„Dilly`s Wellnesshotel“ – keine Entspannung trotz AGVO?

Die Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) wird von der Kommission und den Mitgliedstaaten allgemein als große Erleichterung empfunden. Dies ist gut nachvollziehbar, entfällt bei Einhaltung ihrer Voraussetzungen für Beihilfemaßnahmen doch die Verpflichtung zur Vorab-Notifizierung und -genehmigung. Höchstrichterlich nicht geklärt ist bislang allerdings, ob von der Freistellungswirkung auch Beihilfen profitieren können, bei denen zwar alle materiellen Voraussetzungen der AGVO erfüllt sind, die formellen Freistellungsbedingungen – d.h. die Transparenz- und Veröffentlichungspflichten – aber mangelhaft umgesetzt wurden. In dem Vorabentscheidungsverfahren „Dilly`s Wellnesshotel“ (Rs. C-493/14) hat der EuGH nunmehr Gelegenheit sich u.a. zu dieser Frage zu äußern. In den am 17. März 2016 veröffentlichten Schlussanträgen hat zunächst einmal jedoch Generalanwalt Wahl Stellung bezogen. Er geht von einem gleichermaßen zwingenden Charakter aller für die Freistellung der konkreten Beihilfe aufgestellten Voraussetzungen aus – mit der Konsequenz, dass z.B. Beihilfemaßnahmen, deren Wortlaut durch den Mitgliedstaat nicht wie von der AGVO vorgesehen über das Internet zugänglich ist, ggf. schon aus diesem Grund nicht von der Notifizierungspflicht freigestellt sein könnten.

Ein Wellnesshotel will`s wissen

Das Verfahren „Dilly`s Wellnesshotel“ geht auf ein Vorabentscheidungsersuchen des österreichischen Bundesfinanzgerichts zurück. Dieses wurde durch ein Rechtsmittel der Dilly`s Wellnesshotel GmbH mit der Frage befasst, ob das Unternehmen die sog. Energieabgabenvergütung – eine energieintensiven Unternehmen von den Finanzämtern gewährte Erstattung von Energieabgaben – in Anspruch nehmen kann, obwohl diese nach einer Neuregelung des Energieabgabenvergütungsgesetzes in 2011 nur noch für herstellende Betriebe nicht aber für Dienstleistungsbetriebe gewährt wird. Das Unternehmen argumentiert, dass die Neuregelung gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstößt, da sie der Kommission nicht notifiziert wurde und zudem mehrere Voraussetzungen der Gruppenfreistellungsverordnung aus 2008 (VO 800/2008) nicht eingehalten seien. Wenn die Neuregelung wegen Unionsrechtswidrigkeit nicht angewendet werden dürfe, verbliebe es bei der vorherigen Fassung des nationalen Gesetzes. Nach dieser (für die eine Beihilfegenehmigung der Kommission vorlag) stehe auch Hotelbetrieben wie der Klägerin die Energieabgabenvergütung zu.

Die Fragen des Bundesfinanzgerichts

Das Bundesfinanzgericht kam zu dem Ergebnis, dass die österreichischen Behörden die Änderung des Energieabgabenvergütungsgesetzes als eine nach der der AGVO freigestellte Beihilfenregelung behandelt wissen wollten, tatsächlich aber mehrere der in Kapitel I der VO 800/2008 vorgesehenen Formerfordernisse nicht eingehalten wurden: So fehlt es in der gesetzlichen Regelung an dem von Art. 3 Abs. 1 VO 800/2008 geforderten ausdrücklichen Verweis auf die AGVO. Daneben wurde die nach Art. 9 Abs. 1 VO 800/2008 erforderliche Kurzbeschreibung der Beihilfe von den österreichischen Behörden nicht innerhalb der vorgesehenen Fristen an die Kommission übermittelt. Diese enthielt zwar – wie von der AGVO gefordert – eine Internetadresse, über die der direkte Zugang zum Wortlaut der Beihilfemaßnahme erreicht werden sollte. Die genannte Internetadresse ließ sich jedoch nicht öffnen. Angesichts dieser Sachlage beschloss der Bundesfinanzgericht dem EuGH die Frage vorzulegen, welche Auswirkungen die Verletzung der genannten Formerfordernisse auf die Freistellung von der Notifizierungspflicht nach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV hat. In zwei weiteren Vorlagefragen hat das Bundesfinanzgericht den Gerichtshof zudem um Klärung des Verständnisses der Freistellungsvoraussetzungen für Umweltsteuerermäßigungen in Art. 25 VO 800/2008 gebeten. Um den Rahmen nicht zu sprengen, soll an dieser Stelle allerdings nur auf die erste Vorlagefrage eingegangen werden.

Generalanwalt Wahl plädiert für eine strikte Anwendung auch von formellen Freistellungsvoraussetzungen

Generalanwalt Wahl hebt in seinen Schlussanträgen vom 17. März 2016 zunächst zweierlei hervor und zwar: 1. Dass es sich bei der aus Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV folgenden Notifizierungspflicht um einen wesentlichen Bestandteil des unionsrechtlichen Beihilfenkontrollsystems handelt und 2. Dass Änderungen von genehmigten Beihilfemaßnahmen grundsätzlich einer neuerlichen Pflicht zur Anmeldung unterworfen sind, wenn es sich nicht nur um rein formale Anpassungen handelt. Aus der Strenge, die gegenüber den Mitgliedstaaten insofern hinsichtlich der Einhaltung des Notifizierungsgebots gilt, schließt der Generalanwalt zum einen, dass jede Ausnahme von diesem Gebot eng auszulegen ist und zum anderen, dass nur diejenigen Beihilfemaßnahmen von der Verpflichtung zur Anmeldung befreit werden können, die in allen Punkten den in einer Freistellungsregelung aufgestellten Voraussetzungen entsprechen. Für eine Differenzierung der Rechtsfolgen bei Nichterfüllung von materiellen Freistellungsbedingungen einerseits und formellen andererseits sieht der Generalanwalt daher keinen Raum – dies auch, weil die VO 800/2008 selbst die Erfüllung sämtlicher in ihrem Kapitel I vorgesehenen Erfordernisse zu zwingenden Voraussetzungen für die Freistellung macht.

Die formellen Freistellungsvoraussetzungen der AGVO von 2008

Unter Berücksichtigung dieser allgemeinen Feststellungen widmet sich der Generalanwalt anschließend den einzelnen in der Rechtssache in Frage stehenden Formerfordernissen. Dabei kommt er zu dem Ergebnis, dass seines Erachtens bereits der fehlende Verweis auf die Inanspruchnahme der VO 800/2008 im Energieabgabenvergütungsgesetz dazu führen muss, dass eine Freistellung von der Notifizierungspflicht im vorliegenden Fall nicht greift. Das in der AGVO verankerte Verweisungsgebot dient nach Auffassung des Generalanwalts der Transparenz und der wirksamen Beihilfenkontrolle, da es sowohl der Kommission wie auch betroffenen Dritten auf einfache Art die Feststellung ermögliche, warum eine Beihilfemaßnahme ohne Notifizierung durchgeführt wird. Da das Gebot für die Mitgliedstaaten zudem ohne Schwierigkeiten zu erfüllen sei, spräche nichts dagegen, eine Freistellung von seiner Einhaltung abhängig zu machen.

Für den Fall, dass der Gerichtshof entgegen seiner Feststellungen von einer Entbehrlichkeit des ausdrücklichen Verweises auf die Freistellungsverordnung ausgeht, erörtert der Generalanwalt anschließend die Folgen der verspäteten Übermittlung der Kurzbeschreibung der Beihilfe. Hierzu stellt er fest, dass die Kurzbeschreibung nach Art. 9 Abs. 1 VO 800/2008 unbestreitbar eine Wirksamkeitsvoraussetzung für die Freistellung nach der AGVO ist. Ohne Kurzbeschreibung könne daher keine Freistellung angenommen werden und eine verspätete Übermittlung der Beschreibung führe – das Vorliegen aller übrigen Voraussetzungen unterstellt – lediglich zum Eintritt der Freistellungswirkung für die Zukunft. Bis zur Übermittlung der vollständigen Kurzbeschreibung läge damit eine rechtswidrige Beihilfe vor.

Auch was das Erfordernis der Angabe einer Internetadresse betrifft, über die ein unmittelbarer Zugang zum vollständigen Wortlaut der Beihilfemaßnahme hergestellt wird, sieht der Generalanwalt keinen Ansatz für ein Abweichen von der in der VO 800/2008 vorgesehenen Verpflichtung. Das Erfordernis sei ausdrücklich als Freistellungsvoraussetzung formuliert und spiegele den Wunsch des Verordnungsgebers wider, bei freigestellten Beihilfen Transparenz und Rechtssicherheit zu gewährleisten. Die Einhaltung der übrigen für eine Freistellung zu erfüllenden Transparenzerfordernisse, wie z.B. die Kurzbeschreibung der Maßnahme, könne insofern auch nicht ausreichen, um die Nichtbeachtung einer Voraussetzung auszugleichen. Der Generalanwalt hat allerdings ein Einsehen, was die Funktionstüchtigkeit der Internetadresse betrifft: Da die Nichtabrufbarkeit der Internetadresse auch auf technischen Mängeln beruhen könne, soll es nach dem Generalanwalt für die Herstellung von Transparenz genügen können, wenn aus dem Kurzbericht über die freigestellte Beihilfe offensichtlich ist, dass der vollständige Wortlaut der nationalen Regelung sowohl für die Kommission wie auch für Dritte ohne weiteres einsehbar ist. Diese Überlegung ist im Ergebnis zwar zu begrüßen und nachzuvollziehen – kennen doch viele das technische Versagen von Internetseiten nur zu gut aus eigener Erfahrung. Angesichts der strikten aber auch klaren rechtlichen Argumentation des Generalanwalts erscheint sie allerdings etwas inkonsequent und und zudem bleibt völlig offen, welchen Nachweis der Generalanwalt für die Einsehbarkeit genügen lassen möchte.

Urteil des EuGH ggf. auch von Relevanz für die AGVO aus 2014

Es bleibt abzuwarten, inwieweit der EuGH sich den Ausführungen des Generalanwalts zur ersten Vorlagefrage anschließen wird. Angesichts den Schätzungen der Kommission, dass rund drei Viertel der Beihilfemaßnahmen und rund zwei Drittel der Beihilfebeträge in der EU unter Nutzung der AGVO aus 2008 ausgereicht wurden, dürfte das Urteil des EuGH allerdings allemal von Interesse über den zu entscheidenden Fall hinaus sein. Zudem ist erwarten, dass die Klarstellungen des EuGH auch von Relevanz für die Anwendung der seit 2014 geltenden AGVO (VO 651/2014) sein werden. Die neue AGVO fordert für die Freistellungswirkung zwar nicht mehr, dass jede Beihilfemaßnahmen einen ausdrücklichen Verweis auf die Freistellungsverordnung enthält. Auch nach der VO 651/2014 müssen aber für eine Freistellung neben den für die einzelnen Beihilfegruppen geltenden besonderen Bedingungen die allgemeinen Voraussetzungen in Kapitel I der AGVO eingehalten werden, wozu u.a. die Veröffentlichung einer Kurzbeschreibung und des vollen Wortlauts der Beihilfemaßnahme auf einer Beihilfe-Webseite des betreffenden Mitgliedstaates gehören (vgl. Art. 9 VO 651/2014). Die Veröffentlichungspflichten werden zwar erst ab Juli 2016 verbindlich. Folgt der EuGH der Auffassung von Generalanwalt Wahl wird zukünftig aber auch auf die Einhaltung dieser Pflichten ein Augenmerk zu legen sein.

Dieser Beitrag hat 2 Kommentare

  1. Caspari

    Sehr geehrte Frau Lipinsky!
    Sehr guter Artikel!
    Als wesentlich Beteiligter an dem Fall (das BFG hat auf meine Beschwerde mit den Vorlageanträgen reagiert) darf ich Ihnen erläutern, dass der Link niemals funktioniert hat, da er auf eine Intranetseite des Finanzministerium leitet, die für uns Kleinen nicht gedacht ist.
    Das konnte auch der Generalanwalt aus meinen Stellungnahmen klar erkennen.
    So sind seine diesbezüglichen Ausführungen für mich nicht nachvollziehbar. Ein technisches Versagen ist somit eindeutig auszuschließen. Ich selbst habe es mehr als 100 Mal probiert – ein Finanzbeamter konnte den Link problemlos öffnen.
    Auch die Problematik, dass die Verordnung eindeutig verlangt, dass innerhalb von 20 Tagen nach Inkrafttreten der Regelung die Kurzmitteilung an die Kommission zu senden ist, sehe ich nicht so wie der Generalanwalt.
    Das Inkrafttretensdatum ist eindeutig mit dem 1.1.2011 festgelegt, der 7.2.2011 war somit eindeutig zu spät. Eine Nachfrist oder eine Nachholung sehe ich in der Verordnung 800/2008 nicht.
    Liebe Grüße
    Kurt Caspari
    Prodinger Steuerberatung Zell am See

    1. Redakteur

      Lieber Herr Caspari,
      herzlichen Dank für Ihren Kommentar zu unserem Blogbeitrag und Ihre Hintergrundinformationen zu dem Verfahren „Dilly`s Wellnesshotel“! Ihre Anmerkungen zeigen, dass der Generalanwalt hier vielleicht einmal wieder „in großen Linien“ denkt und die Einzelheiten des Falles nicht ganz zum Tragen kommen. Wir sind gespannt, wie der EuGH das sehen wird! Beste Grüße!

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