Wenn die Versagung einer (Corona-)Beihilfe die Gewährung einer Beihilfe ist oder: Knotenlösen mit dem EuGH

Manchmal ist es ja so, dass man sich bei der Beschäftigung mit bestimmten Rechtsthemen unterschwellig eine Frage stellt, zum Durchdenken der Lösung aber aus unterschiedlichsten Gründen noch nicht kommt (oder kommen muss). Umso schöner ist es dann, wenn der EuGH diese Frage zu beantworten hat. So für die Autorin geschehen mit dem Urteil vom 03.07.2025 in der Rechtsache „TOODE“ (C-653/23). Worum geht es? Kurz gesagt um die Frage, ob abgelehnte Corona-Beihilfen nach erfolgreicher gerichtlicher Anfechtung der Ablehnung bewilligt werden dürfen, obwohl der Befristete Rahmen für Covid-19-Beihilfen („Temporary Framework“) vorsah, dass auf seiner Grundlage genehmigte Beihilfen spätestens bis zum 30.06.2022 gewährt sein mussten.

Der Sachverhalt

Angerufen wurde der EuGH durch das Regionalverwaltungsgericht Lettland. Dieses war mit einem Rechtsstreit befasst, wie es ihn auch in Deutschland vielfach geben dürfte: Wie auch Deutschland hatte Lettland während der Corona-Pandemie von der Kommission Beihilferegelungen auf der Grundlage des „Befristeten Rahmens für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19“ (= Befristeter Covid-Beihilferahmen) zur kurzfristigen Überwindung von pandemiebedingten Umsatzeinbrüchen seiner Unternehmen genehmigen lassen. Die Corona-Hilfen wurden mittels Verwaltungsakten ausgereicht. Die SIA „TOODE“, ein Unternehmen für Bau- und Metallprodukte, beantragte im März und April 2021 bei der zuständigen Behörde Corona-Hilfen. Ihre Anträge wurden zwischen April und Juli 2021 mit dem Hinweis darauf abgelehnt, dass das Unternehmen, den für die Hilfen erforderlichen Umfang der Umsatzrückgänge nicht nachgewiesen habe und daher die nationalen Voraussetzungen für die Bewilligung der Hilfe nicht erfülle. TOODE ging gegen die Ablehnungen gerichtlich vor und verlor in erster Instanz. Das Regionalverwaltungsgericht als Gericht der zweiten Instanz kam zu dem Ergebnis, das es zur Entscheidung über die Klage klären müsse, ob TOODE überhaupt noch ein Anspruch auf die begehrten Hilfen zustehen kann, da zwischenzeitlich – der Verwaltungsrechtsstreit hat November 2023 erreicht – nach der genehmigten Beihilferegelung keine Corona-Beihilfen mehr gewährt werden dürften. Denn in Übereinstimmung mit dem Befristeten Covid-Beihilferahmen mussten die genehmigten Beihilfen bis spätestens zum 30.06.2022 gewährt worden sein.

Im lettischen Recht verhält es sich aber – ähnlich wie im deutschen Recht – so, dass die Bewilligungsbehörde einen ablehnenden Bescheid ausspricht und erst mit der gerichtlichen Aufhebung und Verpflichtung zur Bewilligung ex nunc den begünstigenden Verwaltungsakt erteilt. Dieser begünstigende Verwaltungsakt stellt damit entsprechend der bisherigen ständigen Rechtsprechung grundsätzlich erst die Gewährung der Beihilfe dar. Denn danach gelten Beihilfen zu dem Zeitpunkt als im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV „gewährt“, zu dem der Beihilfeempfänger nach dem geltenden nationalen Recht einen sicheren Rechtsanspruch auf die Beihilfe erwirbt und der Staat mithin zur Gewährung verpflichtet ist.

Die Vorlagefragen

Das Regionalverwaltungsgericht Lettland stellte sich durchaus nachvollziehbar die Frage, ob beim Vorliegen dieser besonderen Umstände die Gewährung der Beihilfe nicht doch zu dem Zeitpunkt angenommen werden müsste, in dem die zuständige Behörde zu Unrecht den Anspruch auf die Corona-Hilfen abgelehnt habe. Zudem wollte es wissen, ob es sich bei der Beihilfe in einer solchen Situation noch um eine bestehende Beihilfe handelt, obgleich sie nach dem in der genehmigten Beihilferegelung festgelegten Stichtag gewährt wird.

Antwort des EuGH: Es bleibt bei den Grundsätzen, aber…

Bei der Beantwortung der ersten Vorlagefrage stellt der EuGH zunächst die bestehende Rechtsprechung betreffend den Zeitpunkt der Beihilfengewährung heraus und stellt klar, dass es bei dem Grundsatz bleibt: Entscheidendes Kriterium für die Gewährung ist der Erwerb eines sicheren Rechtsanspruch des Begünstigten auf die staatliche Beihilfe durch eine bestimmte Maßnahme nach dem geltenden nationalen Recht. Das vorlegende Gericht habe daher sämtliche Voraussetzungen zu berücksichtigen, die im nationalen Recht für die Gewährung vorgesehen sind und müsse prüfen, ob in der beschriebenen Ausgangssituation das nationale Recht nicht doch die Annahme zulässt, dass der sichere Rechtsanspruch zu dem Zeitpunkt ex tunc erworben wird, in dem die zuständige Behörde rechtmäßig hätte handeln müssen.

Da nun das vorlegende Gericht aber vortrug, dass die Versagungsentscheidung der Behörde auch bei gerichtlich festgestellter Rechtswidrigkeit nicht als Entscheidung zur Verschaffung eines sicheren Rechtsanspruchs interpretiert werden könne, sondern es einer ex nunc Bewilligung bedürfe, konnte sich der EuGH nicht mit diesen Hinweisen begnügen. Um den damit entstandenen Knoten zwischen beihilferechtlichem Gewährungszeitpunkt (und damit ggf. einschlägigem Beihilfeverbot bei späterer Bewilligung) und dem Recht auf gerichtlichen Rechtsschutz zu lösen, greift der EuGH in die rechtliche Trickkiste und bedient sich dem klassischen Ansatz: „wenn nichts mehr hilft, greifen wir auf die Grundrechte zurück“.

Knotenlösen á la EuGH

Was dann folgt ist die hohe Kunst des Enthedderns in drei Schritten:

  • Zuerst muss der EuGH zur Anwendbarkeit der Unionsgrundrechte kommen. Hierzu stellt er fest, dass die zeitliche Befristung, die im vorliegenden Fall maßgeblich ist, aus dem Befristeten Covid-Beihilferahmen und dem darauf fußenden Genehmigungsbeschluss der Kommission zur Beihilferegelung Lettlands folgt. Damit handele es sich um die Durchführung des Unionsrechts i.S.d. Art. 51 GR-Charta, so dass die Unionsgrundrechte anwendbar sind.
  • Im zweiten Schritt legt der EuGH die Vorlagefrage des Regionalverwaltungsgericht Lettland neu aus. Und zwar dahingehend, dass das Gericht im Ergebnis doch wohl ganz sicher die Frage beantwortet haben möchte, ob Art. 107 Abs. 1 AEUV und Art. 47 Abs. 1 GR-Charta („Recht auf effektiven gerichtlichen Rechtsschutz“) einer Auslegung des nationalen Rechts entgegenstehen, nach der eine unter einer genehmigten Beihilferegelung gewährte Einzelbeihilfe nicht zu dem Zeitpunkt als im Sinne dieser Bestimmungen „gewährt“ angesehen werden kann, zu dem die zuständige nationale Behörde dem Antragsteller die fristgerecht beantragte Beihilfe zu Unrecht versagt hat, wenn nach Ablauf der Frist durch gerichtliche Entscheidung die Rechtswidrigkeit der Versagung festgestellt wird.
  • Und mit dieser großzügigen Umformulierung, kommt der EuGH zu dritten Schritt: Der Interpretation von Art. 107 Abs. 1 AEUV im Lichte von Art. 47 Abs. 1 GR-Charta und dem Schluss „Grundrechte stechen hier das Beihilfenrecht“. Der EuGH hebt zunächst hervor, dass es sich bei dem in Art. 47 Abs. 1 GR-Charta garantierten Recht auf effektive Rechtsbehelfe des Einzelnen um ein hohes Gut handelt. Dieses könnte in dem vorliegend beschriebenen Fall nicht gewährleistet werden, wenn eine Beihilfe, die nach Rechtmäßigkeitskontrolle durch gerichtliches Urteil anerkannt wird, wegen des durch die betreffende Beihilferegelung festgelegten zeitlichen Rahmens nicht mehr in Anspruch genommen werden könne. Die Vollstreckung der gerichtlichen Entscheidung würde ins Leere laufen und somit kein wirksamer Rechtsbehelf im Sinne von Art. 47 GR-Charta existieren.

Folglich müsse Art. 47 Abs. 1 GR-Charta als unmittelbar wirkendes Unionsrecht in der vorliegenden Konstellation dazu führen, dass die nationalen Gerichte nationale Rechtsvorschriften unangewendet lassen müssen, die der Annahme entgegenstehen, dass die Einzelbeihilfe zum Zeitpunkt der ablehnenden Entscheidung der zuständigen Behörde gewährt wurde. Der Zeitpunkt, zu dem diese Beihilfe als im Sinne von Art. 107 Abs. 1 AEUV „gewährt“ gilt, müsse daher dem Zeitpunkt entsprechen, zu dem die zuständige Behörde dem fraglichen Unternehmen zu Unrecht eine Ablehnung erteilt hat.

Mit diesem Ergebnis wird für den EuGH auch die Beantwortung der zweiten Vorlagefrage unproblematisch, da wenn die TOODE nach Entscheidung des nationalen Gerichts zu bewilligende Beihilfe als im Zeitpunkt der Ablehnung als „gewährt“ gilt, sie innerhalb der Frist der nach dem Befristeten Covid-Beihilferahmen genehmigten Beihilferegelung ausgereicht wurde und damit als „bestehende“ Beihilfe i.S.v. Art. 1 lit. b)  Ziffer ii) VO 2015/1589 anzusehen ist. Nach dem EuGH führt ein solches Verständnis auch nicht zu einer ungerechtfertigten Wettbewerbsverfälschung. Denn die letztlich verspätete Auszahlung der Beihilfe versetze den Antragsteller nach Ablauf der betreffenden Beihilferegelung nur in die Lage, in der er sich hätte befinden müssen, wenn die zuständige Behörde rechtmäßig gehandelt hätte. Sie beinhalte daher keine Wettbewerbsverzerrung, sondern ermögliche gerade die Wiederherstellung des Wettbewerbsgleichgewichts auf dem Markt.

Resümee

Zusammenfassend ist festzuhalten: Der EuGH hat an einem sehr praxisrelevanten Thema das „große Besteck“ ausgepackt und eine ausgleichende Lösung im Bereich der Corona-Hilfen zu finden versucht. Damit zeigt sich auf europäischer Ebene eine etwas andere Tendenz als jene, die teilweise bei den nationalen Gerichten und Behörden zu finden ist. Das Urteil „TOODE“ ist dabei auch für deutsche Fälle von Relevanz – insbesondere für jene, bei denen vor der Ablehnung der Hilfen kein Bescheid ergangen ist, mit dem zur Sicherung der Gewährung der Beihilfen vor dem 30.06.2022, eine Bewilligung dem Grunde nach ausgesprochen wurde. Für all diese Fälle steht nun fest, dass die bewilligenden Behörden nach einer gerichtlichen Überprüfung der Ablehnung und der Verpflichtung zur Neubescheidung nach dem 30.06.2022 nicht einwenden können, es existiere für die Hilfen keine genehmigte Beihilferegelung mehr und sie könnten somit nicht bewilligt werden. Dies jedenfalls, sofern die Hilfen fristgerecht vor dem 30.06.2022 beantragt wurden. Es bleibt gleichwohl abzuwarten, ob sich trotz des Grundsatzurteils „TOODE“ nicht doch noch der ein oder andere kleinere Knoten bei der Bearbeitung der Corona-Hilfen finden lässt.

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