Die seit dem 01.07.2014 geltende Allgemeine Gruppenfreistellungsverordnung (AGVO) ist eines der Kernstücke der in den letzten Jahren durch die Kommission angestrengten Beihilfenrechtsmodernisierung („SAM“). Sowohl die Kommission wie auch die Mitgliedstaaten haben seitdem sehr für die Inanspruchnahme der AGVO geworben. Das Ziel: Notifizierungsverfahren sollen sich vor allem auf große bzw. komplexe Beihilfemaßnahmen fokussieren. „Gute Beihilfen“ – d.h. solche, mit denen die in der AGVO anerkannten gemeinschaftlichen Ziele verfolgt werden und deren Umfang und wettbewerbsverzerrende Wirkungen begrenzt sind – sollen dagegen schnell und ohne vorherige Anmeldung gewährt werden können. Um die Nutzbarkeit der AGVO weiter voranzutreiben hat die Kommission im März nun zwei neue Papiere veröffentlicht: Hierbei handelt es sich zum einen um einen Praxisleitfaden zum Verständnis der einzelnen Artikel der AGVO („Practical Guide to the GBER“, derzeit nur auf Englisch verfügbar). Zum anderen wurde die Konsultation zu einem Entwurf der Kommission für Überarbeitungen der AGVO eröffnet. Dieser betrifft insbesondere die Ergänzung der AGVO um Freistellungen für Investitionsbeihilfen für Häfen und Flughäfen.
Der nunmehr verfügbare Praxisleitfaden zur AGVO ergänzt und vervollständigt das bereits im Juli 2015 von der Kommission veröffentlichte Papier mit Antworten zu häufig gestellten Fragen („FAQ“) zu den Artikeln 1-35 der AGVO. Mit dem Praxisleitfaden liegen nunmehr Erläuterungen zu allen 58 Artikeln der Freistellungsverordnung vor. Zu berücksichtigen ist allerdings, dass es sich bei dem Leitfaden nur um ein Arbeitspapier der Kommissionsdienststellen handelt, d.h. er keine rechtliche Bindung für die Kommission als Entscheidungsorgan hat. Zudem basiert das Papier auf Auslegungsfragen, die von den nationalen Behörden an die Kommission über das zwischenzeitlich geschaffene elektronische Kommunikationssystem (sog. „eState aid WIKI“) gerichtet wurden. Der Leitfaden kann daher nur eine Orientierungshilfe sein und wird weitere Auslegungsfragen in anders gelagerten Einzelfällen nicht verhindern können. Gleichwohl ist es sehr zu begrüßen, dass die Kommission die FAQ verfügbar gemacht hat. Dies besonders auch mit Blick darauf, dass mit der verbreiterten Nutzung der AGVO die veröffentlichte Entscheidungspraxis der Kommission abnimmt und zudem der Austausch über das „eState aid WIKI“ nur behördenintern stattfindet und lesbar ist. (Potentiellen) Beihilfenempfängern, Wettbewerbern und ihren Beratern stehen für die beihilferechtliche Einschätzung damit immer weniger Informationen zur Verfügung – eine Tatsache, die angesichts der rechtlichen Folgen eines Verstoßes gegen das Durchführungsverbot sowie der Verantwortlichkeiten für die Einhaltung des Beihilfenrechts kritisch zu sehen ist.
Positiv hervorzuheben ist sowohl im Hinblick auf den Praxisleitfaden der Kommission wie auch den seit dem 7. März 2016 zur ersten Konsultation gestellten Entwurf zur Überarbeitung der AGVO, dass auch offene Fragen an der Schnittstelle zu den Regelungen für die Strukturfonds behandelt werden. Im Praxisleitfaden wird so z.B. in Bezug auf die Freistellung für lokale Infrastrukturen in Art. 56 AGVO die Berechnungsmethode für den maximalen Beihilfenbetrag unter der AGVO erörtert und klargestellt, dass bei der hierfür erforderlichen Bemessung des Betriebsgewinns (Art. 2 Abs. 39 AGVO) der Abzinsungssatz von 4% zugrunde gelegt werden kann, den die Kommission gemäß Art. 19 VO 480/2014 auch als Richtwert bei der gemäß Art. 61 VO 1303/2013 für Einnahmen schaffende Vorhaben durchzuführenden Berechnung der Nettoeinnahmen zugrunde legt. Aus der Antwort der Kommission geht zudem hervor, dass die Anwendung der in den Strukturfondsregelungen verankerten Finanzierungs-Defizit-Methode allein für die Einhaltung von Art. 56 Abs. 6 AGVO nicht ausreicht. Im Konsultationspapier vom 07.03.2016 schlägt die Kommission u.a. vor, in Art. 7 Abs. 1 AGVO („Beihilfeintensität und beihilfefähige Kosten“) klarzustellen, dass bei einer Kofinanzierung aus den Strukturfonds die beihilfefähigen Kosten auch anhand der vereinfachten Kostenoptionen in Art. 67 und 68 VO 1303/2013 ermittelt werden können, sofern diese Kostenoptionen zulässig und die Kostenposition nach der entsprechenden Freistellungsbestimmung beihilfefähig ist. Damit dürfte insbesondere für Pauschalen die rechtliche Konkordanz zwischen Strukturfonds- und Beihilfenrecht hergestellt werden.
Neben der Lösung weiterer „technischer“ Probleme, die sich in den letzten zwei Jahren bei der Anwendung der AGVO herauskristallisiert haben – die Kommission beabsichtigt so z.B. auch die Anhebung der Anmeldeschwellen für Kulturbeihilfen – ist Schwerpunkt des Konsultationspapier vom 07.03.2016 die Schaffung von Freistellungen für Investitionsbeihilfen für Regionalflughäfen sowie See-und Binnenhäfen. Dass Freistellungen in diesen Bereichen entwickelt werden sollen, war bereits bei Erlass der AGVO angekündigt worden. Schon zu diesem Zeitpunkt prüfte die Kommission bereits eine Vielzahl von Flughafen-und Hafenfällen. Inzwischen hat die Kommission nach eigener Auskunft 33 Beschlüsse zu Häfen und 54 zu Flughäfen gefasst und verfügt damit über ausreichend Erfahrung, um operative Freistellungskriterien vorzuschlagen.
Der jetzige Konsultationsvorschlag ist dementsprechend auch klar von der aktuellen Entscheidungspraxis zu den einschlägigen Infrastrukturen geprägt. Er sieht so z.B. vor, dass nur Investitionen in die Verkehrsinfrastruktur beihilfefähig sein sollen und zur Sicherung der Angemessenheit der Beihilfe der Beihilfenbetrag die Finanzierungslücke der Investition nicht überschritten werden darf (d.h. etwaige Betriebsgewinne der Investition zu berücksichtigen sind). Zudem muss der offene und diskriminierungsfreie Zugang zur Infrastruktur gewährleistet sein. Bezüglich der Anmeldeschwellen verfolgt die Kommission für die Infrastrukturen unterschiedliche Ansätze: Während für Investitionen in See- und Binnenhäfen eine Anmeldeschwelle in Form eines Beihilfenhöchstbetrages vorgeschlagen wird, soll die Anmeldepflicht bei Regionalflughäfen vom Überschreiten bestimmter Beihilfehöchstintensitäten abhängen, die nach der Größe des Flughafens, d.h. den Passagierzahlen pro Geschäftsjahr, abhängen. Letztere Vorgehensweise entspricht dem bereits in den Flughafenbeihilfeleitlinien niedergelegten Verständnis, dass die wettbewerblichen Auswirkungen einer Beihilfe im Bereich der Flughäfen vor allem anhand der Größe des unterstützten Flughafens bemessen werden müssen und es weniger auf den Umfang der Investition ankommt.
Zu dem Konsultationspapier der Kommission können sich die Mitgliedstaaten sowie alle weiteren Interessenträger und die Öffentlichkeit noch bis zum 30. Mai 2016 äußern. Die Kommission beabsichtigt, dann auf der Grundlage der eingegangenen Stellungnahmen einen zweiten Entwurf zu erarbeiten und diesen im Herbst diesen Jahres erneut zur Konsultation zu stellen. Auf der Grundlage der zweiten Konsultationsrunde soll dann die endgültige Änderungsverordnung zur AGVO beschlossen werden.
Diesen Beitrag schrieb Rechtsanwältin Julia Lipinsky während ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner