Kurz vor Weihnachten hat der EuGH in der Rs. C-524/14 P für die meisten wenig überraschend das Urteil des EuG (Rs. T-461/12) in Sachen Flughafen Lübeck bestätigt. Unabhängig von dem konkreten Verfahren bringt dieses Urteil Rechtssicherheit im Zusammenhang mit der Frage der Selektivität von Entgeltordnungen öffentlicher Infrastrukturen. Deutlich macht der EuGH, dass nicht jede Maßnahme, mit der ein öffentliches Unternehmen die Bedingungen für die Nutzung seiner Güter oder Dienstleistungen festlegt, automatisch eine selektive Maßnahme ist. Das Vorliegen der Selektivität im Sinne des Art. 107 Abs.1 AEUV muss vielmehr auf Grundlage des für Steuer- und Abgaberegelungen entwickelten dreistufigen Prüfungsschemas im Einzelfall untersucht werden.
Die Kommission hatte in dem Rechtsstreit die Ansicht vertreten, dass eine Maßnahme stets selektiv sei, wenn sie nur für bestimmte Wirtschaftszweige oder bestimmte Unternehmen eines Wirtschaftszweiges gelte. Gebühren- oder Entgeltordnungen gälten stets nur für bestimmte Infrastrukturen und seien daher in jedem Fall selektiv.
Diesem Ansatz folgt der EuGH nicht. Die Rechtsmittelinstanz stellt für die Frage der Selektivität nicht auf die Natur der betreffenden Maßnahme, sondern vielmehr auf deren Wirkung ab. Im Hinblick auf die Wirkung einer Maßnahme greift der EuGH die Ausführungen des Generalanwalts Nils Wahl vom 15.09.2016 (Flughafen Lübeck – Schlussanträge des Generalanwalts) auf, der in diesem Zusammenhang auf die inhaltliche Verbindung des Begriffs der Selektivität mit dem der Diskriminierung verweist.
Dahinter verbirgt sich also die Frage, ob einige der Nutzer im Verhältnis zu anderen einen Vorteil erhalten, obwohl sich alle in einer vergleichbaren rechtlichen und tatsächlichen Situation befinden und damit diskriminiert werden.
Ausgangspunkt für die Prüfung, ob eine Maßnahme diskriminierend und im Ergebnis selektiv sei – so der EuGH weiter – sei die vorherige Bestimmung des Bezugsrahmens. Damit verweist das Urteil auf die Vorgehensweise bei der Prüfung steuerlicher Maßnahmen. Dieser dreistufige Prüfungsansatz sei entgegen dem Vorbringen der Kommission nicht allein steuerlichen Maßnahmen vorbehalten. Der Gerichtshof habe in seiner Rechtsprechung diesbezüglich nur ausgeführt, dass die Bestimmung eines Bezugsrahmens im Fall von steuerlichen Maßnahmen eine besondere Bedeutung habe, da das tatsächliche Vorliegen einer Vergünstigung nur in Bezug auf eine „normale“ Besteuerung festgelegt werden könne.
Damit ist also die Anwendung dieses Prüfungsansatzes auf andere, nicht-steuerliche Maßnahmen nicht ausgeschlossen.
Für den EuGH ist im konkreten Fall allein die am Flughafen Lübeck geltende Entgeltordnung der zu prüfende Bezugsrahmen. Daran ändere im Gegensatz zu dem Vorbringen der Kommission auch der direkte Wettbewerb zum Flughafen Hamburg Fuhlsbüttel nichts. Dafür wäre vielmehr der Beleg erforderlich gewesen, dass im Rahmen einer Regelung, die für alle Flughäfen gelte, Fluggesellschaften, die den Flughafen Lübeck nutzten, im Verhältnis zu Airlines, die andere Flughäfen anfliegen, begünstigt würden, da sich diese in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation befänden. Anwendung finde hier jedoch die Entgeltordnung 2006 des Lübecker Flughafens. Diese sei vom dortigen Flughafenbetreiber auf Grundlage seiner auf diesen Flughafen beschränkten Zuständigkeit erlassen worden. Bezugsrahmen für die Überprüfung der Selektivität sei daher die allein am Flughafen Lübeck geltende Entgeltordnung. Fluggesellschaften, die andere Flughäfen bedienen, befinden sich damit nicht in einer vergleichbaren tatsächlichen und rechtlichen Situation mit Fluggesellschaften, die den Flughafen Lübeck nutzen.
Der EuGH stellt im Ergebnis fest, dass die Entgeltordnung von 2006 für alle Fluggesellschaften, die den Flughafen Lübeck anfliegen, keine diskriminierende Wirkung entfalte. Das Gericht habe daher zu Recht befunden, dass die Kommission die Entgeltordnung zu Unrecht als selektive Maßnahme bewertet habe.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner