Das Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung – die sieben Zwerge auf dem Weg nach Luxemburg

Das in der Vergangenheit eher nur stiefmütterlich behandelte Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung als ein Bestandteil des Beihilfebegriffs in Art. 107 Abs. 1 AEUV ist seit 2015 durch die neuere Entscheidungspraxis der Europäischen Kommission in den Fokus der beihilferechtlichen Diskussion gerückt. Die Kommission ist dazu übergegangen, in Einzelfällen bei rein lokalen Auswirkungen die Handelsbeeinträchtigung einer Maßnahme abzulehnen, so dass im Ergebnis keine Beihilfe vorliegt.  Insbesondere vor der derzeit ersten anhängigen Klage vor dem Gericht der Europäischen Union gegen eine diesbezügliche Entscheidung der Kommission stellt sich jedoch die Frage, ob und wie diese Entscheidungspraxis der Kommission mit der bisherigen Rechtsprechung der Unionsgerichte zu diesem Tatbestandsmerkmal in Einklang steht. Das Tatbestandsmerkmal der Handelsbeeinträchtigung

Der Begriff der Beihilfe in Art. 107 Abs. 1 AEUV setzt – neben fünf weiteren Tatbestandsmerkmalen – eine Beeinträchtigung des Handels zwischen den Mitgliedstaaten voraus. Nur wenn alle Tatbestandsmerkmale erfüllt sind, liegt eine Beihilfe vor. Obwohl alle Tatbestandsmerkmale gleichwertig sind, wurde der sogenannten Zwischenstaatlichkeitsklausel in der Vergangenheit weder durch die Europäische Kommission noch durch die Unionsgerichte größere Aufmerksamkeit geschenkt. In der Regel wurden die Merkmale Wettbewerbsverfälschung und Handelsbeeinträchtigung miteinander verbunden und kurz und bündig festgestellt, der Wettbewerb werde verfälscht und der innergemeinschaftliche Handel beeinträchtigt.

Entwicklung der Rechtsprechung und Entscheidungspraxis der Kommission

Dieser Ansatz findet sich – seit dem Urteil des EuGH in der Rechtssache C-730/79 – Philipp Morris aus dem Jahr 1980 – regelmäßig in den Urteilen der Gerichte und bislang auch stereotyp in den Entscheidungen der Kommission. Der EuGH geht vom Vorliegen der Handelsbeeinträchtigung grundsätzlich dann aus, wenn die Stellung eines Unternehmens gegenüber seinen Wettbewerbern im innergemeinschaftlichen Handel durch eine von einem Mitgliedstaat gewährte Finanzhilfe verstärkt wird.

Diese Rechtsprechung wurde in den nachfolgenden Jahren durch weitere Urteile konkretisiert und ergänzt. So hat der EuGH in der Rechtssachen T-289/97 u.a. – Mauro Alzetta festgestellt, dass der Begünstigte nicht einmal im grenzüberschreitenden Handel aktiv sein muss, ausreichend sei vielmehr, wenn er nur innerhalb des Gebiets eines Mitgliedstaates oder sogar nur auf lokaler oder regionaler Ebene tätig sei. Die ihn begünstigende Förderung muss dabei allerdings den Zutritt anderer (potenzieller) Wettbewerber aus anderen Mitgliedstaaten ausschließen oder zumindest erschweren.

In der Rechtssache  C-280/00 – Altmark Trans stellte der Gerichtshof in diesem Zusammenhang außerdem klar, dass es für die Annahme der Handelsbeeinträchtigung weder auf den örtlichen oder regionalen Charakter der erbrachten Leistung (in diesem Fall waren es Verkehrsdienste) noch auf die Größe der betreffenden Tätigkeitsgebiete ankomme.

Nach der Rechtsprechung kann also grundsätzlich davon ausgegangen werden, dass im Fall einer staatlichen Begünstigung eines Unternehmens eine Handelsbeeinträchtigung vorliegt. Die Kommission hatte diesen Ansatz viele Jahre auch in ihre Entscheidungspraxis übernommen. Zwar gab es immer schon Ausnahmen mit rein regionalem Bezug – wie zum Beispiel das vielzitierte Freizeitbad Dorsten N258/2000 oder insbesondere einzelne Kulturbeihilfen – grundsätzlich war aber in der Kommissionspraxis von einer widerlegbaren Vermutung der Handelsbeeinträchtigung auszugehen.

Die Entwicklung zu einer unwiderlegbaren Vermutung befürchtete Generalanwalt Wahl in seinen Schlussanträgen in der auch auf dem BeihilfenBlog besprochenen Rechtssache C-518/13Eventech . In diesem Urteil ging es um die Frage, ob es sich bei dem Busspurprivileg der Black Cabs um eine staatliche Beihilfe handelt. Im Ergebnis lehnte der EuGH dies in dem Vorlageverfahren zwar ab, er schloss aber das Vorliegen einer Handelsbeeinträchtigung nicht aus, da die beschränkte Nutzung der Busspur die Erbringung von Diensten durch Funkmietwagen in London weniger attraktiv machen könne, so dass sich die Chancen der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Unternehmen auf diesem Markt Fuß zu fassen, verringern. Generalanwalt Wahl hatte bereits in seinen Schlussanträgen darauf hingewiesen, dass für den Fall, dass der EuGH in diesem Verfahren von einer Handelsbeeinträchtigung ausgehe (obwohl in keiner Weise ersichtlich sei, inwiefern in anderen Mitgliedstaaten niedergelassene Unternehmen, die ähnliche Dienstleistungen anbieten, durch die Busspurregelung in London betroffen sein könnten) sich aus der bislang widerlegbaren Vermutung der Handelsbeeinträchtigung eine unwiderlegbare Vermutung entwickeln könnte. Dies verband er mit dem Hinweis: “Unwiderlegliche Vermutungen bringen zwar Rechtssicherheit mit sich, jedoch ergäben sich hier sicherlich auch Nachteile.“

Aktuelle Entscheidungspraxis der Kommission

Beginnend mit einem Entscheidungspaket aus dem Jahr 2015 („die sieben Zwerge“) hat die Kommission einen neuen Weg eingeschlagen. In einer Reihe von Fällen wendet sie sich von der bisherigen Vermutungsregelung ab und prüft in einer vertieften Einzelfallanalyse von lokalen Sachverhalten das Vorliegen der Handelsbeeinträchtigung. Diese geänderte Entscheidungspraxis hat die Kommission auch in ihrer Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff vom 19. Juli 2016 aufgegriffen. Für den Ausschluss der Handelsbeeinträchtigung stellt die Kommission nunmehr darauf ab, dass der Beihilfeempfänger Waren und Dienstleistungen nur in einem geografisch begrenzten Gebiet in einem Mitgliedstaat anbietet und es unwahrscheinlich ist, dass er Interessenten aus anderen Mitgliedstaaten gewinnt; ferner dürfe die Maßnahme nicht mehr als marginale Auswirkungen auf grenzüberschreitende Investitionen oder die Niederlassung von Unternehmen aus anderen Mitgliedstaaten haben. Dies hat die Kommission bereits in einer Reihe von Fällen entschieden und greift diese in ihrer Bekanntmachung zum Beihilfenbegriff auch auf: Sport- und Freizeiteinrichtungen, kulturelle Veranstaltungen und Einrichtungen mit wirtschaftlichen Tätigkeiten (außer es wird intensiv im betreffenden Mitgliedstaat außerhalb des regionalen Einzugsgebiets beworben), Krankenhäuser und andere Gesundheitseinrichtungen, Nachrichtenmedien und/oder kulturelle Erzeugnisse, die aus sprachlichen oder räumlichen Gründen ein örtlich begrenztes Publikum haben; Tagungszentren, Informations- und Netzwerkplattformen mit sozialen Zwecken, kleine Flughäfen oder Häfen und regional genutzte Seilbahnen/Skilifte. Die Kommission betont allerdings auch, dass sich ein allgemeiner Katalog von Maßnahmen, die diese Voraussetzungen in der Regel erfüllen, nicht festlegen lässt, sondern es auf eine Einzelfallbetrachtung ankommt.

Diese Entwicklung führt im Ergebnis zu einem erheblich höheren Maß an Rechtsunsicherheit auf Seiten der Betroffenen, aber auch zu einer Art Beweislastumkehr, da die Kommission im Fall von staatlicher Unterstützung mit rein lokaler Auswirkung vom Fehlen der Handelsbeeinträchtigung auszugehen scheint, wenn es ihr an Beweisen oder Belegen für grenzüberschreitende Investitionen fehlt (z.B. staatliche Beihilfe SA.37963 – Glenmore Lodge).

Wohin geht die Reise?

Geht die Rechtsprechung nach wie vor für den Fall einer Begünstigung aus staatlichen Mitteln von dem Vorliegen der Vermutung der Handelsbeeinträchtigung aus, stellt die Kommission hingegen darauf ab, ob Beweise dafür vorliegen, dass die konkrete Maßnahme mehr als marginale Auswirkungen auf den zwischenstaatlichen Handel hat. Dafür reichen ihr dann in der Regel die zu belegenden Ausführungen eines Mitgliedstaats, dass eine Einrichtung nahezu ausschließlich von der örtlichen Bevölkerung genutzt wird.

Der EuGH hat in seiner Rechtsprechung jedoch auch deutlich gemacht, dass ihm eine bloß hypothetische Auswirkung oder eine reine Vermutung für die Feststellung der Zwischenstaatlichkeit nicht ausreiche. Es müsse vielmehr auf Grundlage der vorhersehbaren Auswirkungen der Maßnahme festgestellt werden, warum die Maßnahme den Wettbewerb verfälscht oder zu verfälschen droht und warum sie als Handelsbeschränkung zu qualifizieren sein könnte. Ob die Gerichte diese Öffnungsklausel als Ansatz für eine Einzelfallprüfung lokaler Sachverhalte im Sinne der aktuellen Entscheidungspraxis der Kommission bewerten werden, bleibt indes abzuwarten.

Nun hat erstmals ein Wettbewerber eine Kommissionsentscheidung explizit auch im Hinblick auf die Lokalität der Maßnahme vor dem EuGH angegriffen. In der Entscheidung hatte die Kommission einen Zuschuss der portugiesischen Behörden an Santa Casa da Misericórdia de Tomar, eine Einrichtung, die Dienste im Bereich der Altenpflege anbietet, aufgrund der rein lokalen Auswirkung nicht als Beihilfe eingestuft. Die Klage wurde am 21. November 2016 eingereicht (Rs. T-813/16 – Abes v Commission). Ein Urteil steht noch aus.

*Diesen Beitrag schrieben Gabriele Quardt und Katharina Högy.

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