Am 25.11.2021 hat die Europäische Kommission eine überarbeitete Mitteilung über die Beihilfevorschriften für wichtige Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse („IPCEI-Mitteilung“) angenommen. Die Kommission wendet die in der Mitteilung dargelegten Grundsätze ab dem 01.01.2022 an.
Die Überarbeitung der Mitteilung basiert dabei zum einen auf den Erfahrungen der Kommission aus der Anwendung der IPCEI-Mitteilung von 2014 und zum anderen auf der in 2019 durchgeführte Evaluierung in Verbindung mit einer umfassenden Konsultation interessierter Kreise. Hierbei beteiligten sich eine Vielzahl von Interessensträgern, wie Mitgliedsstaaten, Wirtschaftsverbänden, Unternehmen und NGOs. Darüber hinaus finden auch die aktuellen EU-Prioritäten – Digitalisierung und Green-Deal – Berücksichtigung in der aktualisierten Mitteilung.
Anforderungen an ein IPCEI
Nach Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV können Beihilfen zur Förderung wichtiger Vorhaben von gemeinsamem europäischem Interesse als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden. In ihrer IPCEI-Mitteilung führt die Kommission die Kriterien an, die die Kommission bei der Würdigung staatlicher Beihilfen zur Förderung von IPCEI (Important Project of Common European Interest) zugrunde legt (zu den Voraussetzungen der Mitteilung von 2014 und ihrer Anwendung siehe insbesondere Startschuss für IPCEI zur Förderung des Aufbaus einer Wasserstoff-Wertschöpfungskette).
Die Kommission kann die Beihilfen auf Grundlage der IPCEI-Mitteilung genehmigen, wenn ein Vorhaben folgende Voraussetzungen erfüllt:
- einen wichtigen Beitrag zu den Zielen der EU leistet,
- nachweislich ein erhebliches Marktversagen behebt,
- von mindestens vier Mitgliedstaaten durchgeführt wird (Ausnahmen möglich),
- transparent und inklusiv ausgestaltet ist und allen Mitgliedsstaaten eine echte Gelegenheit bietet, sich an einem entstehenden Vorhaben zu beteiligen,
- über die teilnehmenden Mitgliedstaaten und Unternehmen hinaus konkrete positive Spillover-Effekte erzeugt, die der Wirtschaft und Gesellschaft der EU zugutekommen,
- eine umfangreiche Kofinanzierung durch die Unternehmen umfasst, die die staatlichen Beihilfen erhalten werden und
- keine negativen Umweltauswirkungen aufgrund der Nichtbeachtung des Grundsatzes der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen hat, die wahrscheinlich nicht durch ausreichende positive Auswirkungen aufgewogen würden.
Die IPCEI-Mitteilung ergänzt hierbei andere Vorschriften über staatliche Beihilfen für innovative Vorhaben, wie sie die AGVO oder der Unionsrahmen für Forschung, Entwicklung und Innovation enthalten.
Änderungen in der überarbeiteten Mitteilung
Die überarbeitete IPCEI-Mitteilung behält zunächst die bereits zuvor enthaltene Struktur bei und bestätigt, dass durch das jeweilige IPCEI erhebliche Spillover-Effekte in der gesamten EU erzeugt werden sollen.
Nichtsdestotrotz enthält die neue Mitteilung einige maßgebliche Änderungen:
Beitrag zu den Zielen oder Strategien der Union
Die – auch bereits in der Mitteilung von 2014 enthaltene – Vorgabe des wichtigen Beitrags zu den Zielen und Strategien der Union wurde an die aktuellen EU-Prioritäten angepasst. So führt die entsprechende Vorschrift in Kapitel 3.2 der Mitteilung nunmehr den europäischen Grünen Deal, die Digitalstrategie, die digitale Dekade, die europäische Datenstrategien, die neue Industriestrategie für Europa und deren Aktualisierung, „Next Generation EU“, die europäische Gesundheitsunion, den neuen Europäischen Forschungsraum für Forschung und Innovation, den neuen Aktionsplan für die Kreislaufwirtschat und das Ziel der Union, bis 2050 klimaneutral zu werden als Beispiele für Ziele und Strategien, zu denen ein konkreter, klarer und erkennbarer wichtiger Beitrag geleistet werden muss, auf.
Stärkung des europäischen und offenen Charakters von IPCEI
Die neue Mitteilung sieht nunmehr vor, dass in der Regel mindestens vier Mitgliedsstaaten an dem Vorhaben beteiligt sein müssen, sofern nicht die Art des Vorhabens eine geringere Zahl rechtfertigt (Rn. 16). Eine Fußnote (Fn. 17) führt Beispiele aus, in denen eine geringere Anzahl von Mitgliedsstaaten gerechtfertigt sein kann. Die IPCEI-Mitteilung von 2014 sah lediglich vor, dass in der Regel mehr als ein Mitgliedstaat beteiligt sein muss.
Neu ist auch die Vorschrift in Rn. 17, dass allen Mitgliedsstaaten eine echte Gelegenheit geboten werden muss, sich an einem neu entstehenden Vorhaben zu beteiligen und dass die das Vorhaben anmeldenden Mitgliedstaaten nachzuweisen haben, dass alle Mitgliedstaaten über das Vorhaben informiert wurden und ausreichend Gelegenheit zur Teilnahme hatten.
Erleichterung der Teilnahme für kleine und mittlere Unternehmen (KMU)
An verschiedenen Stellen stärkt die überarbeitete Mitteilung die Möglichkeit der Teilnahme von KMU an einem IPCEI. Im Einleitungskapitel betont Rn. 5, dass die Teilnahme durch KMU und Start-ups von besonderer Bedeutung ist.
Während der Beihilfeempfänger normalerweise einen erheblichen Kofinanzierungsbeitrag zu dem Vorhaben zu leisten hat, führt Fn. 19 aus, dass die Kommission bei der Beurteilung des Umfangs der Kofinanzierung die Besonderheiten bestimmter Wirtschaftszweige und von KMU berücksichtigt. In Ausnahmefällen kann die Beihilfe in diesem Zusammenhang gar ohne eine erhebliche Kofinanzierung als gerechtfertigt erachtet werden.
Als allgemeinen positiven Indikator für ein gemeinsames europäisches Interesse führt die Kommission in der überarbeiteten Mitteilung die Zusammenarbeit zwischen Großunternehmen und KMU, einschließlich Start-ups, an (Rn. 21 lit. d)).
Ausweislich der Fn. 30 muss der für ein IPCEI ggf. als zusätzliche Vorkehrung zur Gewährleistung der Angemessenheit der Beihilfe vorzusehende Rückforderungsmechanismus für KMU-Vorhaben nur unter außergewöhnlichen Umständen eingeführt werden.
Grundsatz der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen
Ebenfalls neu ist die in Rn. 20 vorgesehene Anforderung des Nachweises, dass das Vorhaben den Grundsatz der Vermeidung erheblicher Beeinträchtigungen i.S.d. Art. 17 VO (EU) 2020/852 oder vergleichbare Methoden beachtet. Demnach wird die Kommission die Beachtung dieses Grundsatzes als wesentlichen Bestandteil ihrer Abwägung der positiven Auswirkungen der Beihilfe gegenüber potentiell negativen Auswirkungen auf Handel und Wettbewerb einbeziehen.
Sonstige Neuerungen
Rn. 35 enthält eine neue präzisierende Vorschrift zur Kumulierung von Beihilfen zur Förderung von IPCEI und Unionsmitteln oder anderen staatlichen Beihilfen.
Rn. 36 sieht vor, dass die Kommission den das Vorhaben anmeldendem Mitgliedsstaat auffordern kann, einen Rückforderungsmechanismus einzuführen, um sicherzustellen, dass die staatliche Beihilfe angemessen und auf das erforderliche Maß beschränkt bleibt. Die vorgesehene Ausgestaltung dieses Rückforderungsmechanismusses wird in der Randnummer weiter präzisiert.
*Diesen Beitrag schrieb Christopher Hanke während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.