Seeverkehr in Not – Was geht im Beihilfenrecht während der Corona-Krise?

Bereits in der vergangenen Woche hat die Kommission einen Überblick über beihilferechtliche Lösungsansätze für den Seeverkehr in der Corona-Krise veröffentlicht. Auch hier spielt die Anwendung des DawI-Pakets als Rechtfertigungsgrundlage eine entscheidende Rolle.

Auf Grundlage der Mitteilung der Kommission zur vorübergehenden Beschränkung von nicht unbedingt notwendigen Reisen in der EU vom 16.03.2020 und den Eindämmungsmaßnahmen der Länder zur Verhinderung der Ausbreitung von Corona ist in den letzten Wochen die normale Reisetätigkeit nahezu weltweit zum Erliegen gekommen. Diese Entwicklung hat nicht nur Auswirkungen auf die Kreuzfahrtbranche, sondern auch auf Gütertransporte auf dem Seeweg, die über Roll-On-Roll-Off-Passagierschiffe („RO-PAX“) oder Fährschiffe befördert werden, deren Verkehr in hohem Maße von den Einnahmen aus dem Personenverkehr abhängt. Der starke Rückgang des Personenverkehrs und die daraus resultierenden Einkommensverluste haben das Güterverkehrsgeschäft wirtschaftlich in Schwierigkeiten gebracht.
Viele Reedereien haben für Abfahrten im Juli und August 2019 sog. Blank Sailings angekündigt. Dies bedeutet, dass zum Teil komplette Abfahrten aus dem asiatischen Raum ausfallen oder vereinzelte Häfen nicht angelaufen werden. Als Folge dessen wird es in den nächsten Wochen zu einer extremen Verknappung des Schiffsraumes kommen. 
Neben den Reedereien sind aber auch die Hafenbetreiber betroffen. Die in fast allen Häfen zu erkennende Abschwächung bei den Import- und Exportströmen ist mit dem Aussetzen globaler Transport- und Lieferketten durch die Auswirkungen der Corona-Krise zu erklären. So blieb im Hamburger Hafen der Seegüterumschlag in den ersten drei Monaten des Jahres mit insgesamt 31,9 Mio. t (-7,9 Prozent) unter dem Vorjahresergebnis. Der Containerumschlag lag mit 2,2 Mio. TEU um 6,6 Prozent unter dem Vorjahreszeitraum. Darüber hinaus unterstützt Hamburg die Hafenwirtschaft in der aktuell schwierigen Lage auch durch die Stundung von Entgelten. So soll See-Reedereien, Binnenreedereien und Hafenschiffern auf Antrag die Zahlung der Hafenentgelte für die Monate April, Mai und Juni gestundet werden. Auch dieser Aufschub kann bis zum 31. Dezember 2020 gewährt werden.
Die Kommission erkennt vor diesem Hintergrund die Notwendigkeit an, diese Branche durch staatliche Zuschüsse, Darlehen, öffentliche Garantien, Steuernachlässe oder Stundungen sowie Rabatte oder Aufschub von Konzessionsgebühren oder Grundmietgebühren zu unterstützen. Sie sieht darüber hinaus auch die Notwendigkeit der Mitgliedstaaten, diesen Engpass zum Teil durch Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI) zu überbrücken. Dies insbesondere in Regionen wie Inseln oder abgelegenen Gebieten, die auf eine Seeverkehrsverbindung angewiesen sind. Ausgleichsmöglichkeiten können dabei sowohl die Anbieter der Seeverkehre als auch die Hafeninfrastruktur betreffen.

Beihilfefreie Finanzierungsmöglichkeiten

Die Kommission führt in ihrem Überblick über die Anwendbarkeit der Beihilferegeln auf den Seeverkehr in der Corona-Krise zunächst aus, dass eine staatliche Unterstützung hoheitlicher Tätigkeiten auch im Seeverkehr beihilfefrei erfolgen kann. Dazu zählen während der Corona-Krise insbesondere auch die Rückführung von Staatsangehörigen, der Transport von Personen aus medizinischen Gründen sowie militärische Aktivitäten.
Daneben gehören zu den hoheitlichen Tätigkeiten der Hafeninfrastruktur auch weiterhin z.B. die Seeverkehrskontrolle, Schutz und Belastbarkeit gegen extreme Wetterbedingungen, Küstendrift, Wellen/Gezeiten, Überschwemmungen und Erosion sowie Polizei, Zoll, Bekämpfung der Umweltverschmutzung und die Kontrolle und Sicherheit der Navigation. Auch diese können beihilfefrei unterstützt werden.
Corona-bedingt neu ist der Ansatz der Kommission, wie auch in der Luftverkehrsbranche, dass neue öffentliche Dienstleistungsaufträge für Seeverbindungen, die vor dem Ausbruch kommerziell betrieben wurden, unter bestimmten Voraussetzungen unter Anwendung der “Altmark-Kriterien“ beihilfefrei unterstützt werden können. Eine Notifizierung dieser Maßnahmen wäre dann nicht mehr notwendig. Dafür ist jedoch die Einhaltung der vier „Altmark-Kriterien“ erforderlich.
Zunächst muss der Mitgliedstaat dafür den Umfang der Dienstleistung konkretisieren. Dazu gehört die Festlegung der wesentlichen Strecken, die aktiv bleiben oder im Falle der Hafeninfrastruktur die wesentlichen Hafendienste, die jeweilige erforderliche Mindestfrequenz (in Bezug auf Verbindungen) und Volumen (in Bezug auf Fahrgastzahlen) oder im Falle der Hafeninfrastruktur die Menge und Qualität der zu gewährleistenden Dienstleistungen.
Die Notwendigkeit der Maßnahme könnte aus Sicht der Kommission nachgewiesen werden, indem belegt wird, dass seit dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie, die Nachfrage von Passagieren und/oder nach Gütertransporten stark und unvorhersehbar zurückgegangen ist und dass Verluste die Erbringung der Dienstleistung damit nicht mehr wirtschaftlich machen.
Um nachhaltige Auswirkungen auf den Wettbewerb im Bereich der Seeverkehre zu verhindern, schlägt die Kommission vor, für den Fall, dass bislang die Leistung von mehreren Betreibern angeboten wurde, die nun auf einen Betreiber übertragene DawI auf dessen Marktanteil vor dem Ausbruch von COVID-19 zu begrenzen. Dabei sollte der Vertrag auf eine Laufzeit begrenzt sein, die drei bis sechs Monate nicht übersteigt und nicht über den 31. Dezember 2020 hinausgehen. Eine Verlängerung um weitere drei Monate und über den 31. Dezember 2020 hinaus ist jedoch möglich, sofern diese Verlängerung durch die Entwicklung des Ausbruchs von COVID-19 und im Einklang mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit hinreichend gerechtfertigt ist.
In jedem Fall sollten Dauer und Umfang dieser DawI den Neustart des normalen Handelsbetriebs nicht verhindern. Eine allmählich steigende Passagiernachfrage kann ein Hinweis darauf sein, dass die DawI zugunsten eines einzigen Betreibers nicht mehr gerechtfertigt ist.
Auch das zweite und dritte „Altmark-Kriterium“ müssen eingehalten werden. Erforderlich sind dafür die Ex-ante-Festlegung der Ausgleichsparameter und die Kontrolle der Überkompensation. Da die betreffenden Dienstleistungen bisher auf einer wirtschaftlich tragfähigen Basis betrieben wurden, genügt es der Kommission, die Vergütungsparameter für jede Strecke auf die für die folgenden Zeiträume berechneten Gewinn- und Verlustrechnungen zu stützen. Insbesondere sollten die Mitgliedstaaten die letzten zwei Monate vor dem Ausbruch der COVID-19-Pandemie (Januar und Februar 2020) sowie den entsprechenden Vergleichszeitraum in 2019 auswählen, der für die DawI im Jahr 2020 vorgesehen ist (z. B. April bis September 2019, wenn die DawI von April bis September 2020 eingerichtet werden soll).
Daneben erkennt die Kommission auch unter bestimmten Voraussetzungen den Ausgleich des entgangenen Gewinns an. Der Ausgleich könnte sich dabei an dem Gewinn orientieren, den das betroffene Unternehmen vor Ausbruch von COVID-19 in dem entsprechenden Zeitraum erwirtschaftet hat.
Um das vierte Altmark-Kriterium zu erfüllen, müssen die Mitgliedstaaten entweder den Seeverkehrsbetreiber im Rahmen eines öffentlichen Vergabeverfahrens auswählen oder die DawI direkt vergeben, während sie die Höhe der Entschädigung auf der Grundlage einer Analyse der Kosten festlegen, die einem typischen Unternehmen, das gut geführt und angemessen mit den entsprechenden Mitteln ausgestattet gewesen wäre, entstanden wären. Im Hinblick auf die Durchführung des Vergabeverfahrens verweist die Kommission auf die vergaberechtlichen Sonderregelungen für das öffentliche Auftragswesen im Zusammenhang mit der COVID-19 Krise. Im Falle einer „extremen Dringlichkeit“ können die nationalen Behörden unter bestimmten Voraussetzungen ohne vorherige Veröffentlichung ein Verhandlungsverfahren einleiten. Außerdem können gemäß der Richtlinie 2014/23/EU14 und der Richtlinie 2014/24/EU15 bestehende Verträge und Rahmenvereinbarungen ohne neues Vergabeverfahren geändert werden, wenn die Notwendigkeit einer Änderung durch Umstände verursacht wurde, die ein sorgfältiger öffentlicher Auftraggeber nicht vorhersehen konnte, die inhaltliche Änderung nichts an dem Charakter des Vertrags ändert und jede Erhöhung des Preises/Werts nicht höher als 50 % des Wertes des ursprünglichen Vertrags oder der Rahmenvereinbarung/Konzession ist. Werden mehrere aufeinanderfolgende Änderungen vorgenommen, so gilt diese Beschränkung für den Wert jeder Änderung. Diese aufeinander folgenden Änderungen dürfen nicht darauf abzielen, diese Richtlinie zu umgehen.
Wird also dabei ein Konzessionsvertrag so geändert, dass der Mitgliedstaat alle wirtschaftlichen Risiken übernimmt, entspricht dies nicht mehr der Natur eines Konzessionsvertrags. Der Konzessionär muss auch weiterhin – zumindest in gewissem Umfang – das Betriebsrisiko der Konzession tragen. Wenn die Änderung impliziert, dass dies nicht mehr der Fall ist, wird der Vertrag zu einem öffentlichen Dienstleistungsauftrag, der eine Änderung seines „Gesamtcharakters“ darstellt. Eine solche Änderung fällt nach Ansicht der Kommission nicht unter Artikel 43 Absatz 1 Buchstabe c der Richtlinie 2014/23, und stattdessen ist ein neues Vergabeverfahren erforderlich. Die Änderungen müssen insoweit gerechtfertigt werden, als sie erforderlich sind, um die Folgen der Krise bei der Ausführung öffentlicher Aufträge abzumildern.

Alternativen für eine beihilferechtliche Rechtfertigung

Können Seeverkehrsbetreiber oder Hafeninfrastrukturen nicht beihilfefrei finanziert werden, verweist die Kommission zunächst auf die üblichen Freistellungsinstrumente wie Art 56 b AGVO für Investitionsbeihilfen, den DawI-Freistellungsbeschluss, der einen Ausgleich für Häfen bis zu 300.000 PAX/p.a. ermöglicht und De-minimis-Beihilfen iHv. 200.000,- € (500.000,- € im Anwendungsbereich der DawI) innerhalb von drei Jahren. Notifizierungspflichtige Beihilfen können unter dem Temporary Framework zu den nunmehr bekannten Konditionen gewährt oder auch unter dem DawI-Rahmen genehmigt werden. Als Rechtfertigungsgrundlage benennt die Kommission auch hier Art. 107 Abs. 2 b AEUV, der den Ausgleich des unmittelbar durch den COVID-19 Ausbruch entstandenen Schadens ermöglicht.

Fazit

Wieder einmal hat die Kommission den Mitgliedstaaten die beihilferechtlichen Instrumente in der Corona-Krise gezeigt. Im Ergebnis ist für jeden etwas dabei:
Kleineren Häfen könnten De-minimis-Beihilfen oder die Anwendung des DawI-Freistellungsbeschlusses sowie die „Altmark-Kriterien“ weiterhelfen. Von der Anwendung der KfW-Corona-Finanzierung und damit von der Unterstützung durch Einzelbeihilfen bis zu 800.000,- € sind Häfen mit öffentlichen Gesellschaftern allerdings ausgeschlossen. Auch in Corona-Zeiten dürfte aber die Finanzierung von kleinen Häfen aufgrund der rein lokalen Auswirkung keine Auswirkung auf den Handel zeigen und daher beihilfefrei möglich sein.
Für größere Häfen mit erheblichem Finanzbedarf könnte eine Kombination von Art. 107 Abs. 2 lit b AEUV, der „Altmark-Kriterien“ und/oder des Temporary Frameworks helfen: Durch eine ex-post Berechnung des seit Beginn der Corona-Krise entstandenen Schadens ließe sich zumindest für den Zeitraum der Reisebeschränkung wohl ein Ausgleich auf Grundlage von Art 107 Abs. 2 lit b AEUV rechtfertigen. Für einen zukünftigen Ausgleich könnte entweder über einen zumindest partiellen DawI-Ausgleich oder über Rekapitalisierungsmaßnahmen auf Grundlage des Temporary Frameworks nachgedacht werden.

Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner

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