Vielleicht können Sie sich noch erinnern – der Luftverkehrssektor gehörte während der Corona-Pandemie zu einem der durch die Reisebeschränkungen am schwersten betroffenen Sektoren. Zur Überwindung dieser Krise haben die Mitgliedstaaten nicht nur Flughäfen, sondern auch Luftfahrtgesellschaften staatliche Beihilfen gewährt.
Genehmigung der Kommission
Auch die Lufthansa (DLH) erhielt nach zähem Ringen mit der Kommission staatliche Beihilfen, die auf Grundlage von Art. 107 Abs. 3 lit b AEUV und dem Temporary Framework (TF) schließlich am 25. Juni 2020 genehmigt wurden.
Die Genehmigung der Kommission umfasste drei Maßnahmen:
- Eine staatliche Beteiligung von iHv. 300 Mio. EUR durch Zeichnung neuer Aktien
- Eine Stille Einlage iHv. 4,7 Mrd. EUR mit den Merkmalen eines nicht konvertierbaren Eigenkapitalinstruments
- Eine Stille Einlage in Höhe von 1 Mrd. EUR mit den Merkmalen eines Wandelschuldinstruments
Unter Berücksichtigung der staatlichen Beihilfen anderer Mitgliedstaaten zugunsten der Lufthansa-Töchter Swiss, Austrian und Brussels erhielt der Konzern während der Corona-Pandemie 9 Mrd. EUR. Vom Urteil betroffen sind nur die Beihilfen Deutschlands.
Urteil des EuG
Gegen diesen Beschluss haben die Fluggesellschaften Ryanair und Condor 2021 Nichtigkeitsklage beim EuG eingereicht. Das EuG hat nun mit seinem Urteil vom 10. Mai 2023 in den Rs. T-34/21 und T 87/21 den Beschluss der Kommission aufgehoben.
Die Entscheidung des Gerichts ist dabei im Wesentlichen auf folgende Punkte zurückzuführen:
- Keine ausreichende Prüfung, ob die staatliche Rekapitalisierung tatsächlich die ultima ratio war
Nach dem TF kommt eine staatliche Rekapitalisierung grundsätzlich nur in Betracht, wenn der Beihilfenempfänger keine Alternative hat, Finanzmittel zu erschwinglichen Konditionen am Mark zu bekommen (Rn. 49 lit c TF). Das EuG ist in seinem Urteil zu dem Ergebnis gekommen, dass dem Beschluss nicht zu entnehmen ist, dass die Kommission mögliche Finanzierungsalternativen wie z.B. die Besicherung von Krediten z.B. mit Hilfe unbelasteter Flugzeuge ausreichend geprüft habe. Dem TF sei darüber hinaus auch nicht zu entnehmen, dass der Beihilfenempfänger außerstande sein muss, seinen gesamten Finanzbedarf auf dem Markt zu decken. Die Kommission hätte daher untersuchen müssen, ob die DLH nicht zumindest einen unerheblichen Teil der notwendigen Finanzierung hätte am Markt aufnehmen können.
- Kein ausreichender Step-up Mechanismus
Des Weiteren beinhalte der Kommissionsbeschluss keinen ausreichenden Staffelungsmechanismus („Step-up Mechanismus“), nach dem sich die Vergütung des deutschen Staates bei Umwandlung der Beteiligung in Eigenkapital der DLH bemessen lasse. Um einen Anreiz für den staatlichen Exit zu schaffen, enthält Rn. 61 TF die Vorgabe, das jede staatliche Rekapitalisierungsmaßnahme einen Staffelungsmechanismus enthalten muss, nach dem sich die Vergütung des Staates in Abhängigkeit mit der zeitlichen Dauer der staatlichen Beteiligung erhöht. Der TF erlaubt unter Rn. 62 jedoch auch die Möglichkeit von Alternativmechanismen, soweit sie dieselbe Wirkung haben. In dem angefochtenen Kommissionsbeschluss war ein Staffelungsmechanismus nicht vorgesehen. Die Kommission war davon ausgegangen, dass die Höhe der Aktienpreise beim staatlichen Einstieg in das Kapital der DLH einen hinreichenden Anreiz für einen zeitnahen Exit beinhalte und damit ein alternativer Mechanismus vorliege. Hintergrund ist, dass die Bundesrepublik die Aktien zu einem Preis erworben hat, der sich an der in Rn. 60 TF vorgesehenen Berechnungsgrundlage orientiert hat. Die Kommission ist davon ausgegangen, dass im Fall des Ausstiegs eine höhere Vergütung erlangt werde, als es bei der Anwendung eines Staffelmechanismus der Fall wäre.
Das Gericht ließ dies als Begründung für einen alternativen Staffelungsmechanismus nicht gelten: Die Regelung über den Kaupreismechanismus in Rn. 60 TF diene dazu sicherzustellen, dass der Preis, zu dem der Staat die Aktien erwirbt, nicht über dem Marktpreis liegt. Der Staffelungsmechanismus in Rn. 61 TF soll hingegen einen Anreiz für den Beihilfenempfänger schaffen, die staatlichen Anteile so schnell wie möglich zurückzukaufen. Da auch der Wert der Aktien erheblichen Schwankungen unterliege, könne der Kaufpreis der Aktien nicht jedem Fall einen ausreichenden Anreiz für einen Exit geben.
- Keine ausreichende Prüfung der Marktmacht der DLH und keine ausreichenden strukturellen Verpflichtungen
Der TF sieht in Rn. 72 für Maßnahmen über 250 Mio. EUR für den Fall, dass der Beihilfenempfänger auf mindestens einem Markt über eine beträchtliche Marktmacht verfügt, zusätzliche Maßnahmen zum Ausgleich möglicher Wettbewerbsbeeinträchtigung vor. Auch dieser Punkt war von den beiden Klägerinnen hinsichtlich der Ermittlung der Marktstruktur durch die Kommission angegriffen worden. Diesbezüglich stimmt das Gericht zunächst dem Vorgehen der Kommission zu, die Marktstruktur „Flughafen zu Flughafen“ und auch nur bezogen auf Flughäfen, an denen die DLH eine Basis hat, zu ermitteln.
Im Hinblick auf die Frage, ob die DLH über eine erhebliche Markmacht verfügt, stellt das Gericht zunächst fest, dass der Begriff weder im TF selbst noch im Beihilfenrecht definiert ist. Der Begriff stimme jedoch im Wesentlichen mit dem der beherrschenden Stellung überein. Die Prüfung der Kommission anhand des Anteils von Zeitnischen der DLH an 10 unterschiedlichen Flughäfen verbunden mit der Ermittlung des dortigen Auslastungsgrads unter Berücksichtigung des Anteils konkurrierender Fluggesellschaften ließ das Gericht für die Ermittlung des Marktanteils der DLH jedoch im Ergebnis nicht ausreichen.
Auch die von Deutschland angebotenen und von der Kommission in den Beschluss aufgenommenen Verpflichtungen zum Ausgleich der Wettbewerbsbeeinträchtigung hielten vor dem Gericht nicht stand. Vorgesehen war, dass die DLH an den Flughäfen in Frankfurt und München jeweils 24 Zeitnischen pro Tag in zwei Schritten an verschiedene Gruppen von Luftfahrtunternehmen abtreten soll: in einem ersten Schritt sollten die Slots Marktteilnehmern angeboten werden. Erst in einem zweiten Schritt richtet sich das Angebot an Fluggesellschaften, die an den beiden Flughäfen bereits ihre Basis haben. Das EuG sah bei dieser Staffelung ein erhebliches Risiko der weiteren Fragmentierung des Marktes. Die Kommission habe darüber hinaus nicht geprüft, ob es angemessen war, die Konkurrenten von der ersten Phase des Verfahrens auszuschließen.
Fazit
Wie dieses Urteil zeigt, gehörte der Luftverkehrssektor nicht nur zu den durch die Pandemie am stärksten betroffenen Sektoren, sondern ist auch einer der Bereiche mit den meisten beihilferechtlichen Rechtstreitigkeiten vor den Unionsgerichten.
Unmittelbare Auswirkungen hat das Urteil auf die DLH vorerst nicht. Die Stillen Einlagen hat die DLH bereits 2021 schrittweise zurückgezahlt. Der Wirtschaftsstabilisierungfonds (WSF), der für die Bundesrepublik das Aktienpaket für einen Preis von 2,56 EUR pro Aktie erworben hat, hat die Aktien im vergangenen Jahr mit einem Gewinn von 760 Mio. EUR veräußert. Damit waren die Rekapitalisierungsmaßnahmen bereits vor Erlass des Urteils zurückgeführt worden. Offensichtlich hat die DLH keinen weiteren Anreiz für eine zeitnahe Ablösung der staatlichen Beteiligung benötigt. Dies wohl insbesondere deshalb, weil ihr aufgrund einer Auflage aus dem TF untersagt war, solange nicht mindestens 75% der stillen Einlagen abgelöst worden sind, eine Beteiligung an einem Wettbewerber mit mehr als 10% zu erwerben. Im Gespräch ist aktuell eine Beteiligung der DLH von 40% an der italienischen Fluggesellschaft ITA. Damit ist das Urteil von der tatsächlichen Entwicklung überholt worden und es zeigt, dass die Frage des Anreizes eine sehr individuelle zu sein scheint.
Unabhängig davon wird sich die Kommission erneut mit dem Verfahren beschäftigen müssen. Spannend wird dabei für die DLH noch einmal die Frage der konkreten Maßnahmen für den Ausgleich einer Wettbewerbsbeeinträchtigung.
Unabhängig davon stellt sich mir die Frage, ob sich die Kommission mit immer detaillierteren Mitteilungen und Rahmen, auf deren Grundlage sie ihr Ermessen für die Genehmigung einer Beihilfe ausübt, nicht selbst ein Bein stellt. Das EuG wird die Kommission zu Recht immer an ihren eigenen Vorgaben messen und wie in diesem Fall z.B. eine Begründung fordern, warum nicht zumindest eine anderweitige (Teil-)finanzierung möglich gewesen wäre, wenn in dem Beschluss eine entsprechende Ausführung fehlt.
Gleiches gilt für die Prüfung der marktbeherrschenden Stellung. Das EuG stellt zu Recht fest, dass das Beihilfenrecht für die Marktbeherrschung keine Definition enthält. Die Untersuchung der marktbeherrschenden Stellung des Beihilfenempfängers ist bislang auch kein expliziter Bestandteil der beihilferechtlichen Genehmigungsprüfung, sondern gehört ins Kartellrecht. Kommt die Kommission im letzten Schritt ihrer beihilferechtlichen Vereinbarkeitsprüfung zu dem Ergebnis, dass die ermittelten negativen Auswirkungen der geplanten Beihilfemaßnahme auf die Wettbewerbs- und Handelsbedingungen gegenüber den positiven Auswirkungen auf den geförderten Wirtschaftszweig überwiegen, wird sie die Beihilfe nicht genehmigen. Im Einzelfall verbindet sie die Genehmigung mit individuellen Bedingungen und Auflagen, um die Wettbewerbsbeeinträchtigung erträglich zu gestalten. Verknüpft sie jedoch – wie im TF geschehen – die Genehmigung einer Beihilfe explizit mit der Prüfung der marktbeherrschenden Stellung des begünstigten Unternehmens, wird sie diese auch explizit prüfen und entsprechend konkret die Auflagen formulieren müssen, um deren Wirksamkeit es sich dann trefflich streiten lässt.
Anders als im Bereich der AGVO, in dem die Kommission gehalten ist, den Mitgliedstaaten möglichst klare Vorgaben für die einzelnen Freistellungen zu machen, da die Mitgliedstaaten dort über kein Ermessen bei der Auslegung von Begrifflichkeiten verfügen, wären vielleicht weniger detaillierte Formulierungen im Bereich von Leitlinien und Unionsrahmen hilfreich. Auf den ersten Blick scheinen detaillierte Formulierungen den Beteiligten mehr Rechtssicherheit zu geben. Die Prüfung- und Begründungstiefe für Kommissionsentscheidungen müsste dann jedoch erheblich zunehmen, damit sie ihren eigenen Vorgaben gerecht wird und ihre Entscheidungen vor dem Gericht Bestand haben.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede Rechtsanwälte