Die Reichweite der anspruchsbegründenden Außenwirkung einer Verwaltungspraxis

Schnell und unbürokratisch – so hatte die Politik gleich zu Beginn der Corona-Krise in 2020 versprochen – sollte die staatliche Unterstützung durch sog. Coronahilfen erfolgen, um in Not geratene Unternehmen zu stützen. Nun wird abgerechnet und die Rückforderungsfälle häufen sich bei den zuständigen Stellen. Es könnte sich dabei durchaus lohnen, die Rückforderungsbescheide genauer zu betrachten.

Die bisherige Entscheidungspraxis der Verwaltungsgerichte im Zusammenhang mit Coronahilfen  beschränkt sich auf Verwaltungsentscheidungen, mit denen bereits der Antrag auf Zahlung abgelehnt wurde oder eine Rückforderung darauf beruhte, dass die Antragsvoraussetzungen des Bewilligungsbescheides nicht vorlagen (siehe u.a. VG Köln zur Corona-Soforthilfe (lto.de); VG Würzburg, Urteil v. 17.05.2021 – W 8 K 20.1561).

Nun durften sich jedoch die ersten Verwaltungsgerichte mit der Frage der Rechtmäßigkeit von Schlussbescheiden zur Abrechnung von  Coronahilfen befassen. Das VG Düsseldorf (u.a. Urteil vom 16.08.2022, Az. 20 K 7488/20), das VG Köln (u.a. Urteil vom 16.09.2022, Az. 16 K 125/22) und das VG Gelsenkirchen (u.a. Urteil vom 23.09.2022, Az. 19 K 297/22) haben aus jeweils ähnlichen Erwägungen die die Rückzahlung von Coronahilfen anordnenden Schlussbescheide des Landes Nordrhein-Westfalen aufgehoben. Alle Entscheidungen betrafen Hilfszahlungen aus der „NRW-Soforthilfe 2020“. Die von den Gerichten angewandten Grundsätze könnten aber auch für Empfänger vergleichbarer Hilfszahlungen aus anderen Programmen und anderen Bundesländern von Bedeutung  sein.

Überblick über die Ausgestaltung der Corona-Hilfsprogramme

Der Ausbruch der COVID-19-Pandemie in Deutschland und Europa und die damit einhergehenden Einführung erheblicher Eindämmungsmaßnahmen führte bei zahlreichen Unternehmen und ganzen Branchen zu erheblichen Umsatzrückgängen. Insbesondere für KMU und Soloselbstständige hatte dies bedeutsame Liquiditätsengpässe zur Folge.

Ein zentrales Instrument zur Stützung der so schuldlos in finanzielle Not geratenen Unternehmen sind die nicht rückzahlbaren Hilfen in Form von verschiedenen Zuschussprogrammen des Bundes und der Länder.

Stellen die verschiedenen Programme (auf Bundesebene die Corona-Soforthilfe, die Überbrückungshilfe I – III (Plus), die November- und Dezemberhilfe, die Neustarthilfe (Plus) und die Härtefallhilfen sowie verschiedene branchenspezifische Programme) unterschiedliche Anforderungen an die Antragsberechtigung und an die förderfähigen Kosten, sind sie im Grundsatz ähnlich ausgestaltet:

Das Unternehmen stellt zunächst einen Antrag auf Förderung, in dem es die für seine Antragsberechtigung maßgeblichen Umsätze oder Kosten und je nach Programm auch seine förderfähigen Kosten angibt und berechnet. Der Antrag wird von der zuständigen Bewilligungsbehörde beschieden und der Zuschuss wird – soweit bewilligt – ausgezahlt. Soweit der ausgezahlte Betrag auf Prognosen beruht, weil die endgültigen Umsatzzahlen noch nicht vorliegen (so z.B. bei den Überbrückungshilfen I – III (Plus)) oder auf Pauschalen beruht (so z.B. bei den November- und Dezemberhilfen), sehen die Programme zu einem bestimmten Zeitpunkt eine Schlussabrechnung vor, in der der Antragsteller die dann verfügbaren tatsächlichen Umsätze und/oder Kosten anzugeben hat. Auf Grundlage der tatsächlichen Zahlen ergeht ein Schlussbescheid der Bewilligungsbehörde. Ergibt sich aus der Schlussabrechnung, dass auf Grundlage der tatsächlichen Zahlen nur ein geringerer Betrag an den Antragsteller hätte ausgezahlt werden dürfen als zunächst auf Grundlage der Prognosen bzw. Pauschalen festgesetzt wurde, beinhaltet der Schlussbescheid eine Rückforderung der überschüssigen Beträge.

Alle nicht rückzahlbaren Hilfen werden hierbei als Billigkeitsleistung iSd. § 53 BHO bzw. der entsprechenden Landesregelung (in NRW § 53 LHO NRW) gewährt.

Die Urteile der Verwaltungsgerichte Köln, Düsseldorf und Gelsenkirchen

Mit derartigen Rückforderungen in Schlussbescheiden beschäftigten sich die eingangs angeführten Urteile der Verwaltungsgerichte in Nordrhein-Westfalen. Den Antragstellern wurden Pauschalbeträge ausgezahlt. Das Land Nordrhein-Westfalen ist nun der Ansicht, dass sich aus den Schlussabrechnungen ein Rückforderungsbetrag ergibt. Gegen die die Rückforderung anordnenden Schlussbescheide wendeten sich die Kläger vor dem jeweils zuständigen Verwaltungsgericht.

Da die Urteile allesamt auf den gleichen rechtlichen Erwägungen beruhen und im Kern vergleichbare Sachverhalte betreffen, wird exemplarisch das Urteil des VG Düsseldorf vom 16.08.2022, Az. 20 K 7488/20 besprochen.

Der zugrundeliegende Sachverhalt

Der Kläger ist ein auf Fortbildungsangebote spezialisierter Steuerberater, der einen deutlich überwiegenden Teil seiner Umsätze durch die Aus- und Fortbildung von Steuerberatern erzielt (Kläger in den anderen Verfahren waren u.a. ein Betreiber eines Schnellrestaurants, eine Betreiberin eines Kosmetikstudios oder ein selbstständiger Veranstaltungstechniker). Ab Mitte März 2020 war er in dieser Tätigkeit durch verschiedene infektionsschutzrechtliche Maßnahmen zur Eindämmung der Corona-Pandemie stark eingeschränkt.

Am 1. April 2020 stellte der Kläger einen Antrag auf Zahlung einer Soforthilfe aus dem Programm „NRW-Soforthilfe 2020“. Das Programm basiert auf dem  Bundesprogramm „Soforthilfe für Kleinstunternehmen und Soloselbstständige“ und erweitert es um Empfängergruppen mit bis zu 50 Beschäftigten. Antragsteller  hatten zu versichern, dass mehr als die Hälfte der Aufträge durch die Corona-Krise weggefallen ist oder dass die Umsätze gegenüber dem Vorjahr mehr als halbiert sind oder dass die Umsatzerzielungsmöglichkeiten durch eine behördliche Auflage massiv eingeschränkt wurden oder dass die vorhandenen Mittel nicht ausreichen, um die kurzfristigen Zahlungsverpflichtungen des Unternehmens zu erfüllen.

Mit Bescheid vom 1. April 2020 bewilligte die Bezirksregierung Düsseldorf als zuständige Bewilligungsbehörde dem Kläger auf seinen Antrag eine Soforthilfe iHv. 9.000,00 EUR. Der Betrag wurde kurz darauf in voller Höhe an den Kläger ausgezahlt.

Am 31. Mai 2020 wurden die „Richtlinien des Landes zur Gewährung von Soforthilfen für gewerbliche Kleinunternehmen, Selbstständige und Angehörige freier Berufe, die infolge der Sars-CoV-2-Pandemie in ihrer Existenz gefährdet sind“ als Runderlass des Ministeriums für Wirtschaft, Innovation, Digitalisierung und Energie erlassen und traten laut Ziffer 9. mit Wirkung vom 27. März 2020 in Kraft.

Am 6. Dezember 2020 füllte der Kläger ein online bereitgestelltes „Rückmelde-Formular ermittelter Liquiditätsengpass NRW-Soforthilfe 2020“ aus. Hierbei ergab sich für den Förderzeitraum ein Liquiditätsengpass von 0 EUR. Zugunsten des Klägers wurde ein fiktiver Unternehmerlohn iHv. 2.000,00 EUR angesetzt.

In der Folge erließ die Bezirksregierung Düsseldorf gegenüber dem Kläger einen Schlussbescheid, in dem sie die Höhe der Soforthilfe auf 2.000,00 EUR ansetzte und die Rückerstattung eines überzahlten Betrages von 7.000,00 EUR anordnete.

Gegen die Wirkungen des Schlussbescheides richtete sich der Kläger mit seiner Klage.

Die Entscheidung des VG Düsseldorf

Das VG Düsseldorf hob den Schlussbescheid der Bezirksregierung Düsseldorf vom 6. Dezember 2020 auf.

Der Bescheid war nach Ansicht des Verwaltungsgerichts aus mehreren Gründen rechtsfehlerhaft.

Bei den Schlussbescheiden stellte die Bezirksregierung Düsseldorf für die Berechnung der Soforthilfe allein auf das Vorliegen eines „Liquiditätsengpasses“ als Differenz zwischen Einnahmen und Ausgaben im Förderzeitraum ab. Nur in Höhe eines solchen Liquiditätsengpasses dürfte der Kläger die Soforthilfe behalten. Die Bewilligungsbescheide erlaubten aber auch eine Verwendung der Soforthilfe zur Kompensation von Umsatzausfällen. Eine spätere anderweitige Handhabung weicht unzulässig von der einzig maßgeblichen damaligen Förderpraxis ab.

Aus dem Bescheid und aus den Angaben zur „NRW-Soforthilfe 2020“ ging hervor, dass eine Verwendung der Soforthilfe zur Kompensation von Umsatzausfällen erlaubt war. Zwar handelt es sich bei den Programmen um Verwaltungsvorschriften, die grundsätzlich nur dazu bestimmt sind, für die Verteilung von Billigkeitsleistungen Maßstäbe zu setzen und das Ermessen der für die Verteilung der jeweiligen Leistungen bestimmten Stellen zu lenken. Solche Verwaltungsvorschriften begründen durch ihr Vorhandensein noch keine subjektiven Rechte. In Verbindung mit dem Gleichheitsgebot des Art. 3 Abs. 1 GG und dem Gebot des Vertrauensschutzes des Art. 20 Abs. 1 GG kommt aber auch internen Verwaltungsvorschriften eine anspruchsbegründende Außenwirkung zu, wenn die zuständige Behörde sich im Entscheidungszeitpunkt an sie hält und sich der Zuwendungsempfänger auf eine im Antragsverfahren gleichmäßig ausgeübte Verwaltungspraxis verlassen kann. Nur wenn die Behörde allgemein von ihren Verwaltungsvorschriften abweicht, verlieren diese ihre ermessensbindende Wirkung. Maßgeblich wären dann nicht die Verwaltungsvorschriften, sondern allein die tatsächliche Verwaltungspraxis im Entscheidungszeitpunkt. Nach ihrer Entscheidung kann die Behörde die verwendeten Begrifflichkeiten nicht mehr nachträglich und rückwirkend frei auslegen. Der Antragsteller muss sich auf die zum Zeitpunkt der Entscheidung ausgeübte Verwaltungspraxis und den Inhalt des Bewilligungsbescheides einstellen können.

Das VG Düsseldorf kam in Anwendung dieser Grundsätze zu dem Schluss, dass die Berechnung der Höhe einer möglichen Rückforderung allein anhand der Prüfung des Vorliegens eines „Liquiditätsengpasses“ rechtsfehlerhaft war. Eine solche Handhabung steht im Widerspruch zur einzig maßgeblichen Förderpraxis im Bewilligungszeitpunkt. Denn laut Antragsvordrucken, Online-Hinweisen und Zuwendungsbescheid konnte der Kläger davon ausgehen, das Geld für pandemiebedingte Umsatzausfälle (und nicht nur für „Liquiditätsengpässe“ iSv. Verlusten) behalten zu dürfen.

Entsprechend konnten auch die Maßgaben der Förderrichtlinie des Landes aus Mai 2020 nicht berücksichtigt werden, da diese bei Erlass der Bewilligungsentscheidung noch nicht existierte.

Anders als das VG Düsseldorf urteilten das VG Köln und das VG Gelsenkirchen in ihren Entscheidungen, dass das Land bereits zu Unrecht davon ausgegangen war, dass die Bewilligung im April 2020 unter dem Vorbehalt einer späteren endgültigen Entscheidung gestanden habe. Ein solcher Vorbehalt hätte aus dem Bewilligungsbescheid deutlich erkennbar hervorgehen müssen, wobei Unklarheiten zulasten der Behörde gehen. Denn diese hat es in der Hand durch eindeutige Formulierungen Auslegungsprobleme zu vermeiden. Der Bescheid enthielt aber weder ausdrücklich noch indirekt einen solchen Vorbehalt. Auch aus den sonstigen dem Kläger zum Bewilligungszeitpunkt verfügbaren Informationen, wie den vom Land veröffentlichten Hinweisen zum Förderprogramm, musste der Kläger nicht den Schluss ziehen, dass es sich bei dem bewilligten Betrag um eine vorläufige Bewilligung handelt. Auch insofern sei die später erlassene Förderrichtlinie nicht maßgeblich. Demnach wäre dem Land die Möglichkeit der Rückforderung schon allgemein versperrt gewesen.

Anmerkungen

An allen drei Verwaltungsgerichten sind noch jeweils mehrere hundert vergleichbare Verfahren anhängig. Die Entscheidungen sind noch nicht rechtskräftig, da jeweils Berufungen beim Oberverwaltungsgericht des Landes Nordrhein-Westfalen anhängig sind. Sobald über die Berufungen rechtskräftig entschieden ist, beabsichtigen die Gerichte die übrigen Verfahren zu entscheiden.

Beziehen sich die Erwägungen der Verwaltungsgerichte unmittelbar auf das Vorgehen der Bezirksregierungen Düsseldorf, Köln und Gelsenkirchen bei der Prüfung und Bewilligung der „NRW-Soforthilfe 2020“ (deren Ausgestaltung größtenteils mit dem Soforthilfeprogramm des Bundes übereinstimmt), lassen sich die rechtlichen Maßstäbe auch auf die Handhabung der übrigen nicht rückzahlbaren Hilfen durch sämtliche Bewilligungsbehörden übertragen.

So ist hinsichtlich der Förderbedingungen und der Möglichkeit einer etwaigen späteren Rückforderung überzahlter Beträge auf Grundlage einer Schlussrechnung einzig der Bewilligungsbescheid und die Verwaltungspraxis im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung maßgeblich. Veröffentlichen die Länder oder der Bund nach diesem Zeitpunkt neue oder aktualisierte Informationen oder Förderrichtlinien zum jeweiligen Förderprogramm, kann die Bewilligungsbehörde diese ihrer Entscheidung im Schlussbescheid nur zugrunde legen, soweit das Vorgehen im Einklang mit den Angaben des Bewilligungsbescheides und/oder der tatsächlichen Verwaltungspraxis zum Bewilligungszeitpunkt steht. Ergeht mit Schlussbescheid eine Rückforderungsanordnung, sollten Empfänger eines solchen Bescheides deshalb sorgfältig prüfen, ob das Vorgehen der Bewilligungsbehörde im Einklang mit den Angaben des Bewilligungsbescheides und mit der zum Zeitpunkt der Bewilligung veröffentlichten Informationen und Richtlinien zum jeweiligen Förderprogramm steht. Denn bei allen Programmen wurden vergleichbar zur „NRW-Soforthilfe 2020“ nachträglich FAQs angepasst, neue Informationen veröffentlicht und neue oder geänderte Förderrichtlinien erlassen. Entsprechend ist nicht auszuschließen, dass auch innerhalb anderer Programme die Bewilligungsbehörden bei einer etwaigen Rückforderung die erst nachträglich veröffentlichten Maßgaben zugrunde legen und von ihrer Entscheidungspraxis zum Zeitpunkt des Bewilligungsbescheides abweichen.

Sind hierbei Formulierungen im Bewilligungsbescheid oder in den im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung durch die Behörden angewendeten Maßgaben unbestimmt, geht jegliche Unklarheit zulasten der Behörde. Auch die Anwendung dieses Grundsatzes kann sich vielfach auswirken, da die den Antragstellern zur Verfügung stehenden Informationen zu den meisten Programmen anfangs unklar und voller unbestimmter Begriffe waren. Soweit die Begrifflichkeiten später präzisiert wurden, ist auch dies irrelevant, wenn die Präzisierung nicht mit der Verwaltungspraxis der jeweiligen Behörde im Zeitpunkt der Bewilligungsentscheidung im Einklang steht.

Insgesamt ist zu berücksichtigen, dass sich eine anspruchsbegründende Wirkung der Verwaltungspraxis aus dem Gebot des Vertrauensschutzes aus Art. 20 Abs. 1 GG ergibt. Aus rein beihilferechtlicher Sicht schützt jedoch der Grundsatz des nationalen Vertrauensschutzes nicht vor der Rückforderung einer Beihilfe. Vertrauensschutz kann im Beihilfenrecht grundsätzlich nur auf ein Verhalten der EU-Kommission zurückgeführt werden.

Nach den Grundsätzen der EuGH-Rechtsprechung  z.B. in Eesti Pagar (siehe Eesti Pagar oder die Entzauberung der AGVO) ist eine beihilfengewährende Stelle sogar verpflichtet, auf eigene Initiative Beihilfen zurückzufordern, sobald sie Kenntnis davon hat, dass sie eine Beihilfe unter Verstoß gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gewährt hat. Das unionsrechtswidrige Verhalten einer nationalen Stelle kann in diesem Zusammenhang  kein berechtigtes Vertrauen eines Beihilfenempfängers begründen, eine rechtswidrige Beihilfen behalten zu dürfen.

Sind diese Gedankenspiele derzeit noch  rein hypothetisch, kann sich dieses aufgrund der Überprüfung von Einzelfällen durch die EU-Kommission jedoch sehr bald ändern.

*Diesen Beitrag schrieb Christopher Hanke während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.

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