Lokal oder nicht lokal – das ist hier die Frage! Konsequente Anwendung der Entscheidungspraxis der Kommission zu lokalen Sachverhalten

Von dem bisherigen Ansatz des EuGH, bei Vorliegen einer staatlichen Begünstigung stets von einer Handelsbeeinträchtigung auszugehen, hat sich die Kommission bekanntermaßen mit ihrem Entscheidungspaket aus dem Jahr 2015 verabschiedet (s. dazu u.a. Blogbeitrag vom 18.06.2015 ). Gefolgt von einer ganzen Reihe von Einzelfallentscheidungen hat sie seither einen neuen Weg eingeschlagen und prüft entgegen der bisherigen Vermutungsregelung in vertiefter Einzelfallanalyse von lokalen Sachverhalten das Vorliegen der Handelsbeeinträchtigung. Bislang ist sie im Rahmen dieser Prüfungen in der Regel zu dem Ergebnis gekommen, eine Handelsbeeinträchtigung aufgrund rein lokaler Sachverhalte auszuschließen. Eine aktuelle Entscheidung der Kommission zeigt indes, dass auch bei einer vertieften Prüfung nicht immer alles lokal ist, was auf den ersten Blick lokal erscheint.

 kleine Jachthäfen sind nicht immer lokal ….

In einem aktuellen Verfahren hatte die Kommission mehrere Maßnahmen der niederländischen Gemeinde Schouven-Duiveland zugunsten der Marina „Jachthaven Scharendijke“ zu überprüfen. Zusammengefasst ging es in dem Verfahren um Folgendes:

Die Marina „Jachthaven Scharendijke“ umfasst etwa 700 Bootsliegeplätze und ist Teil der Hafenanlage Klosternool, die vom Wassersportverein „Watershap Verening Scharendijke“ (WVS) auf Grundlage eines Pachtvertrages mit der Gemeinde Schouven-Duiveland seit den siebziger Jahren gemeinnützig und in Kooperation mit der Gemeinde betrieben wird. Der WVS vertritt die Interessen seiner Mitglieder, deren Boote in der Marina liegen. Bislang zahlte der WVS eine Pacht an die Gemeinde, deren Höhe den anfallenden Betriebskosten (z.B. für die Nutzung und Instandhaltung) entsprach. Änderungen und Anpassungen der Miethöhe wirkten sich dabei unmittelbar auf die Tarife für die Bootsliegeplätze aus.

Im Zuge der Bestrebungen der Gemeinde, die Hafenanlage zu privatisieren, gründete die WVS eine – ebenfalls gemeinnützige – Stiftung „Stichting Jachthaven Scharendijke“ (SJS), die im Wege eines Unterpachtvertrages mit der Gemeinde die Rechte zum Betrieb der Marina für einen Zeitraum von fünfzig Jahren erwarb. Anlässlich dieser Übernahme vereinbarten die Vertragsparteien eine einmalige Zahlung sowie eine jährliche Pacht. Dabei wurde der in den Vorjahren durch die WVS erwirtschaftete Überschuss auf den Übernahmepreis angerechnet. Ferner sicherte die Gemeinde den bisherigen Mitgliedern der WVS über einen Zeitraum von zehn Jahren die Nutzung der Liegeplätze zu vergünstigten Konditionen zu.

Die Stiftung „Loket Eerlijke Concurrentie Watersport“ (LEC) wandte sich im Auftrag von drei Marinas sowie eines Bootshändlers gegen diese Maßnahmen. Aus Sicht der Beschwerdeführer handelte es sich sowohl bei der Vereinbarung vergünstigter Tarife zugunsten der Bootseigner, als auch bei dem vereinbarten Kaufpreis für die Marina und auch bei der Anrechnung des durch die WVS erwirtschafteten Überschusses auf den Kaufpreis um rechtswidrige Beihilfen.

Mit 700 Bootsliegeplätzen und damit einem Anteil von nur 0,04 % am europäischen Bootsliegeplatzmarkt handelt es sich bei dem Jachthaven Scharendijke um einen kleinen Jachthafen. 90 % der Bootsliegeplätze werden von Dauermietern genutzt. Da grundsätzlich davon ausgegangen werden kann, dass Bootseigner einen festen Liegeplatz in einer Marina in der Nähe ihres Wohnortes bzw. in der Nähe eines beliebten Wassersportgebietes mieten, lag es zunächst nahe, von einem ausschließlich lokalen Sachverhalt ohne Auswirkung auf den Handel zwischen den Mitgliedstaaten auszugehen. Dieser Ansatz hatte bislang bereits bei einigen kleineren Häfen zum Ausschluss des Beihilfentatbestandes geführt.

Entsprechend ihrer Entscheidungspraxis prüfte die Kommission daher zunächst, inwieweit die Liegeplätze im Jachthaven Scharendijke von lokalen bzw. von Bootseigner aus anderen Mitgliedstaaten genutzt werden. Nach der Auswertung unterschiedlicher Studien zur Nutzerstruktur wurde hier jedoch deutlich, dass der Anteil ausländischer Nutzer in der Region Zeeland etwa 45% und konkret in der Marina Scharendijke rund 36% beträgt, von denen die überwiegende Anzahl aus den Nachbarstaaten Belgien und Deutschland stammt. Vor dem Hintergrund lehnt die Kommission die ausschließlich lokale Auswirkung der Maßnahmen ab.

…aber trotzdem keine beihilferelevanten Maßnahmen

Auch wenn die Kommission in dem Verfahren das Tatbestandsmerkmal der (potentiellen) Handelsbeeinträchtigung nicht ausschließen konnte, kommt sie schließlich zu dem Ergebnis, dass es sich bei keiner der gerügten Maßnahmen um eine Beihilfe handelt.

Im Hinblick auf die Frage, inwieweit die Vereinbarung vergünstigter Tarife zugunsten der bisherigen Mitglieder der WVS eine Beihilfe beinhaltet, sieht die Kommission eine Begünstigung ausschließlich bei den Inhabern der Bootsliegeplätze. Da es sich bei diesen jedoch um natürliche Personen und nicht um Unternehmen handele, liegt keine Beihilfe vor.

Hinsichtlich der Berechnung der vereinbarten Vergütung für den Erwerb der Marina und die jährlich Pacht schloss die Kommission das Vorliegen einer Beihilfe aus, da diese marktüblichen Konditionen entsprächen und damit keine Begünstigung vorliegt.

Für die seitens der WVS auf die SJS übertragenen wirtschaftlichen Überschüsse kommt die Kommission zu dem Ergebnis, dass diese von der WVS erwirtschaftet wurden und auch nur dieser – und nicht der Gemeinde – gehörten. Da die Übertragung direkt von der WVS auf die SJS erfolgte, fehlt es sowohl an der Staatlichkeit der Mittel als auch an der staatlichen Zurechenbarkeit. Daher sieht die Kommission auch hier keine Beihilfe.

Fazit

Die Kommission hat in einer Reihe von beihilferechtlichen Überprüfungen kleinerer europäischer Häfen eine Handelsbeeinträchtigung vor dem Hintergrund ausschließlich lokaler Auswirkungen verneint. Dabei stellte sie u.a. darauf ab, wie hoch der Anteil der Liegeplatznutzer aus anderen Mitgliedstaaten ist. So prüft die Kommission in dem Verfahren Lauwersoog (Staatliche Beihilfe SA.39403) ausschließlich den Anteil ausländischer Nutzer (5%) ohne weitere Differenzierung. Während sie in den Verfahren Enkhuizen und Nijkerk (beide Verfahren: Entscheidung der Kommission 2004/114/EG) zwischen dem Anteil von Dauer- und Tageskurzliegeplätzen unterscheidet. Im Verfahren Nijkert lag dabei der Anteil von Kurzliegeplatznutzern aus anderen Mitgliedstaaten immerhin bei 30%. Bei der Beurteilung der Beihilfen im Verfahren Izola (Staatliche Beihilfe SA.45220) findet man wiederum nur Angaben zu den Kurzliegeplatznutzern aus anderen Mitgliedstaaten (7%). In dem aktuellen Verfahren stellt die Kommission eine Dauernutzung iHv. 36% durch belgische und deutsche Bootseigner fest und kann in diesem Zusammenhang eine Handelsbeeinträchtigung nicht ausschließen. Eine Beurteilung der Kurzliegeplatznutzer erfolgt jedoch nicht.

Die Entscheidung der Kommission über die staatlichen Maßnahmen zu Gunsten des Jachthavens Scharendijke zeigt zum einen, dass bei konsequenter Anwendung der Prüfungskriterien der Kommission selbstverständlich nicht alles lokal ist, was auf den ersten Blick lokal erscheint und damit auch kleine Yachthäfen durchaus in der Lage sein können, den Handel zwischen den Mitgliedstaaten potentiell zu beeinträchtigen. Darüber hinaus werden jedoch zwei Punkte deutlich: zum einen ist ein konsequenter Prüfungsansatz der Kommission bei der Bestimmung des Nutzerkreises bislang nicht zu erkennen. Zum anderen stellt sich die Frage, wie hoch der Anteil ausländischer Nutzer konkret sein darf, um noch von einer ausschließlich lokalen Nutzung ausgehen zu können. Insbesondere die zweite Frage hat dabei über den Anwendungsfall der staatlichen Hafenfinanzierung Bedeutung und wird allerdings erst nach und nach durch eine gefestigte Fallpraxis der Kommission und Rechtsprechung geklärt werden können. Bis dahin bleibt der Ausschluss der Handelsbeeinträchtigung aufgrund ausschließlich lokaler Auswirkung einer staatlichen Maßnahme in der Beratungspraxis für die Beteiligten weiterhin keine einfache Entscheidung.

*Diesen Beitrag schrieben Gabriele Quardt und Niklas Gatermann.

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