Nach dem Krankenhaus Rating Report 2016 befanden sich im Jahr 2014 etwa 11% der öffentlich-rechtlichen Krankenhäuser in erheblichen finanziellen Schwierigkeiten. Viele von ihnen hängen dauerhaft am finanziellen Tropf ihrer kommunalen Träger. Die zum Ausgleich der jährlichen Verluste staatlich verabreichte Finanzspritze ist den Krankenhäusern in privater oder freigemeinnütziger Trägerschaft schon seit Jahren ein Dorn im Auge. Eine beihilferechtliche Beschwerde der Privaten Betreiber bei der Kommission war bislang jedoch nicht erfolgreich. Ermutigt durch das Urteil des EuG in der Rs. T-137/10, in dem es um die staatliche Finanzierung belgischer Krankenhäuser ging, unternahm der Bundesverband der Deutschen Privatkliniken (BDPK) erneut einen Vorstoß.
Dieses Mal aber nicht via Brüssel, sondern direkt über den Weg deutscher Zivilgerichte. Als Präzedenzfall wählte der BDPK die Verlustausgleichsfinanzierung der Kreiskliniken Calw. War der BDPK in den beiden vorherigen Instanzen noch vollumfänglich gescheitert (LG Tübingen – Urteil vom 23. Dezember 2013 – 5 O 72/13 und OLG Stuttgart – Urteil vom 20. November 2014 – 2 U 11/14), kann er nun in der Revisionsinstanz zumindest einen vorläufigen Teilerfolg verbuchen: Zumindest für den Ausgleich der Verluste der Kreiskliniken Calw für 2012/13 hat der BGH die Sache zur neuen Verhandlung und Entscheidung an das Berufungsgericht zurückverwiesen.
Parallel zu dem nunmehr veröffentlichten Urteil des BGH vom 24.3.2016 (I ZR 263/14) hat nun auch die Kommission fast zeitgleich erneut im Rahmen einer Beschwerde einen Beschluss zu den belgischen Krankenhäusern erlassen (http://europa.eu/rapid/press-release_IP-16-2414_de)
Die Träger der privaten Kliniken in Belgien und Deutschland dürften im Ergebnis mit beiden Entscheidungen nicht wirklich glücklich sein.
Betriebspflicht eines öffentliches Krankenhaus als Grundlage für eine ausgleichsfähigen DawI
Im Ergebnis geht der BGH davon aus, dass es sich bei der bedarfsgerechten Versorgung der Bevölkerung mit Krankenhausleistungen, wie sie die Krankenhäuser in Calw und Nagold erbringen, um eine Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DawI) im Sinne von Art. 106 Abs. 2 AEUV handelt. Die Grundversorgung nach den Landeskrankenhausgesetzen wird jedoch in gleicher Weise auch von freigemeinnützigen und privaten Krankenhäusern – soweit diese in den jeweiligen Landeskrankenhausplan aufgenommen worden sind – wahrgenommen. Daher lässt der BGH mit Blick nach Luxemburg nur einen finanziellen Ausgleich für Tätigkeiten zu, die über die Aufgabe anderer Krankenhäuer hinausgehen und die ansonsten nicht erbracht würden. Nur für diesen Fall geht der BGH von der Freistellung der Beihilfen zur Verlustausgleichsfinanzierung von der Notifzierungspflicht auf Grundlage der Freistellungsentscheidung 2005/842/EG bzw. des Freistellungsbeschlusses 2012/21/EU aus.
Dabei nimmt er Bezug auf das o.g. Urteil des EuG zu den Belgischen Krankenhäusern. Nach den Ausführungen des Gerichts der Europäischen Union ist für die Annahme einer besonderen, ausgleichsfähigen Verpflichtung der Krankenhäuser nicht die Übertragung einer konkreten Sonderaufgabe erforderlich. Sonderfinanzierungsmaßnahmen könnten vielmehr auch durch andere Erwägungen wie z.B. aus Gründen des Gesundheits- und Sozialwesens notwendig sein.
Vor diesem Hintergrund ergibt sich für den BGH bereits aus der Aufnahme der öffentlichen Krankenhäuser in den Landeskrankenhausplan eine ausgleichsfähige Betriebspflicht. Damit seien die Krankenhausträger für den Fall einer potentiellen medizinischen Versorgungslücke zum Betrieb der öffentlichen Plankrankenhäuser verpflichtet. Kann eine bedarfsgerechte medizinische Versorgung der Bevölkerung nicht durch Krankenhäuser anderer Träger sichergestellt werden, sind Stadt- und Landkreise verpflichtet, die Versorgungslage durch den Betrieb notwendiger Krankenhäuser abzusichern. Dieser Sicherstellungauftrag beinhaltet damit eine Betriebspflicht für öffentliche Krankenhäuser, die auch die Aufrechterhaltung des Betriebs eines unwirtschaftlichen Krankenhauses rechtfertige. Eine solche Verpflichtung treffe hingegen die Träger privater oder freigemeinnütziger Krankenhäuser nicht. Da die Krankenhauskapazitäten nicht erst bei Eintritt einer Versorgungslücke geschaffen werden könnten, sondern permanent vorgehalten werden müssten, sei ein Verlustausgleich bereits vor Eintritt eines Versorgungsengpasses ausgleichsfähig. Diese besondere Betriebspflicht öffentlicher Krankenhäuser eröffne daher den Anwendungsbereich der DawI-Freistellung für die Gewährung des staatlichen Defizitausgleichs.
Um jedoch tatsächlich für den Defizitausgleich von dem Freistellungstatbestand Gebrauch machen zu können, müssen die öffentlichen Krankenhäuser mit der Wahrnehmung einer DawI auch betraut worden sein. Allein die Aufnahme in den Krankenhausplan sichert zwar die Betriebspflicht ab, beinhaltet jedoch keinen Betrauungsakt. Dafür ist vielmehr ein unabhängiger Akt (idR. ein Verwaltungsakt) erforderlich. Dieser muss dabei Art und Dauer der Gemeinwohlverpflichtung, das beauftragte Unternehmen und den geographischen Geltungsbereich, Art und Dauer der dem Unternehmen ggf. gewährten ausschließlichen Rechte, die Berechnung der Ausgleichsparameter sowie Regelungen für den Fall der Überkompensation beinhalten. Für die Parameter der Berechnung der Ausgleichsleistungen genüge dabei ein Verweis auf den vom zuständigen Krankenhausgremium jährlich aufzustellenden Wirtschafts- oder Haushaltsplan, in dem vorab die aus der Erbringung der DawI folgenden Erträge und Aufwendungen und somit auch ein mögliches Defizit ausgewiesen wird.
Übertragung von Krankenhaussonderaufgaben als Grundlage für eine ausgleichsfähige DawI
Auf Grundlage einer Beschwerde zweier Vereinigung von privaten Brüsseler Krankenhäusern, die sich gegen den staatlichen Defizitausgleich zugunsten von fünf öffentlichen IRIS-Krankenhäusern in Brüssel wandte, hatte sich die Kommission seit 2005 mit einem vergleichbaren, belgischen Fall zu beschäftigen. In ihrer Entscheidung aus dem Jahr 2009 stellte die Kommission fest, dass der Ausgleich für die erlittenen Verluste in 1996 mit dem Binnenmarkt vereinbar war. Einer der Beschwerdeführer klagte jedoch gegen die Entscheidung der Kommission und das Gericht der Europäischen Union erklärte in seinem o.g. Urteil vom 7. November 2012 die Entscheidung der Kommission für nichtig und stellte fest, dass die Kommission zur Überprüfung des Falls ein förmliches Prüfverfahren hätte eröffnen müssen, um zusätzliche Informationen einzuholen. Die Argumente des Beschwerdeführers ließen Zweifel an der Vereinbarkeit zu. Die Kommission eröffnet daher am 1. Oktober 2014 das förmliche Prüfverfahren.
Wie der bislang nur vorliegenden Pressemitteilung zu entnehmen ist, kommt die Kommission in ihrem Beschluss vom 5. Juli 2016 zu dem Ergebnis, dass die IRIS-Krankenhäuser mit einer Reihe von zusätzlichen Aufgaben neben den normalen Krankenhausaufgaben, die auch andere zu erfüllen haben, betraut wurde. Zu diesen Krankenhaussonderaufgaben zählt die Kommission die Pflicht, auch Patienten aus sozial schwächeren Schichten zu versorgen.
Die Kommission scheint in ihrem Beschluss in der Übertragung der konkreten Sonderaufgaben den Ansatzpunkt für einen beihilfekonformen Defizitausgleich durch die Brüsseler Kommune zu sehen. Diesbezüglich sind die konkreten Begründungen in des bislang noch nicht veröffentlichen Beschlusses abzuwarten.
Wettbewerb versus Versorgungssicherheit
Der BGH hat den Defizitausgleich im Krankenhaussektor durch die öffentlichen Träger auf eine beihilferechtliche Formel gebracht: Aufnahme in den Krankenhausplan (Betriebspflicht) + Betrauungsakte = ausgleichsfähige DawI. Damit hat der BGH die vom OLG Stuttgart aufgestellte Gleichung zu Recht um einen notwendigen Betrauungsakt korrigiert.
Das OLG Stuttgart wird sich zumindest mit den Verlusten 2012/13 erneut beschäftigen dürfen. Unabhängig von der DawI hat der BGH das Berufungsgericht darauf hingewiesen, das Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung genauer unter die Lupe zu nehmen. Fehlt diese – wie in dem Beschluss der Kommission zur Landgrafen Klinik in Bad Nenndorf – könnte damit das Vorliegen einer Beihilfe auch ganz ausgeschlossen werden, ohne dass der Erlass eines Betrauungsaktes erforderlich wäre.
Die Leser mögen den etwas sonderbar anmutenden Vergleich an dieser Stelle verzeihen: Aber anders als bei einer Seuchenreserve im Bereich der Tierkörperbeseitigung handelt es sich also als bei der Vorhaltung einer medizinischen Versorgungsreserve um eine ausgleichsfähige DawI (dazu EuG, Rs. T-137/10 „Tierkörperbeseitigung“).
Die Ursache dafür dürfte das für die medizinische Grundversorgung fehlende Verursacherprinzip sein.
Damit ist die sogenannte „dritte Säule“ der Finanzierung öffentlicher Krankenhäuser beihilferechtlich wieder abgesichert (vgl. dazu http://beihilfen-blog.eu/wackelt-die-dritte-saeule-der-krankenhausfinanzierung/). Ein anderes Ergebnis war auch schon aus Sorge um die weitreichenden Folgen für das deutsche Krankenhaussystem nicht wirklich zu erwarten. Tarifbindungen, ein Investitionsstau von über 3 Mrd. € sowie fehlender Zugang zum Kapitalmarkt für die häufig als Eigenbetriebe organisierten öffentlichen Krankenhäuser sind dabei Auslöser der Schieflage. Anders als private Krankenhäuser, sind Krankenhäuser in öffentlicher Trägerschaft ohne die zusätzliche Unterstützung damit nicht lebensfähig.
Wäre es nicht jetzt eine gute Gelegenheit gewesen, den verkrusteten Krankenhausmarkt in Deutschland – geprägt durch die europaweit größte Krankenhausdichte – aufzubrechen? Aber genau wie die Kommission in dem belgischen Verfahren betrachtet der BGH die medizinische Versorgungssicherheit als hohes schutzwürdiges Gut. Ob nun aufgrund der Übertragung einer konkreten Krankenhaussonderaufgabe oder aus Gründen der allgemeinen medizinischen Versorgungssicherheit – der Defizitausgleich ist beihilferechtskonform, soweit eine entsprechende Betrauung vorliegt. Dem ist im Ergebnis wohl zu zustimmen, zu groß wäre das Risiko, diesen Bereich dem Wettbewerb zu überlassen, mit dem Ergebnis, dass private Betreiber auf Dauer nur die wirtschaftlichen Bereiche bedienen und dabei z.B. die medizinische Versorgung in ländlichen Bereichen weiter ausdünnen.
Aber auf der anderen Seite wird an Lösungen zu arbeiten sein, die medizinische Grundversorgung abzusichern, aber dabei die Notwendigkeit staatlicher Unterstützung zu reduzieren. Dafür werden weitreichende Umstrukturierungen, die über die Formulierung eines Betrauungsaktes hinausgehen, erforderlich werden. Im Krankenhaus Rating Report 2016 wird in diesem Zusammenhang bereits von der Einrichtung sogenannter „bad hospitals“ zur Abwicklung maroder Krankenhäuser unter Bezug auf die „bad banks“ im Bankensektor gesprochen
Es bleibt daher abzuwarten, wie sich dieser Sektor weiterentwickeln wird. Der beihilferechtliche Ansatz ist nach dem Urteil des BGH trotz Rückverweis zum OLG Stuttgart zumindest in Deutschland erst einmal ausgeschöpft. Es bleibt der Hinweis des BGH an die privaten Krankenhäuser von der Möglichkeit der Verpflichtungs- oder Anfechtungsklage gegen die Feststellungsbescheide auf Aufnahme der Kreiskliniken Calw in den Krankenhausplan Gebrauch zu machen und damit zu beantragen, mit dem den Kreiskrankenhäusern Calw zugeteilten Bettenkontingent in den Krankenhausplan aufgenommen zu werden.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner