Droht der Energiewende in Deutschland wieder Gegenwind aus Brüssel?

Strommarkt zwischen Versorgungssicherheit und Klimazielen

Seit der Liberalisierung vor über zehn Jahren befindet sich der Strommarkt in Deutschland nach wie vor im Umbruch. Geprägt wird die aktuelle Situation dabei nicht nur durch die fortschreitende Einbindung in den Europäischen Strommarkt. Der Gewährleistung von Versorgungssicherheit und Netzstabilität auf der einen, steht die Verpflichtung zur Umsetzung politscher Vorgaben auf der anderen Seite gegenüber. Neben dem Ausstieg aus der Atomenergie ab 2022 (sowie dessen Finanzierung) hat der Stromsektor daher in den nächsten Jahren u.a. zur Erreichung des nationalen Klimaziels die Reduzierung von 22 Mio.t Co2 bis 2020 zu verkraften.

Auf dem Weg zum Strommarkt 2.0 mit Kapazitäts- und Sicherheitsreserve

Zur Erreichung des Klimaziels hatte die Bundesregierung zunächst im Frühjahr 2014 u.a. die Einführung einer Klimaabgabe aufgeworfen. Diese konnte sich politisch jedoch nicht durchsetzen und wurde wieder verworfen. Nun hat das Kabinett am 4.11.2015 das „Herzstück“ für die Energiewende beschlossen: Ab Herbst 2015 werden Kraftwerke stillgelegt und zur Gewährleistung der Versorgungssicherheit in eine sogenannte Kapazitätsreserve überführt. Im Notfall können diese bis zu 4,4 GW Strom liefern. Die Betreiber dieser Reserve erhalten dafür als Gegenleistung 260 Mio. € im Jahr. Diese Summe wird auf die Stromkunden umgelegt. Es ist daher mit einer Erhöhung des Strompreises von 0,05 Cent/ Kilowattstunde zu rechnen.

Daneben wird – den Emissionsausstoß für die Erreichung des Klimaziels zu reduzieren – ebenfalls die viel diskutierte „Braunkohlereserve“ eingeführt. Sie heißt jetzt allerdings „Sicherheitsreserve“. Auf die schrittweise Stilllegung von Braunkohlekraftwerken hatten sich die Parteichefs von CDU, CSU und SPD bereits am 1. Juli verständigt. Dafür werden acht alte, wenig effiziente Braunkohlekraftwerke vom Netz genommen. Der erste am 1. Oktober 2016, der letzte am 1. Oktober 2019. Sie werden für jeweils sieben Jahre als letzte Absicherung der Stromversorgung genutzt und danach endgültig stillgelegt. Die Kraftwerke in vorübergehender Sicherheitsbereitschaft dienen zusätzlich als Absicherung der Stromversorgung zur Überbrückung von Engpässen.

Durch diese Maßnahme wird eine Emissionsminderung von 11 bis 12,5 Millionen Tonnen Kohlendioxid im Jahr 2020 erwartet. Die Entwicklung des CO2-Ausstoßes soll im Jahr 2018 überprüft werden. Sollte sich dann abzeichnen, dass die angestrebte Minderung nicht erreicht werden kann, sollen die Konzerne zusätzliche Schritte vorschlagen. Zusätzliche 0,05 Cent/Kilowattstunde sollen die Verbraucher ab 2016 für den Klimaschutz zahlen.

Beihilferechtliche Risiken

Auch wenn der Bundesregierung mit diesem Lösungsvorschlag vorerst ein innenpolitischer Kompromiss zur Frage der Energiewende gelungen zu sein scheint, hat sie nicht zum ersten Mal im Energiesektor auch hier wohl die Rechnung ohne die Wettbewerbshüter in Brüssel gemacht. Den Pressemitteilungen ist zu entnehmen (FAZ, 14. September 2015), dass Experten der Kommission das Vorliegen einer Beihilfe im Zusammenhang mit einer Braunkohlereserve nicht ausschließen und daher davon auszugehen ist, dass diese Konstruktion vor ihrer Durchführung von der Kommission genehmigt werden muss. Daran dürfte auch die geänderte Bezeichnung als „Sicherheitsreserve“ wohl nichts ändern.

Gegenwind droht dabei nicht nur aus Brüssel: eine Reihe von Stadtwerken haben bereits angekündigt für den Fall einer beihilferechtlichen Genehmigung durch die Kommission gegen diesen Beschluss in Luxemburg zu klagen. Erfahrungen sammeln die Stadtwerke ja bereits im Rahmen der Klage gegen die Förderung des englischen Atomkraftwerks Hinkley Point C.

Auch in den eigenen Reihen werden beihilferechtliche Unwägbarkeiten nicht ausgeschlossen, wie einer in den Medien viel zitierten Ausarbeitung des Wissenschaftlichen Dienstes des Deutschen Bundestages aus dem Sommer zu entnehmen ist.

Was ist dran an der beihilferechtlichen Diskussion?

Hätte man die Frage, ob die Finanzierung einer Sicherheitsreserve eine Beihilfe iSd. zugunsten der Braunkohlekraftwerksbetreiber RWE, Vattenfall und Mibrag enthalte, gutachterlich zu untersuchen, würde man mit der Überprüfung der einzelnen Tatbestandsmerkmale des Art. 107 Abs. 1 AEUV beginnen. Kann ein Tatbestandsmerkmal des Art. 107 Abs. 1 AEUV dabei rechtssicher ausgeschlossen werden, wären die Braunkohlekraftwerke zumindest beihilferechtlich im grünen Bereich.

Als Ansatz für den Ausstieg aus dem Beihilfenrecht kommen hier wohl zwei Tatbestandsmerkmale in Betracht: neben dem Tatbestandsmerkmal der „Begünstigung“ das Kriterium der „Staatlichkeit“.

Eine beihilferelevante Begünstigung wäre hier ausgeschlossen, soweit belegt werden kann, dass der Vorhaltung von jederzeit abrufbaren Stromerzeugungskapazitäten in der Kapazitäts- und in der Sicherheitsreserve eine marktgerechte Gegenleistung gegenübersteht. Alternativ könnte es sich auch um die beihilfefreie Ausgestaltung einer Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse (DawI) handeln, soweit deren Finanzierung die Voraussetzungen der vier „Altmark-Kriterien“ erfüllt.

Nach dem Referentenentwurf vom 14. September diesen Jahres wird die Einbeziehung der Braunkohlekraftwerke in die Sicherheitsreserve ohne Durchführung eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens erfolgen. Damit bleibt für den Nachweis einer marktkonformen Gegenleistung ein Benchmarking oder die Erstellung eines Gutachtens.

In ihrem Beschluss zum britischen Kapazitätsmarkt vom 23. Juli 2014 war die Kommission von einer Begünstigung der am Kapazitätsmarkt beteiligten Betreiber ausgegangen (Staatliche Beihilfe SA.35980). Dies allein mit dem Argument, dass durch die Vergütung der zur Verfügung gestellten Kapazität ein zusätzlicher geldwerter Vorteil gewährt werde, der über das hinausgehe, was die Betreiber am Strommarkt ansonsten erhalten hätten. Damit scheint die Kommission die Vorgabe für die Marktüblichkeit an den am Markt zu erzielenden Einnahmen festzumachen. Da die betroffenen Braunkohlekraftwerke der Sicherheitsreserve jedoch aus dem Markt ausscheiden werden, könnte hier ein Vergleich wohl nur auf die theoretisch zu erzielenden Einnahmen abstellen.

Im Gegensatz zur Sicherheitsreserve soll die Kapazitätsreserve wettbewerblich und technologieneutral ausgeschrieben werden. Den Zuschlag erhalten dabei Kraftwerke – unabhängig vom verwendeten Energieträger – mit den geringsten Kosten für die Vorhaltung von Stromerzeugungskapazitäten. Unter Umständen wäre dies ein Ansatz für die beihilfefreie Ausgestaltung der Kapazitätsreserve, wenn dadurch der Nachweis eines marktkonformen Entgelts gelingt.

Fraglich erscheint hingegen, inwieweit die Kapazitäts- und Sicherheitsreserve als Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse (DawI) beihilfenfrei finanziert werden könnten. Zwar steht den Mitgliedstaaten grundsätzlich ein weites Ermessen bei der Festlegung einer DawI zu und beide Maßnahmen dienen unstrittig der Erreichung energie- sowie klimapolitischer Ziele. Aber spätestens seit dem Urteil des EuGH in dem Verfahren Tierkörperbeseitigung dürfte jedoch klar sein, dass dieses Ermessen durchaus auf Grenzen stößt. Spätestens die Erfüllung des vierten Altmark-Kriteriums („Bestimmung der Kosten durch Vergleich mit einem durchschnittlichen, gut geführten Unternehmen“) dürfte im Bereich der Sicherheitsreserve auf Schwierigkeiten stoßen.

In dem Verfahren staatliche Beihilfe N 475/2003, Irische Regelung zur Kapazitätsreserve hatte die Kommission das Vorliegen einer DawI und die Erfüllung aller vier „Altmark-Kriterien“ im Zusammenhang mit der Irischen Kapazitätsreserve zwar bejaht. Dennoch hat die Kommission in diesem Beschluss sehr deutlich ausführt, dass sie Kapazitätsreserven grundsätzlich nicht als geeignetes Instrument zur Gewährleistung der Stromversorgung ansieht. Diese Ansicht vertritt die Kommission auch weiterhin. Wie sie diesbezüglich zu ihrer Begründung der Sektoruntersuchung zu Kapazitätsmechanismen ausführt, „besteht je nach Ausgestaltung und Umsetzung der jeweiligen Kapazitätsmechanismen die Gefahr einer Fragmentierung des EU-Binnenmarktes und eine Verzerrung des Wettbewerbs zugunsten einiger Erzeuger oder Technologien“.

In ihrem Beschluss zur irischen Kapazitätsreserve sieht sie zur Vermeidung eines Kapazitätsengpasses vielmehr die Lösung in der besseren Vernetzung der Mitgliedstaaten untereinander. Aufgrund der geographischen Lage Irlands sah sie jedoch ein besonderes Problem bei der grenzüberschreitenden Vernetzung. Da es Irland gelungen ist, den Nachweis der Notwendigkeit einer Kapazitätsreserve zu erbringen, und dabei sicherstellen konnte, dass der „normale Strommarkt“ von dem „Kapazitätsreservemarkt“ klar getrennt sein würde und dabei auch die Betreiber der Anlagen im Rahmen eines europaweiten offenen, transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens ermittelt hat, lag aus Sicht der Kommission im Ergebnis eine beihilfefreie Finanzierung einer DawI vor.

In diesem Zusammenhang stellt sich für die Kapazitäts- und die Sicherheitsreserve bereits die Frage nach der tatsächlichen Notwendigkeit dieser Maßnahmen. Vor dem Hintergrund von Überkapazitäten von mindestens 11 GW beim Kohlestrom erscheint die Notwendigkeit einer Sicherheitsreserve von 2,7 GW, die erst schrittweise stillgelegt werden soll, eher fraglich. Auch technisch wären wohl die stillgelegten Braunkohlekraftwerke kaum in der Lage, einen tatsächlichen Engpass in der Stromversorgung zu überbrücken. Diese bräuchten eine erheblich längere Anlaufzeit als z.B. Gaskraftwerke, die innerhalb weniger Stunden wieder angefahren werden können. Unabhängig von beihilferechtlichen Fragen wird daher die Sicherheitsreserve aus Kreisen der Stadtwerke als ein „klimapolitisch untaugliches Instrument“ kritisiert.

Gelingt also im Ergebnis der Ausschluss einer beihilferelevanten Begünstigung nicht, wäre zu prüfen, ob der Ausstieg aus Art. 107 Abs. 1 AEUV über das Kriterium der Staatlichkeit erfolgen könnte. Feststeht derzeit wohl, dass eine Finanzierung im Wege einer Umlage durch die Stromkunden erfolgen soll. Diesbezüglich hat die Bundesregierung bereits einschlägige Erfahrungen im Zusammenhang mit der EEG-Umlage machen dürfen. Dort hat die Kommission die Staatlichkeit der Mittel bejaht, da sowohl die Befreiung von der Entrichtung der Netzentgelte als auch von der EEG-Umlage durch staatliche Vorgaben und unter staatlicher Kontrolle auf die Stromendverbraucher umgelegt wurde. Entscheidend ist daher die Konstruktion eines solchen Umlageverfahrens, um das Kriterium der Staatlichkeit möglicherweise ausschließen zu können.

Kapazitäts- und Sicherheitsreserve nach beihilferechtlicher Genehmigung?

Sollte die Klimareserve und insbesondere die Sicherheitsreserve eine Beihilfe enthalten, stellt sich die Frage der Genehmigungsfähigkeit dieser Maßnahmen. Ansatzpunkt ist dabei Art. 107 Abs. 3 lit c AEUV iVm. den Umweltschutz- und Energiebeihilfeleitlinien (Mitteilung der Kommission, Abl. C 200/1 vom 28.06.2014). Einschlägig sind dabei die Regelungen 3.9. „Beihilfen zur Förderung einer angemessenen Stromversorgung“. Für eine Genehmigung müssten die Beihilfen vor allem erforderlich, geeignet und angemessen sein (Rn. 216 ff der Leitlinien).

Um erforderlich zu sein, müsste die Bundesregierung nachweisen, warum nicht davon auszugehen ist, dass der Markt ohne staatliche Intervention eine angemessene Stromversorgung sicherstellen kann, dabei ist auf die aktuelle Markt- und Technologieentwicklung einzugehen. Nach den Ausführungen in der Presse bestehen derzeit auf dem Kohlemarkt Überkapazitäten. Erklärtes Ziel der Bundesregierung ist es jedoch, gerade diese umweltbelastenden Stromkapazitäten zu reduzieren, bis zu ihrem tatsächlichen Abbau jedoch noch als Sicherheit für die Versorgung zu erhalten. Dieser Punkt wird mit der Kommission sicherlich zu klären sein, insbesondere vor dem Hintergrund, dass die Braunkohlekraftwerke rein technisch wohl nicht in der Lage sind, eine kurzfristige Versorgungslücke zu überbrücken.

Im Hinblick auf die von der Kommission gefordert Technologieneutralität ist festzustellen, dass die Sicherheitsreserve mit dem mittelfristigen Ziel, den Co2-Ausstoß zu reduzieren, nach dem geplanten Konzept der Bundesregierung nur die Braunkohlekraftwerke betreffen. Die Aufnahme in die Sicherheitsreserve wird nicht ausgeschrieben, vielmehr stehen die acht betroffenen Braunkohlekraftwerke schon fest. Es erscheint fraglich, wie in diesem Zusammenhang das Kriterium der Energieneutralität zu bewerten sein wird. Im Gegensatz dazu wird die Kapazitätsreserve im Wege eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens technologieneutral vergeben.

Eine Maßnahme ist iSd. Leitlinien geeignet, soweit sich die Vergütung ausschließlich auf die Bereitstellung des Stroms und nicht auf den Verkauf des Stroms bezieht. Diese Voraussetzung scheinen Kapazitäts- und Sicherheitsreserve wohl zu erfüllen.

Sichergestellt werden muss außerdem, dass die Beihilfen angemessen sind. Entscheidend ist dabei Rn. 231 der Leitlinien, nach der der Preis für die Verfügbarkeit von Erzeugungskapazitäten automatisch gegen Null geht, wenn davon auszugehen ist, dass die bereitgestellte Kapazität den Kapazitätsbedarf deckt.

Stand der Dinge

Auch bei dem „Herzstück“ der Energiewende wird die Bundesregierung wieder einmal nicht drum herum kommen, dieses mit der Kommission beihilferechtlich abzustimmen. Eine beihilfefreie Konstruktion der Klimareserve erscheint aus heutiger Sicht nicht ausgeschlossen, fraglich ist dies jedoch im Zusammenhang mit der Sicherheitsreserve. So stellt sich bereits die Frage der Notwendigkeit der Sicherheitsreserve vor dem Hintergrund bestehender Überkapazitäten auf dem Kohlestrommarkt. Daneben wird sich wohl auch die Kommission im Rahmen der beihilferechtlichen Prüfung dafür interessieren, ob mit Hilfe der Sicherheitsreserve tatsächlich und sinnvoll Energie- und Klimaschutzziele erreicht werden können oder ob diese Konstruktion – wie von Kritikern behauptet – nicht vielmehr ein „goldener Handschlag“ für die Betreiber ist, den diese für Blöcke erhalten, die mittelfristig ohnehin stillgelegt werden sollen. Neben all diesen offenen Fragen erscheint erstaunlich, dass die beihilferechtlichen Fragen – so hat es zumindest den Anschein – erst wieder einmal im Nachhinein diskutiert werden.

Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner

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