Wie bereits an anderer Stelle auf dem BeihilfenBlog berichtet, hat die Kommission die am Flughafen Montpellier zugunsten von Ryanair abgeschlossenen Marketingverträge beihilferechtlich geprüft und ist im Rahmen eines förmlichen Prüfverfahrens zu dem Ergebnis gekommen, das diese eine rechtswidrige Beihilfe zugunsten der Luftverkehrsgesellschaften enthielten. Am 14.06.2023 hat nun das EuG zu dieser Frage Stellung bezogen.
Hintergrund
Nicht selten hatte die Kommission in der Vergangenheit sog. Marketingverträge zugunsten von Fluggesellschaften beihilferechtlich zu untersuchen. Üblicherweise schlossen dafür Flughäfen unmittelbar mit Luftverkehrsgesellschaften Verträge über die touristische Bewerbung der Region. Grundlage dieses Verfahrens (Rs. T-79/21) waren jedoch entsprechende Vereinbarungen zwischen der „Vereinigung für Tourismus- und Wirtschaftsförderung der Region Montpellier“ (AFTPE) und Ryanair, auf dessen Grundlage die Fluggesellschaft zwischen 2010 und 2017 immerhin 8,5 Mio. EUR erhielt. Air France sah darin eine staatliche Beihilfe gem. Art. 107 Abs. 1 AEUV zu Gunsten von Ryanair und hatte bei der Kommission Beschwerde eingereicht, worauf hin diese das förmliche Prüfverfahren eröffnete und zum Ergebnis kam, dass die Verträge eine rechtswidrige beihilferelevante Begünstigung zugunsten von Ryanair enthielten (Blogbeiträge vom 11.07.2018 und vom 9.08.2019).
Diesen Beschluss hatte Ryanair mit einer Nichtigkeitsklage beim EuG angegriffen, über die das Gericht nun entschieden hat.
Prüfung des tatsächlichen Bedarfs im Rahmen des MEOT
Über den Luftverkehr hinaus dürfte das Urteil insbesondere im Zusammenhang mit dem MEOT von Interesse sein. Verhält sich die öffentliche Hand bei der Gewährung staatlicher Mittel wie ein privater Investor, kann unter bestimmten Voraussetzungen eine Begünstigung und damit auch im Ergebnis das Vorliegen einer Beihilfe ausgeschlossen werden. Dabei ist stets zwischen Anwendbarkeit und Anwendung des MEOT zu unterscheiden.
Im Hinblick auf die Anwendbarkeit des MEOT führt das EuG in diesem Verfahren aus, das zunächst der „wirtschaftliche Charakter“ des zu prüfenden staatlichen Handels festzustellen ist. Rein hoheitliches Verhalten der staatlichen Stelle verhindert die Anwendung des MEOT bekanntermaßen. Dabei komme es nicht auf die Art und Weise und die mit dem durch die staatliche Maßnahme verfolgten Ziele an.
Für den Fall, dass der MEOT anwendbar ist, sei zu untersuchen, „ob dieselbe Maßnahme unter normalen Marktbedingungen auch von einem privaten Wirtschaftsteilnehmer in einer vergleichbaren Situation ergriffen worden wäre.“
In diesem Zusammenhang sei es Aufgabe der Kommission, eine Gesamtbeurteilung durchzuführen, bei der sie alle relevanten Umstände des Einzelfalls zu berücksichtigen habe. Dabei sind der Spruchpraxis der Unionsgerichte folgend, nur Vorteile und Verpflichtungen zu berücksichtigen, die sich aus der Lage des Staates als Wirtschaftsteilnehmer ergeben, nicht hingegen diese, die mit seiner Funktion als Träger öffentlicher Gewalt verbunden sind.
Dennoch – so das Gericht – kann eine staatliche Beihilfe nicht allein deshalb ausgeschlossen werden, weil der Staat eine gegenseitige vertragliche Vereinbarung angeblich zu Marktkonditionen abgeschlossen hat. Unter bestimmten Umständen sei außerdem der objektive Nachweis erforderlich, dass der Staat als Nachfrager einen tatsächlichen Bedarf hinsichtlich der vereinbarten Leistung oder Lieferung hat. Das Gericht verweist in diesem Zusammenhang auf die Ausführungen der Kommission in der Bekanntmachung zum Begriff der staatlichen Beihilfe unter Rn. 82: „Bei der Prüfung, ob eine Transaktion den Marktbedingungen entspricht, sollten alle maßgeblichen Umstände des Einzelfalls berücksichtigt werden. So können außergewöhnliche Umstände vorliegen, unter denen der Erwerb von Waren oder Dienstleistungen durch eine Behörde möglicherweise nicht als den Marktbedingungen entsprechend anzusehen ist, obwohl der er zu Marktpreisen erfolgt.“ Die Kommission nimmt dabei Bezug auf das Urteil des EuG in der Rs. T-14/96, BAI/Kommission in dem das Gericht unter Berücksichtigung der besonderen Umstände des Einzelfalls zu dem Ergebnis gekommen ist, dass es für den Kauf von Reisegutscheinen des Unternehmens P&O Ferries durch nationale Behörden keinen tatsächlichen Bedarf der öffentlichen Hand gab. Damit hat sich diese nicht wie ein marktwirtschaftlich handelnder privater Wirtschaftsbeteiligter verhalten. Das Unternehmen hat daher einen Vorteil erhalten, den es unter normalen Umständen nicht bekommen hätte.
Vor diesem Hintergrund habe die AFTPE bei Abschluss der Marketingverträge mit Ryanair ausschließlich als Träger staatlicher Gewalt mit rein regionalen Interessen gehandelt, der neben der Entwicklung des Fremdenverkehrs in der Region keine weiteren finanziellen Gewinne hätte erwarten können. Ein tatsächlicher Bedarf der AFTPE werde daher durch Abschluss der Verträge nicht gedeckt.
Die Kommission hatte vor diesem Hintergrund die Anwendbarkeit des MEOT verneint. Das Gericht kommt aber zu dem Ergebnis, dass die Frage des tatsächlichen Bedarfs nicht geeignet ist, die Anwendbarkeit des MEOT auszuschließen. Zwar sei die Anwendung des MEOT ohne Berücksichtigung staatlicher Interessen zu prüfen. Allein die Verfolgung von Zielen öffentlicher Ordnung schließe jedoch die Anwendbarkeit des MEOT nicht automatisch aus. Die Klärung der Frage des Bedarfs verortet das Gericht bei der Prüfung der Anwendung des MEOT – also im Zusammenhang mit der Frage, ob sich der Staat wir ein privater Wirtschaftsbeteiligter verhält.
Damit attestiert das Gericht der Kommission in diesem Verfahren zwar einen Rechtsfehler, der im Ergebnis jedoch nicht zur Nichtigkeit des Beschlusses führt. Das Gericht erläutert diesbezüglich, dass ein nichtigkeitsbegründender Begründungsfehler nur vorliegt, wenn die tatsächliche Begründung nicht aus dem Beschluss insgesamt hervorgehe. Aus dem Kommissionsbeschluss ergebe sich jedoch eindeutig, dass die Kommission die Feststellung, dass die AFTPE keinen tatsächlichen Bedarf gehabt habe, Marketingmaßnahmen von Ryanair zu erwerben, auf Grundlage einer Reihe von Indikatoren geprüft habe und damit kein Begründungsfehler vorliege.
Die Kommission war in dem angefochtenen Beschluss außerdem zu dem Ergebnis gekommen, dass die vereinbarten Preise für die Marketingleistungen der Ryanair nicht als marktüblich zu erachtet sind, auch wenn sie zumindest überwiegend auf Grundlage von Ausschreibungsverfahrens ermittelt wurden.
In diesem Zusammenhang führt das Gericht zunächst aus, das unabhängig von dem konkreten Marktpreis bereits die Feststellung, dass kein Bedarf für die nachgefragte Leistung bestehe, genüge, um die Marktüblich auszuschließen.
Unabhängig davon, kann der Nachweis des Marktpreises grundsätzlich im Wege eines offenen, transparenten und bedingungsfreien Bietverfahrens erfolgen, sofern nachgewiesen werden könne, dass dieses Angebot verbindlich und glaubhaft ist und das neben dem Preis keine anderen wirtschaftlichen Faktoren berücksichtigt wurden. Dabei gewährt jedoch allein die Durchführung eines Bietverfahrens noch keine Garantie für den Marktpreis – insbesondere dann nicht, wenn sie so gestaltet sind, dass sie einem der Bieter einen Vorteil verschaffen oder nur ein einziger Bieter ein Angebot abgibt. Vor diesem Hintergrund habe die Kommission zurecht in diesem Verfahren die Marktüblichkeit der Vereinbarungen verneint.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede Rechtsanwälte