Orange – beihilferechtlich nun endlich alles im grünen Bereich?

Es gibt Fälle, die beschäftigen die Kommission und auch die europäischen Gerichte über einen langen Zeitraum. Zu einem dieser Fälle gehört das Verfahren „France Télécom“ welches im Jahr 2002 begann und nach mehreren Instanzen in 2015 sein (zumindest vorläufiges) Ende gefunden hat.

Kommissionsbeschluss vom 2. August 2004 – Ministererklärung als staatliche Beihilfe

Begonnen hat dieses Verfahren mit der Kommissionsentscheidung aus dem Jahre 2004 (Abl. EU L 257/11). Damals befand sich die France Télécom (heute Orange) als französisches Staatsunternehmen in einer finanziell angespannten Situation. Mehrfach erklärte der damalige französische Wirtschafts- und Finanzminister ab Juli 2002 öffentlich, dass sich der Staat als Aktionär der France Télécom wie ein umsichtiger Kapitalgeber verhalte und „geeignete Maßnahmen ergreifen werde“, wenn das Unternehmen in tatsächliche Schwierigkeiten gerate. Im Dezember 2002 gab der französische Staat dann die geplante Durchführung eines Aktionärsvorschuss durch die Eröffnung einer Kreditlinie von 9 Mrd. € bekannt. Durchgeführt wurde diese Maßnahme jedoch nicht, auch wenn die paraphierten Vertragsunterlagen bereits an die France Télécom übersandt worden waren.

Im Rahmen der beihilferechtlichen Überprüfung dieser Maßnahme kam die Kommission in 2004 zu dem Ergebnis, dass es sich bei dieser Maßnahme in Verbindung mit den vorangegangenen Ministererklärungen aus dem Sommer 2002 um eine Beihilfe handele. Aufgrund der Ankündigung des Aktionärsvorschusses sei auf dem Finanzmarkt der Eindruck entstanden, der Vorschuss würde tatsächlich gewährt. Daher läge eine Begünstigung vor, die auch durch die Anwendung des Private Investor Tests nicht ausgeschlossen werden könne. Die France Télécom hätte den bereits paraphierten Vertrag auch nur noch zu unterzeichnen brauchen, dann wäre es zu einer tatsächlichen Belastung des Staatshaushaltes gekommen. Eine potenzielle Belastung läge damit bereits vor.

Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 21. Mai 2010 – Fehlen einer staatlichen Begünstigung

Gegen diese Entscheidung legte Frankreich sowie auch u.a. die France Télécom Nichtigkeitsklage beim Gericht er Europäischen Union ein. Das Gericht erklärte die Kommissionsentscheidung in seinem Urteil vom 21. Mai 2010 (verb. Rs. T-425/04 u.a. Französische Republik u.a. / Kommission) für nichtig. Das Gericht prüfte die beiden „Maßnahmen“ (Ministererklärung und Übersendung des paraphierten Vertrags über den Aktionärsvorschuss) dabei getrennt („die Kommission habe nicht dargetan, dass der geplante Aktionärsvorschuss die Konkretisierung der vorausgegangenen Erklärungen des französischen Staates sei und dieser einen solchen konkrete finanziellen Beitrag bereits ab Juli 2002 vorgesehen habe“) und kam dabei zu dem Ergebnis, dass öffentliche Erklärungen eines Regierungsmitglieds, mit denen dessen Wille zum Ausdruck gebracht werde, geeignete Maßnahmen zu ergreifen, um die Finanzprobleme eines Unternehmens zu lösen, nicht konkret genug seien („es fehlten Höhe der zu garantierenden Verbindlichkeiten oder ein finanzieller Rahmen, sowie die Angabe der Bedingungen“), um als staatliche Maßnahme angesehen zu werden.

Im Hinblick auf die Übersendung des paraphierten Vorschussvertrages hätte die Kommission nach Ansicht des Gerichts vor dem Hintergrund, dass dieser Vertrag von der France Télécom nicht unterzeichnet wurde, prüfen müssen, ob dieser tatsächlich wirtschaftlich vorteilhaft gewesen wäre. Ohne Prüfung der Durchführungsbedingungen könne nicht geklärt werden, ob dieser den Vertragspartner tatsächlich begünstige oder aufgrund z.B. von höheren Zinsen oder strikteren Tilgungsbestimmen sogar im Verhältnis zu den marktüblichen Bedingungen nachteilhaft sei.

Urteil des Gerichtshofs vom 19. März 2013 – Gewährung eines Vorteils aus staatlichen Mitteln, soweit potentiell der Staatshaushalt belastet ist

Gegen dieses Urteil wurde Rechtsmittel beim Gerichtshof eingelegt. Mit Urteil vom 19. März 2013 hob der Gerichtshof das Urteil des Gerichts der Europäischen Union auf (verb. Rs. C-399/10 P und C-401/10 P). Der Gerichtshof sah in dem angebotenen Aktionärsvorschuss sehr wohl eine Begünstigung der France Télécom soweit eine potentielle Belastung des Staatshaushaltes vorliege. Zwar entschied der Gerichtshof selbst abschließend über das vom Gericht behandelte Vorbringen, verwies die Rechtssache aber im Übrigen an das Gericht zurück.

Urteil des Gerichts der Europäischen Union vom 2. Juli 2015 – Anwendung des Private Investor Tests im Zeitpunkt der Entscheidung

In dem aktuellen Urteil vom 2. Juli 2015 (verb. Rs. T-425/04 RENV/Kommission und T-444/04 Orange/Kommission) entschied das Gericht in Bezug auf das Vorbringen, mit dem es sich im ersten Urteil nicht befasst hatte, dass die Kommission den Private Investor Test im Hinblick auf die tatsächliche und zeitliche Bewertung der konkreten Maßnahmen fehlerhaft angewendet habe.

Das Gericht führt diesbezüglich aus, dass die Kommission die Bekanntgabe des Aktionärsvorschusses und das Angebot des Aktionärsvorschuss als staatliche Beihilfe eingestuft habe. Der Private Investor Test dürfe sich dabei also auch nur auf diese Maßnahmen beziehen. Dabei hätte die Kommission für die Durchführung des Private Investor Tests auf den Zeitpunkt der Bekanntgabe und des Angebots Anfang Dezember 2002 abstellen müssen. Die Kommission habe aber den Zeitpunkt der abgegeben Ministererklärungen und damit Juli 2002 als Ansatzpunkt für den Private Investor Test gewählt. Im Hinblick auf diesen Zeitpunkt könne die Kommission jedoch nicht nachweisen, dass die Absicht der französischen Behörden bereits hinreichend konkret und real war, um eine staatliche Verpflichtung zu begründen. Nach Ansicht des Gerichts fehle es zu diesem Zeitpunkt an einer ausreichenden Konkretisierung der Maßnahme, so dass die abgegebene Erklärung nicht als Vorwegnahme einer bestimmten finanziellen Verpflichtung gewertet werden könne.

Das Gericht erklärte damit die Kommissionsentscheidung für nichtig. Da gegen die Entscheidung des Gerichts jedoch auch wieder Rechtsmittel eingelegt werden kann, bleibt abzuwarten, ob die Beihilfen zugunsten France Télécom – nunmehr Orange – tatsächlich beihilferechtlich im grünen Bereich sind.

Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner

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