Gelder aus einer verbindlichen Abgabe stellen staatliche Mittel dar (und Gerichte gewähren keine Beihilfen)

Eine staatliche Beihilfe kann nicht durch eine gerichtliche Entscheidung eingeführt werden“ – Unter diesem Titel veröffentlichte der Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) seine Pressemitteilung zu den verbundenen Rechtssachen C-702/20 und C-17/21. Hierbei handelt es sich nicht um die einzige Grundsatzaussage, die der EuGH in seinem Urteil anlässlich eines Vorabentscheidungsersuchens des Obersten Gerichts von Lettland zur Auslegung der Art. 107 Abs. 1 AEUV und Art. 108 Abs. 3 AEUV getroffen hat. Insbesondere enthält das Urteil aufschlussreiche Ausführungen des EuGH zur beihilferechtlichen Einordnung von Geldern, die aus einer nach nationalem Recht obligatorischen Abgabe stammen. Die vom EuGH diesbezüglich aufgezeigten Grundsätze dürften auch für die Bewertung verschiedener gesetzlich geregelter Umlagemechanismen im deutschen Energierecht von Interesse sein.

Die dem Vorabentscheidungsersuchen zugrunde liegenden Verfahren

Bis zum 07. Juni 2005 enthielt das lettische Energiegesetz eine Regelung, nach der bestimmte Erzeuger von Strom aus erneuerbaren Energiequellen – wie die beiden Klägerinnen im zugrunde liegenden Verfahren – ihren überschüssigen Strom zu einem Preis in Höhe des doppelten durchschnittlichen Stromverkaufstarifs an ein zugelassenes öffentliches Stromversorgungsunternehmen verkaufen durften. Der durchschnittliche Stromverkaufstarif wurde von der lettischen Regulierungsbehörde festgelegt.

Mit Wirkung zum 08. Juni 2005 wurde das Verfahren zum Verkauf von überschüssigem Strom geändert. Für Erzeuger, die ihre Tätigkeit zu diesem Zeitpunkt bereits aufgenommen hatten, sahen die geänderten gesetzlichen Regelungen aber vor, dass die frühere Regelung weiterhin Anwendung fand. Die Regulierungsbehörde legte die Regelung dahingehend aus, dass der durchschnittliche Stromverkaufstarif auf den am 07. Juni 2005 festgelegten Preis eingefroren wurde und nahm keine aktualisierten Festsetzungen des Tarifs mehr vor. Entsprechend konnten die von der Regelung umfassten Erzeuger für ihren überschüssigen Strom fortan (nur) das Doppelte des eingefrorenen Tarifs verlangen. Im Januar 2010 entschied das Verfassungsgericht Lettlands, dass diese Auslegung der Regulierungsbehörde fehlerhaft war und der durchschnittliche Stromverkaufstarif fortlaufend hätte angepasst werden müssen.

Die Klägerinnen im zugrunde liegenden Verfahren verklagten daraufhin die Regulierungsbehörde auf „Schadensersatz“ in Höhe der Differenz zwischen den Erlösen aus dem Verkauf zu dem eingefrorenen Tarif und einem Verkauf zum tatsächlichen durchschnittlichen Tarif im Zeitraum nach dem 07. Juni 2005. Das Regionalverwaltungsgericht gab den Klagen teilweise statt und verurteilte die Regulierungsbehörde zu einer entsprechenden Zahlung, allerdings unter der Bedingung, dass die Kommission zuvor einen Beschluss über die Genehmigung solcher Beihilfen erlässt oder dass eine Genehmigung als erlassen gilt. Die Regulierungsbehörde legte Kassationsbeschwerde gegen das Urteil ein, woraufhin das Oberste Gericht Lettlands dem EuGH eine Vielzahl an Fragen zur Auslegung und Anwendung der Art. 107 Abs. 1 und Art. 108 Abs. 3 AEUV zur Vorabentscheidung vorlegte.

Die Ausführungen des EuGH

Die Entscheidungsgründe des EuGH-Urteils zu den insgesamt 13 Vorlagefragen umfassen Erwägungen zum Tatbestandsmerkmal des Art. 107 Abs. 1 AEUV der „staatlichen Mittel“, zur Relevanz der Liberalisierung des Strommarktes bei der Einstufung eines Vorteils als staatliche Beihilfe und verschiedene Erwägungen zur Beurteilung eines mittels gerichtlicher Entscheidung zugesprochenen Vorteils.

Gelder aus einer Abgabe als „staatliche Mittel“

Zunächst führt der EuGH aus, dass Gelder, die nach Rechtsvorschriften eines Mitgliedstaates durch obligatorische Beiträge aufgebracht und im Einklang mit diesen Vorschriften verwaltet und verteilt werden, als „staatliche Mittel“ anzusehen sind. Hierbei ist es unerheblich, ob der Finanzierungsmechanismus nach nationalem Recht eine Abgabe steuerlicher Art im engeren Sinne darstellt.

Zwar reicht es nicht aus, dass die Abgabe faktisch von einer bestimmten Personengruppe getragen wird, sondern sie muss nach nationalem Recht obligatorisch sein. Stammen die Gelder aus einer solchen nach nationalem Recht obligatorischen Abgabe und werden die Gelder im Einklang mit den nationalen Vorschriften verwaltet und verteilt, handelt es sich aber bereits allein deshalb um „staatliche Mittel“ iSd. Art. 107 Abs. 1 AEUV.

Weiter stellt der EuGH klar, dass alternativ auch nach einem zweiten Kriterium festgestellt werden kann, ob es sich bei den Geldern um „staatliche Mittel“ handelt. Und zwar dann, wenn die Beträge stets unter staatlicher Kontrolle bleiben und den zuständigen nationalen Behörden zur Verfügung stehen.

Staatliche Beihilfe nur bei vollständig liberalisiertem Strommarkt?

Soweit das vorlegende Gericht wissen wollte, ob die Einstufung eines Vorteils als staatliche Beihilfe davon abhängt, ob der betreffende Markt zuvor vollständig liberalisiert wurde, stellt der EuGH klar, dass diese Frage für die Einstufung als staatliche Beihilfe unerheblich ist. Denn eine potenzielle Handelsbeeinträchtigung kann auch bereits dann vorliegen, wenn der Markt nur teilweise geöffnet ist. Entscheidend ist insofern vielmehr, ob bei Inkrafttreten der Beihilfe eine tatsächliche Wettbewerbssituation auf dem Markt besteht.

„Schadensersatz“ als Beihilfe?

Im Zusammenhang mit einer weiteren Vorlagefrage setzt sich der EuGH damit auseinander, wann eine Zahlung als „Schadensersatz“ nicht dem Beihilfenrecht unterfällt.

So sind staatliche Beihilfen in ihrem rechtlichen Charakter bereits grundlegend von Zahlungen zum Ersatz eines Privatpersonen verursachten Schadens zu unterscheiden, sodass Schadensersatzzahlungen keine staatlichen Beihilfen im Sinne des Unionsrecht darstellen können.

Allerdings ist es bei der Bewertung der Zahlung als „Schadensersatz“ oder mögliche Beihilfe unerheblich, ob die Zahlung nach nationalem Recht als „Entschädigung“ oder „Schadensersatz“ angesehen wird. Der im zugrunde liegenden Verfahren geltend gemachte „Schadensersatz“ erschöpft sich nämlich in den Beträgen, auf die die Klägerinnen nach geltendem lettischen Recht einen unmittelbaren Anspruch zu haben meinen. Vor diesem Hintergrund führt der EuGH aus, dass es für die Unterscheidung vielmehr darauf ankommt, ob ein Kläger einen anderen Schaden ersetzt verlangt als den Schaden, der einzig in der unvollständigen Zahlung eines Vorteils besteht (wie z.B. Schäden, die infolge der unvollständigen Zahlung entstanden sind).

Anträge auf Zahlung der noch nicht erhaltenen Beträge als gesonderte vom Gericht gewährte Beihilfe?

Die Kommission war sodann der Ansicht, dass die im Ausgangsverfahren von den nationalen Gerichten zugesprochenen Beträge eine von dem gesetzlich geschaffenen Tarifvorteil gesonderte staatliche Beihilfe darstellen. Sie führte insofern an, dass Rechtsgrundlage für die zugesprochenen Beträge nicht das Energiegesetz, sondern die Gerichtsurteile selbst seien.

Dieser Argumentation schiebt der EuGH einen Riegel vor. Ausgehend von den Ausführungen zur vorangegangenen Vorlagefrage führt der EuGH folgerichtig aus, dass die Anträge der Klägerinnen nicht auf eine gesonderte Zahlung auf eigener Rechtsgrundlage gerichtet sind, sondern auf die Zahlung eines Teils ebenjenes Tarifvorteils, der sich aus den lettischen Vorschriften ergibt und – ebenso wie der bereits gezahlte Betrag des Tarifvorteils – in diesen Vorschriften seine Rechtsgrundlage hat.

Der EuGH geht in der Folge noch weiter und stellt ganz grundlegende Erwägungen zur Möglichkeit der Gewährung einer Beihilfe durch ein nationales Gericht auf:

So kann ein nationales Gericht zwar ein Urteil erlassen, aus dem hervorgeht, dass einer Partei ein Betrag zusteht, der einer staatlichen Beihilfe entspricht. Dies bedeutet aber nicht, dass das Gericht die Beihilfe selbst gewährt. Die Rechtskraft des Urteils bewirkt nämlich nur, dass die andere Partei (oftmals eine zuständige Verwaltungsbehörde) zur Zahlung der Beihilfe verpflichtet ist. Die die Beihilfe gewährende Stelle bleibt dann die Partei, die zur Zahlung verurteilt wird. Ferner kann eine staatliche Beihilfe schon deshalb nicht durch eine nationale gerichtliche Entscheidung eingeführt werden, da ihre Einführung Zweckmäßigkeitserwägungen unterliegt, die dem Richteramt fremd sind.

Gerichtlich geltend gemachte Beträge als „neue“ oder „bestehende“ Beihilfe?

Weiter wollte das vorlegende Gericht wissen, ob die gerichtlich geltend gemachten Beträge, sollte es sich bei den Beträgen um staatliche Beihilfen handeln, als „bestehende Beihilfen“ iSd. Art. 1 lit. b Ziff. iv der VO 2015/1589 eingestuft werden können.

Auch insofern folgerichtig leitet der EuGH ein, dass die Frage ob die Beträge als „bestehende Beihilfe“ eingeordnet werden können, davon abhängt, wie der gesetzlich geregelte Tarifvorteil einzustufen ist, da die gerichtlich geltend gemachten Beträge gleicher Art sind wie dieser Tarifvorteil.

Soweit das vorlegende Gericht weiter wissen wollte, ob für den Beginn der 10-jährigen Verjährungsfrist für die Rückforderung des Art. 17 Abs. 1 der VO 2015/1589 der Zeitpunkt der Einführung des Tarifvorteils oder der Zeitpunkt der tatsächlichen Zahlung maßgeblich ist, verweist der EuGH auf Art. 17 Abs. 2 VO 2015/1589, nach dem der Zeitpunkt der Gewährung der Beihilfe maßgeblich ist. Es ist somit unbeachtlich, wann eine Beihilferegelung erlassen wurde. Für die Berechnung der Verjährungsfrist ist davon auszugehen, dass eine Beihilfe erst zu dem Zeitpunkt gewährt wurde, zu dem sie tatsächlich an den Empfänger vergeben wurde. Denn der Beginn einer Rückforderungsfrist kann nicht vor dem Zeitpunkt liegen, in dem die ggf. zurückzufordernde Beihilfe gezahlt wurde. Da die Vollstreckung des die Beträge gewährenden Ausgangsurteils unter dem Vorbehalt der Genehmigung durch die Kommission stand, ist die Zahlung der zugesprochenen Beträge noch nicht erfolgt, sodass die Frist des Art. 17 Abs. 1 der VO 2015/1589 noch nicht zu laufen begonnen hat. Folglich kann es sich bei den geltend gemachten Beträgen nicht nach Art. 17 Abs. 3 der VO 2015/1589 um eine „bestehende Beihilfe“ handeln.

Abweisung einer Klage, weil Zahlung gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV verstoßen würde?

Schließlich durfte sich der EuGH mit der Aufgabe der nationalen Gerichte bei der Durchführung des Systems der Kontrolle staatlicher Beihilfen befassen.

So folgt aus dem Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 AEUV und der Pflicht nationaler Gerichte, im Einklang mit nationalem Recht alle Konsequenzen aus einer Verletzung von Art. 108 Abs. 3 AEUV zu ziehen, dass ein nationales Gericht einen Antrag auf Zahlung einer nicht bei der Kommission angemeldeten Beihilfe zurückweisen muss.

Einschränkend stellt der EuGH aber klar, dass nationale Gerichte ihrer Aufgabe innerhalb dieses Kontrollsystems hinreichend nachkommen, wenn sie dem Antrag unter dem Vorbehalt stattgeben, dass die zuständige nationale Behörde die Beihilfe zuvor bei der Kommission anmeldet und die Beihilfe von der Kommission genehmigt wird oder als genehmigt gilt (so wie es das Verwaltungsgericht im Ausgangsurteil getan hatte).

Anmerkungen

Der Schwerpunkt des Urteils liegt sicherlich in der Frage, ob durch wen wann eine Beihilfe gewährt wird, wenn einem Anspruch auf eine Beihilfe gerichtlich stattgegeben wird. Insofern enthält das Urteil wichtige Ausführungen zur Abgrenzung zwischen Schadensersatzforderungen und Beihilfen, zur beihilferechtlichen Bewertung der materiellen Rechtskraft solcher Urteile und zum Zeitpunkt der Gewährung einer solchen Beihilfe iSd. Art. 17 Abs. 2 der VO 2015/1589.

Darüber hinaus setzt der EuGH in seinen Ausführungen zu „staatlichen Mitteln“ auf seinem Urteil zur EEG-Umlage (C-405/16 P) auf, stellt dabei jedoch noch einmal klar, dass es für die Annahme der Staatlichkeit bereits ausreicht, dass es sich um Mittel handelt, die aus einer nach nationalem Recht obligatorischen Abgabe stammen. Bei dem Vorliegen der staatlichen Kontrolle über die Gelder handelt es sich (nur) um ein weiteres, alternatives Kriterium zur Begründung „staatlicher Mittel“. Keinesfalls müssen beide Kriterien für die Annahme der Staatlichkeit kumulativ vorliegen.

Zwar lehnt der EuGH in seinem Urteil zur EEG-Umlage das Vorliegen einer Abgabe im beihilferechtlichen Sinne sowie die ausreichende staatliche Kontrolle ab, da die Umlage nach nationalem Recht nicht obligatorisch war, sondern nur de facto auf den Letztverbraucher abgewälzt wurde. Dennoch wurde der nunmehr mit dem aktuellen Urteil manifestierte zweistufige Prüfungsansatz bereits in dem Urteil zur EEG-Umlage vom EuGH angewendet.

Derzeit beschäftigen noch zwei weitere Umlagemechanismen, die ihre Grundlage in deutschen gesetzlichen Regelungen haben, die Unionsgerichte:

U.a. in der Rs. T-196/19 bestätigte das EuG die Kommission, dass der Ausgleich für eine Netzentgeltbefreiung bestimmter Bandlastverbraucher nach § 19 StromNEV (a.F.) durch eine nach nationalem Recht verbindliche Abgabe – und bereits deshalb aus „staatlichen Mitteln“ – finanziert wurde. Das Verfahren ist derzeit vor dem EuGH anhängig, da sich sowohl die betroffenen Unternehmen als auch die Bundesrepublik Deutschland mit einem Rechtsmittel u.a. gegen diese Feststellungen des EuG wenden.

Auch die Regelung einer Zuschlagszahlung zugunsten von Betreibern bestimmter KWK-Anlagen nach § 13 KWKG wurde von der Kommission zwar genehmigt, da die Regelung eine nach Art. 107 Abs. 3 lit. c AEUV mit dem Binnenmarkt vereinbare Beihilfe darstelle. Die Bundesrepublik Deutschland wendet sich mit einer Klage aber auch gegen diesen Beschluss, soweit die Kommission zunächst feststellt, dass die Maßnahme eine Beihilfe darstellt. Als Argument führt die Bundesrepublik an, dass die Kommission fehlerhaft davon ausgehe, dass allein der Abgabencharakter einer Umlage die Staatlichkeit der vereinnahmten Mittel impliziere.

In beiden Fällen scheint die Ansicht der Kommission bzw. des EuG im Einklang mit der nun ausdrücklich klargestellten Rechtsprechung des EuGH zu liegen.

*Diesen Beitrag schrieb Christopher Hanke während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.

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