Bruchlandung für die Kommission und das EuG in der Rs. Volotea

Wieder einmal durfte sich der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) mit Fragen der Anwendbarkeit und Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten befassen. Hilfreich in der Praxis ist dabei die Feststellung, dass die Kommission nicht allein aufgrund Fehlens eines Ausschreibungsverfahrens davon ausgehen darf, dass Vertragsleistungen als marktunüblich angesehen werden können. Vielmehr hat sie anhand weiterer Kriterien das Vorliegen einer Begünstigung zu prüfen.

Beschluss der Kommission

Dem Urteil vorausgegangen war eine beihilferechtliche Untersuchung der EU-Kommission zu einem italienischen Regionalgesetz, auf dessen Grundlage den Betreibern sardischer Flughäfen eine Finanzierung für den Ausbau der Flugverbindungen von und zu der Insel gewährt werden konnte.

Mit Beschluss vom 29. Juli 2016 entschied die Kommission, dass es sich bei den fraglichen Unterstützungsmaßnahmen um mit dem Binnenmarkt unvereinbare staatliche Beihilfen handelt, die jedoch nicht den Betreibern der sardischen Flughäfen, sondern vielmehr den Fluggesellschaften zugutegekommen sind.

Zwischenstopp vor dem EuG

Zwei Fluggesellschaften – Volotea und easyJet – die mit den Flughafenbetreibern der Flughäfen Cagliari-Elmas und Olbia Verträge über die Durchführung von Maßnahmen zur Erhöhung des Luftverkehrs sowie über Marketingleistungen zur Förderung von Sardinien als Reiseziel abgeschlossen hatten, legten zunächst einen Zwischenstopp vor dem Gericht der Europäischen Union (EuG) ein, bei dem sie auf die Nichtigkeitserklärung des Beschlusses klagten. Das EuG erteilte diesem Antrag jedoch eine Absage und wies die Klagen der beiden Fluggesellschaften mit Urteil vom 13. Mai 2020 als unbegründet ab und hielt den Beschluss der Kommission aufrecht.

Bruchlandung der Kommission vor dem EuGH

In dem Urteil vom 17. November 2022 zu den verbundenen Rechtssachen hebt der EuGH jedoch die Urteile des EuG, sowie den Beschluss der Kommission auf, soweit sie die beiden Klägerinnen betreffen.

Das Urteil des EuGH im Einzelnen

Der EuGH stützt seine Urteilsbegründung im Wesentlichen darauf, dass das EuG im Rahmen seiner Prüfung, ob Volotea und easyJet einen von der Region gewährten Vorteil in Anspruch genommen haben, den Grundsatz des privaten Wirtschaftsbeteiligten nicht korrekt angewendet bzw. dessen Anwendbarkeit fälschlicherweise ausgeschlossen habe.

Anwendbarkeit des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten

Nach Ansicht des EuGH ist dieser Grundsatz unabhängig davon anwendbar, ob der Staat unmittelbar oder über private Unternehmen, die seiner Kontrolle oder seinem Einfluss unterliegen, Unternehmen einen Vorteil gewährt.

In jedem Fall sei dabei für die Feststellung des Vorliegens eines Vorteils im Wesentlichen die Auswirkungen der fraglichen staatlichen Maßnahme auf das begünstigte Unternehmen zu berücksichtigen. Dies gelte unabhängig davon, ob die Mittel unmittelbar vom Staat oder mittelbar von einer von ihm errichteten oder benannten öffentlichen oder privaten Einrichtung gewährt werden. Im Rahmen von Art. 107 Abs. 1 AEUV wird nicht zwischen den Ursachen oder Zielen staatlicher Maßnahmen unterschieden. Folglich ist die Art der Ziele, die ein Mitgliedstaat mit staatlichen Maßnahmen verfolgt, für die Frage, ob sie einem Unternehmen einen Vorteil gewähren und für ihre Einstufung als staatliche Beihilfe unerheblich. Zudem ist die Verfolgung von Zielen der öffentlichen Ordnung den meisten staatlichen Maßnahmen, die als „staatliche Beihilfen“ bezeichnet werden, ohnehin inhärent.

Das Urteil macht erneut deutlich, dass der Grundsatz des marktwirtschaftlich handelnden privaten Wirtschaftsteilnehmers grundsätzlich für die Frage, ob eine Begünstigung ausgeschlossen werden kann, anwendbar ist, wenn das Verhalten des Staates tatsächlich mit dem Verhalten eines privaten Wirtschaftsteilnehmers vergleichbar ist. Der EuGH schließt die Anwendbarkeit dieses Grundsatzes daher in Fällen aus, in denen das staatliche Verhalten untrennbar mit dem Vorhandensein einer Infrastruktur verbunden ist, die ein privater Wirtschaftsteilnehmer niemals hätte bereitstellen können oder der Staat in seiner Eigenschaft als Träger öffentlicher Gewalt handelt. Im letztgenannten Fall stellt der EuGH klar, dass die bloße Ausübung öffentlicher Gewalt, wie z.B. der Einsatz steuerlicher Mittel, für sich genommen noch nicht zur Unanwendbarkeit des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten führt. Für die Anwendung dieses Grundsatzes komme es weder auf den wirtschaftlichen Charakter der konkreten staatlichen Maßnahme noch darauf an, welche Mittel für diesen Zweck eingesetzt würden.

Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten

Im Einklang mit seiner neueren Spruchpraxis geht der EuGH auch in dem vorliegenden Urteil von einem weiten Anwendungsbereich dieses Grundsatzes aus. Danach ist der Grundsatz des privaten Wirtschaftsbeteiligten auch außerhalb der traditionellen Grenzen von staatlichem Eigentum oder Beteiligung anwendbar. Im Einzelfall sind verschiedene Kriterien heranzuziehen, um die konkrete staatliche Maßnahme so angemessen und adäquat wie möglich mit der Maßnahme zu vergleichen, die ein privater Wirtschaftsteilnehmer in einer vergleichbaren Situation und unter normalen Marktbedingungen hätte ergreifen können. So kann das Kriterium des privaten Kapitalgebers bei staatlichen Maßnahmen wie Kapitalzuführungen, das des privaten Gläubigers bei Maßnahmen im Zusammenhang mit  Zahlungserleichterungen für die Rückzahlung einer Schuld und das des privaten Verkäufers bei Maßnahmen, die die Lieferung von Waren oder die Erbringung von Dienstleistungen betreffen, herangezogen werden. Dies ist unabhängig davon möglich, ob die konkrete Maßnahme unmittelbar oder über öffentliche Einrichtungen oder private Unternehmen, die unter der Kontrolle oder dem Einfluss des Staates stehen, durchgeführt werden.

In diesem Zusammenhang ist es die Aufgabe der Kommission, nach einer Gesamtwürdigung unter Berücksichtigung aller relevanten Faktoren des Einzelfalles nachzuweisen, dass ein Unternehmen, dem die fragliche staatliche Maßnahme zugutekommt, von einem durchschnittlich umsichtigen und sorgfältigen privaten Wirtschaftsteilnehmer, der sich in einer möglichst ähnlichen Lage befindet und unter normalen Marktbedingungen handelt, einen vergleichbaren Vorteil eindeutig nicht erhalten hätte. Bei ihrer Prüfung muss die Kommission alle Optionen, die ein solcher Wirtschaftsteilnehmer vernünftigerweise in Betracht gezogen hätte, alle verfügbaren Informationen, die seine Entscheidung wesentlich beeinflussen könnten und die zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Gewährung eines Vorteils vorhersehbaren Entwicklungen berücksichtigen.

Feststellungen des EuG hinsichtlich der Marktkonformität

In dem erstinstanzlichen Urteil stellt das EuG zunächst fest, dass der Grundsatz des privaten Wirtschaftsbeteiligten aus drei Gründen nicht anwendbar ist: Erstens, weil die betroffenen Flughafenbetreiber keine vom Staat gehaltenen Einrichtungen seien, zweitens, weil die staatliche Maßnahme allein Ziele der öffentlichen Politik verfolge und drittens, weil sich die Flughafenbetreiber darauf beschränkt hätten die Maßnahmen umzusetzen, ohne dabei über eine nennenswerte Selbstständigkeit gegenüber der Autonomen Region zu verfügen. Dennoch prüft es weiter, ob die Region wie ein privater Käufer von Waren oder Dienstleistungen gehandelt hat. Der EuG kommt dabei zu dem Ergebnis, dass die Fluggesellschaften, die mit den Betreibern der Flughäfen Verträge über die Erbringung von Luftverkehrs- und Marketingleistungen abgeschlossen haben, als Empfänger eines „Vorteils“ im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV anzusehen waren. Das Gericht begründete dieses Ergebnis damit, dass die ihnen im Rahmen dieser Verträge gezahlten Vergütungen zum einen keine Gegenleistung für Dienstleistungen darstellten, die einen echten Bedarf der Autonomen Region befriedigten. Zum anderen sei der Abschluss dieser Verträge von den betreffenden Flughafenbetreibern ohne vorherige Durchführung eines Ausschreibungsverfahrens erfolgt.

Der EuGH stellt zunächst klar, dass die Durchführung von Ausschreibungsverfahren nicht die einzige Möglichkeit sei, um die Marktkonformität eines Vertrags festzustellen. Die Durchführung eines solchen Verfahrens sei daher für die Anwendung des Grundsatzes des privaten Wirtschaftsbeteiligten im Zusammenhang mit Kauf- oder Verkaufsgeschäften nicht zwingend erforderlich. Die Marktüblichkeit könne vielmehr auch mittels eines unabhängigen Sachverständigengutachtens oder durch eine Bewertung der relevanten Kosten belegt werden.

Mit Hinblick auf die Frage, ob die Autonome Region einen echten Bedarf an den Dienstleistungen hatte, äußerte das EuG Zweifel. Fraglich wäre insbesondere, ob die streitigen Marketingdienstleistungen unter Berücksichtigung der Grundsätze der Rationalisierung der öffentlichen Ausgaben den tatsächlichen Bedürfnissen hinsichtlich der wirtschaftlichen Förderung der Insel Sardiniens entsprächen. Der EuGH urteilte, dass Zweifel allein jedoch nicht für die Annahme eines Vorteils i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV ausreichen.

Kommission ist ihrer Pflicht zur Feststellung der Marktüblichkeit nicht nachgekommen

Schließlich kam der EuGH zu dem Ergebnis, dass das EuG zudem nicht hinreichend geprüft habe, ob die Kommission ihrer Pflicht zur Feststellung, ob die Verträge zwischen den Flughafenbetreibern und den Fluggesellschaften marktübliche Rechtsgeschäfte darstellten, nachgekommen ist. Die Kommission habe diesen Punkt in ihrem Beschluss lediglich pauschal gewürdigt und nicht ausreichend bewiesen. Somit sei die Feststellung des EuG, dass den Fluggesellschaften durch diese Verträge ein beihilferechtlicher Vorteil i.S.v. Art. 107 Abs. 1 AEUV gewährt wurde, rechtsfehlerhaft erfolgt.

*Diesen Beitrag verfasste Johanna Rippel während ihrer Referendarstation bei MWP.

Dieser Beitrag hat einen Kommentar

  1. Bruno

    Liebsten Dank für die gut recherchierten Worte;)

    Bruno

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