Religiöse, bildende oder doch wirtschaftliche Tätigkeit ? Auch Religionsgemeinschaften können der Beihilfenkontrolle unterfallen

In einem ungewöhnlich schnell auf die Schlussanträge von Generalanwältin Kokott folgenden Urteil hat sich die Große Kammer des EuGH am 27.Juni 2017 dazu geäußert, dass auch staatliche Begünstigungen für Religionsgemeinschaften dem Beihilfenverbot unterfallen können (Urteil in der Rs. C-74/16 – Congregación de Escuelas Pías Provincia Betania). Dem Urteil liegt ein Vorabentscheidungsersuchen des Verwaltungsgerichts Nr. 4 von Madrid zugrunde. Dieses ist im Ausgangsverfahren mit dem Einwand der Gemeinde Getafe konfrontiert, die Befreiung von einer Gemeindesteuer auf die sich die katholische Kirche aufgrund eines vor dem Beitritt Spaniens zur EU geschlossenen Abkommens mit dem Heiligen Stuhl berufe, könne nur für Tätigkeiten gelten mit denen reinreligiöse Zwecke verfolgt würden. Ohne eine entsprechende Einschränkung sei die völkerrechtlich vereinbarte Steuerbefreiung angesichts des Umfangs der wirtschaftlichen Betätigung der katholischen Kirche nicht mit dem europäischen Beihilfenrecht vereinbar. Die vom Verwaltungsgericht vorgelegte Frage, ob in der entsprechenden Steuerbefreiung eine rechtswidrige staatliche Beihilfe liegen könne, hat der EuGH dem Grunde nach bejaht. Der Gerichtshof fasst dabei grundlegende Aussagen zum seinem Verständnis des Beihilfenbegriffs – insbesondere zur Abgrenzung von wirtschaftlicher und nichtwirtschaftlicher Tätigkeit – zusammen.

Der Sachverhalt

Die dem Urteil zu entnehmenden Umstände des Vorabentscheidungsverfahrens muten etwas kurios an: Seit 1979 existiert zwischen dem Königreich Spanien und dem Heiligen Stuhl ein völkerrechtliches Abkommen, in dem für Grundstücke der katholischen Kirche und ihrer Einrichtungen eine vollständige Befreiung von verschiedenen Steuern vereinbart wird. Nach einem Erlass aus dem Jahr 2001 gehört zu diesen Steuern auch der sog. ICIO, eine indirekte Gemeindesteuer, die von Bauherren auf Bauwerke, Einrichtungen und Baumaßnahmen erhoben wird. Dieser Erlass sollte im Jahr 2009 dahingehend geändert werden, dass die vollständige Befreiung vom ICIO nur noch für solche Grundstücke gilt, die ausschließlich religiösen Zwecken dienen. Diese Änderung wurde aber letztlich 2013 durch den obersten Verwaltungsgerichtshof Spaniens als unzulässige Einschränkung des völkerrechtlichen Abkommens aufgehoben. Die Frage der Vereinbarkeit der völkerrechtlich vereinbarten Steuerbefreiung mit dem Unionsrecht war vor den Verwaltungsgerichten insoweit nie aufgeworfen worden. Allerdings wurde wohl die Kommission zwischenzeitlich mit dieser Frage befasst. Diese hatte allerdings – so führt es das vorlegende Gericht aus – nicht abschließend Stellung genommen und zudem angenommen, dass sich die Befreiung ausschließlich auf Grundstücke beschränke, die rein religiösen Zwecken dienten.

Das dies nicht der Fall ist, belegt der Ausgangsfall: Dort verlangt eine Kongregation der katholischen Kirche als Trägerin einer Schule in der nahe Madrid gelegenen Gemeinde Getafe die Erstattung der von ihr zunächst gezahlten Gemeindesteuer. Hintergrund ist eine Baugenehmigung für die Renovierung und Erweiterung der Schulaula mit dem Ziel, diese auch für Versammlungen, Kurse, Konferenzen zu nutzen. Die Steuerbehörde der Gemeinde lehnte die Erstattung ab, da das Grundstück nicht für Tätigkeiten bestimmt sei, mit denen ein strikt religiöser Zweck verfolgt werde. Aus beihilferechtlicher Sicht betrifft der Sachverhalt somit nicht nur die Frage, inwieweit Religionsgemeinschaften wirtschaftlich tätig sein und damit der Beihilfenkontrolle unterfallen können sondern zugleich auch die Frage, wann Bildungsleistungen als wirtschaftliche Tätigkeit einzuordnen sind.

Das Urteil des EuGH vom 27. Juni 2017

Der EuGH hat sich der Frage, ob die fragliche Steuererstattung bzw. –befreiung dem Beihilfenverbot in Art. 107 Abs. 1 AEUV unterfallen könne, unter Darstellung der Grundsätze seiner Rechtsprechung zum Beihilfenbegriff genähert. Das Urteil ist insoweit nahezu lehrbuchhaft und von erfreulicher Klarheit.

Aussagen zum Unternehmensbegriff

Zur Frage, ob die Kongregation als Unternehmen im Sinne des Beihilfenbegriffs qualifiziert werden kann, erläutert der Gerichtshof ausführlich, dass es für die Einordnung allein darauf ankomme, ob einzelne der Tätigkeiten, die die Einrichtung ausübt, wirtschaftlicher Natur sind und nicht darauf, welchen Status die Einrichtung hat. Der Umstand, dass Handelnder eine Religionsgemeinschaft ist, sei somit für die Anwendung der europäischen Wettbewerbsregeln irrelevant. Weiter bestätigt der Gerichtshof seine Grundsätze zur Qualifizierung von Bildungsleistungen als Dienstleistungen und damit als wirtschaftliche Tätigkeiten. In diesem Zusammenhang hebt er auch hervor, dass Einrichtungen Tätigkeiten sowohl wirtschaftlicher als auch nichtwirtschaftlicher Art ausüben können, sofern sie über eine getrennte Buchführung verfügen und so jede Gefahr der Quersubventionierung ausgeschlossen werden könne.

Mit Blick darauf, dass die in Frage stehende Steuerbefreiung für die Schulaula gewährt werden soll, die ausschließlich für den angebotenen Unterricht genutzt wird, kann der Gerichtshof sich Aussagen zur Qualität der von der Kongregation als Schulträger auch ausgeübten religiösen Tätigkeiten sowie der sog. ergänzenden Dienstleistungen (wie Bewirtung und Beförderung ihrer Schüler) enthalten. Anders als Generalanwältin Kokott setzt sich der Gerichtshof daher auch nicht damit auseinander, ob untergeordnete bzw. ergänzende unternehmerische Tätigkeiten vernachlässigbar sind, sofern die übrigen Tätigkeiten nichtwirtschaftlicher Art sind. Die Generalanwältin hatte sich insoweit zwar grundsätzlich für eine Vereinfachungsregel aber gegen eine Verallgemeinerung der 20%-Regel ausgesprochen, die für Forschungsinfrastrukturen in der AGVO verankert ist und auf die die Kommission auch in der Mitteilung zum Beihilfenbegriff („NoA“) Bezug nimmt (dort Rn. 207 und Fn.305).

Was die von der Kongregation angebotenen Unterrichtstätigkeiten betrifft, wird letztlich das vorlegende Gericht anhand der Auslegungshinweise des EuGH zu entscheiden haben, inwieweit es sich hierbei um nichtwirtschaftliche und wirtschaftliche Tätigkeiten handelt. Anhand der im Verfahren vorgelegten Informationen geht der EuGH entsprechend seiner ständiger Rechtsprechung allerdings davon aus, dass der in der Schule erteilte Pflichtunterricht, der durch den spanischen Staat finanziert wird und damit als Teil des staatlichen Bildungssystems angesehen werden kann, nicht als wirtschaftliche Tätigkeit einzustufen ist. Die Bildungsleistungen dagegen, die  im spanischen Bildungssystem als freiwillig gelten und im Wesentlichen mittels privater finanzieller Beteiligung (Schulgeld aber auch durch Dritte) finanziert werden – wie die frühkindliche Erziehung, außerschulischer Unterricht oder Unterricht im Anschluss an die Schulpflicht – dürften dagegen wirtschaftlicher Natur sein. Aus Sicht des EuGH spricht daher vieles dafür, dass die Kongregation zumindest mit diesen Leistungen als Unternehmen tätig wird. Sofern die Schulaula für diese Unterrichtstätigkeiten genutzt würde, könnte die streitige Steuerbefreiung folglich unter das Beihilfenverbot fallen.

Vorliegen eines selektiven Vorteils  

Unter dieser Prämisse geht der EuGH anschließend auf die übrigen Tatbestandsmerkmale des Beihilfenbegriffs ein. Dabei bestätigt er nochmals die Rechtsprechung zum Kriterium des selektiven wirtschaftlichen Vorteils bei Steuermaßnahmen und hebt hervor, dass die Steuerbefreiung zugunsten der katholischen Kirche a priori selektiv sei, da sie nicht für alle Wirtschaftsteilnehmer unterschiedslos gelte. Ein Anhaltspunkt für eine Rechtfertigung der Ungleichbehandlung aus dem Wesen oder dem allgemeinem Zweck des spanischen Steuersystems sei nicht ersichtlich. Da die Steuerbefreiung zu Einnahmeneinbußen bei der Gemeinde führen würde und sie zudem auf einen Erlass des spanischen Finanzministeriums aus 2001 zur Umsetzung des völkerrechtlichen Abkommens zurückgeht (und damit auf nationales Recht), sieht der Gerichtshof zudem die Staatlichkeit der Begünstigung als gegeben an.

Zur Handelsbeeinträchtigung und Wettbewerbsverfälschung

Mit Blick auf die gegenwärtigen Bestrebungen der Kommission, das Merkmal der Handelsbeeinträchtigung zu ertüchtigen, um Maßnahmen mit sehr lokalen Auswirkungen dem Beihilfentatbestand zu entziehen, sind gerade auch die Aussagen des Urteils zu den Kriterien der Handelsbeeinträchtigung und Wettbewerbsverzerrung von Interesse. Der Gerichtshof prüft hier – entsprechend ständige Praxis – diese beide Kriterien zusammen und hebt hervor, dass es für die Qualifizierung einer Maßnahme als Beihilfe nicht auf den Nachweis einer tatsächlichen Auswirkungen auf den Handel oder den Wettbewerb ankomme, sondern es bereits genüge, wenn eine Maßnahme geeignet ist, eine Beeinträchtigung herbeizuführen. Hinsichtlich des Merkmals der Handelsbeeinträchtigung hält der Gerichtshof daran fest, dass hiervon auszugehen sei, wenn eine Beihilfe die Stellung bestimmter Unternehmens gegenüber anderen Wettbewerbern im zwischenstaatlichen Handel stärkt, wobei es nicht darauf ankomme, ob das begünstigte Unternehmen selbst am zwischenstaatlichen Handel teilnimmt. Dies sei vorliegend anzunehmen, da die die Steuerbefreiung möglicherweise dazu führe, dass die Kongregation ihre Unterrichtsleistungen im Vergleich zu Einrichtungen, die auf dem gleichen Markt tätig seien, attraktiver gestalten könnte.

Eine Einschränkung angesichts des ggf. sehr lokalen Einzugsbereichs der Schule und dem Zuschnitt auf das spanische Bildungssystem scheint der Gerichtshof insoweit nicht machen zu wollen. Allerdings erkennt er an, dass im Unionsrecht, namentlich durch die De-minimis-Verordnung (im fraglichen Fall noch die VO 1998/2006), anerkannt sei, dass Beihilfen eines Betrages von maximal 200.000 EUR innerhalb von drei Steuerjahren zu keiner Handelsbeeinträchtigung und Wettbewerbsverfälschung führten. Sofern dieser Schwellenwert für die Vorteile zugunsten der wirtschaftlichen Tätigkeit der Kongregation nicht überschritten werde – was zu prüfen Aufgabe des nationalen Gerichts sei – sei die Maßnahme vom Beihilfenbegriff ausgenommen. Nichts an die Hand gibt der Gerichtshof dem nationalen Gericht allerdings nichts dafür, wie Lichte der Umstände des vorliegenden Falls zu berechnen sein soll, ob der De-minimis-Schwellenwert überschritten wird. Es bleibt insoweit unklar, wie die Vorteile für die ggf. anteilige Nutzung der Aula für die wirtschaftlichen Bildungsleistungen quantifiziert werden sollen (pro Stunde/Schüler, o.ä.). Der Gerichtshof verweist das Gericht insoweit auf die Kommission, die es bei Zweifeln oder Schwierigkeiten bei der Ermittlung der Beihilfe als amicus curiae in Anspruch nehmen könne.

Keine bestehende Beihilfe

Angesichts der Erklärungen der spanischen Regierung im Verfahren geht der Gerichtshof zuletzt noch darauf ein, dass es sich bei der Steuerbefreiung – sollte es sich nach den Tatsachenfeststellungen des Verwaltungsgerichts um eine Beihilfe i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV handeln – nicht um eine bestehende Beihilfe handelt. Denn auch wenn das völkerrechtliche Abkommen, auf dem die Maßnahme beruhe, bereits 1979 und damit vor dem Beitritt Spaniens zur EU im Jahr 1986 abgeschlossen wurde, sei die hier in Rede stehende Gewerbesteuer erst danach in die spanische Rechtsordnung aufgenommen worden und die hier fragliche Befreiung vom ICIO beruhe auf dem Erlass aus 2001. Es sei daher von einer neuen Beihilfe i.S.d. Art. 108 Abs. 3 AEUV auszugehen.

Diesen Beitrag schrieb Rechtsanwältin Julia Lipinsky während ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner

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