawI setzt demnach nicht voraus, dass es überhaupt kein Angebot auf dem Markt gibt. Die Kommission gesteht dem Mitgliedstaat ein Ermessen bei der Frage zu, ob ein – für die lokalen Gegebenheiten – ausreichendes Angebot am Markt besteht. Im jeweiligen Einzelfall überprüft die Kommission jedoch, inwieweit es auf dem Markt ein ausreichendes Angebot gibt, das den behördlichen Anforderungen an die Kontinuität des Leistungsangebots im Hinblick auf Regelmäßigkeit, Häufigkeit und Zuverlässigkeit sowie Qualität entspricht und ob dem erbringenden Dienstleister Kosten entstehen, die er bei Zugrundelegung rein wirtschaftlicher Interessen nicht gehabt hätte. Erforderlich ist dabei, dass ein „echter Bedarf“ besteht, der nicht durch den Markt gedeckt wird.
Vorliegen eines Betrauungsakts
Im Betrauungsakt als „Herzstück“ jeder DawI müssen stets der Gegenstand, die Dauer der Gemeinwohlverpflichtung, das betraute Unternehmen, die Ausgleichsmechanismen und die Parameter der Überkompensationskontrolle enthalten sein. Die vorliegende Kommissionsentscheidung zeigt deutlich, wie akribisch die Kommission die einzelnen Voraussetzungen überprüft und wie sorgfältig daher ein Betrauungsakt auszugestalten ist. Positiv bewertet hat die Kommission im vorliegenden Fall die Festlegung des Ausgleichsmechanismus, da die Höhe der jährlichen Zuschüsse auf der Grundlage eines gesonderten Antrags des Seeverkehrsdienstleisters, der vom zuständigen Ministerium genehmigt werden musste. Zur Vermeidung einer Überkompensation war das betraute Unternehmen außerdem verpflichtet, dem Ministerium relevante Änderungen der im Antrag mitgeteilten Ergebnisse mitzuteilen, um die Ausgleichsleistungen entsprechend anzupassen. Im Nachgang wurde zusätzlich das Vorliegen/Nicht-Vorliegen einer Überkompensation überprüft und die Rückzahlung einer überschießenden Zahlung sichergestellt.
Verhältnismäßigkeit der Kompensationsleistung
Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitsprüfung untersucht die Kommission, inwieweit der Ausgleich tatsächlich dem Nettobetriebsdefizit entspricht. Damit soll sichergestellt werden, dass das Unternehmen nicht mehr erhält, als erforderlich ist, um die Nettokosten für die Erbringung der DawI (einschließlich eines angemessenen Gewinns) zu decken.
Soweit die Kommission im Hinblick auf die in einem Fünfjahresplan vorgesehenen Investitionen in ihrem Beschluss von 2005 noch Zweifel hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit geäußert hatte, prüfte sie im vorliegenden Beschluss, in welchem Umfang der Aufwand für die Anschaffung und die Abschreibung der Investitionsgüter bei der Berechnung der jährlichen Ausgleichszahlung berücksichtigt wurden. Hierbei stellte sie fest, dass alle betreffenden Schiffe, Dienstleistungen und weiteren Investitionen ausschließlich für den Verkehr auf Routen mit gemeinwirtschaftlichen Verpflichtungen eingesetzt wurden und dass deshalb deren Abschreibungen bei der Berechnung der jährlichen Ausgleichszahlung vollständig berücksichtigt werden konnte. Bei einer nur teilweisen Nutzung von Investitionen für die Erbringung einer DawI kann natürlich nur eine anteilige Anrechnung der Anschaffungs- und Abschreibungskosten erfolgen.
Im Ergebnis stellte die Kommission in Einklang mit Randnummer 17 des DawI-Rahmens von 2012 ferner fest, dass die Notwendigkeit, die für die Erbringung der Dienstleistung erforderlichen Investitionen abzuschreiben, die relativ lange Dauer des Betrauungszeitraums rechtfertigt. Das spielt insbesondere im Rahmen großvolumiger Investitionen z.B. im Zusammenhang mit sozialem Wohnungsbau eine große Rolle.
Fazit
Der Ansatz der Kommission für die Genehmigung einer Ausgleichsleistung auf Grundlage des DawI-Rahmens ist auch auf die anderen Regelungen des sog. „DawI-Pakets“ eins zu eins übertragbar. Häufig ist insbesondere der DawI-Freistellungsbeschluss eine gern genommene Rechtfertigung für eine Beihilfe. Grund dafür ist regelmäßig die Möglichkeit der Gewährung einer Ausgleichsleistung iHv. von immerhin 15 Mio. €, die ohne Notifizierung gewährt werden kann. Deutlich wird durch den aktuellen Beschluss jedoch, dass bereits die Frage, ob durch eine Dienstleistung überhaupt eine DawI erbracht wird und ob ein Marktversagen vorliegt, sorgfältig überprüft werden muss. Dass die Kommission dies auch im Rahmen der Berichtspflichten über die Förderung unter dem DawI-Freistellungsbeschluss überprüft, dürfte auch auf kommunaler Ebene insbesondere im Zusammenhang mit der Wirtschaftsförderung angekommen sein, siehe Blogbeitrag vom 15. Oktober 2019 „Das beihilferechtliche „Klein-Klein“ in der Wirtschaftsförderung.
*Dieser Beitrag wurde gemeinsam mit Christopher Hanke verfasst während seiner Zeit als Anwalt bei MWP.