Das hessische Handbuch zum Beihilfenrecht oder Beihilfenrecht ist keine Nobelpreiswissenschaft

Das Land Hessen und der Hessische Städtetag haben mit tatkräftiger Unterstützung von zwei bekannten Beratungsgesellschaften einen überaus lesenswerten Leitfaden zur Anwendung des Beihilfenrechts auf kommunaler Ebene verfasst. Vor dem Hintergrund zunehmender Bedeutung aber nach wie vor fehlender Präsenz des Beihilfenrechts auf kommunaler Ebene ein lobenswerter Ansatz – über die Grenzen von Hessen hinaus.

Nach der allgemeinen Bestimmung des Beihilfenbegriffs befasst sich das Handbuch inhaltlich mit den aktuell wohl vordringlichsten beihilferechtlichen Themen der Kommunen: Grundstücksveräußerungen, kommunale Infrastruktur, Dienstleistungen von allgemeinem wirtschaftlichen Interesse sowie der Beihilfenrelevanz kommunaler Kredite und Bürgschaften.

Verbunden wird dabei die Darstellung von Beschlusspraxis der Kommission und Gerichtsurteilen (leider ohne die Angabe von Fundstellen) mit sogenannten „Praxistipps“. Fraglich ist dabei, ob es wirklich hilfreich ist, den Kommunen in jedem Fall beihilferechtlicher Bedenken eher zur Notifizierung als zur Begutachtung beihilferechtlicher Fragen zu raten (so der Praxistipp S. 23). Natürlich ist das auch der immerwährende Rat der Kommission. Jeder, der ein Notifizierungsverfahren schon mal begleiten durfte, weiß jedoch, dass die in der Verfahrensverordnung genannten Verfahrensfristen nur eine Art „Sollvorschriften“ sind. Der zeitliche aber auch in Einzelfällen tatsächliche Ablauf des Verfahrens ist dabei auch trotz Einführung des Pränotifizierungsverfahrens nicht wirklich vorhersehbar ist. Auf hoher See und bei der Kommission…

Der BGH hat uns durch das auch im Handbuch zitierte „CEPS-Pipeline“ – Urteil (vom 5.12.2012- I ZR 92/11) neben der Gesamtnichtigkeit nunmehr auch die Teilnichtigkeit für den Fall beschert, dass eine Beihilfe aufgrund eines zivilrechtliches Vertrages gewährt und dabei gegen das Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV verstoßen wurde. Dieser Rechtsprechung folgend, ist eine teilunwirksame Klausel durch eine angemessene Regel zu ersetzen, die dem Parteiwillen oder dem Sinn und Zweck des Vertrages entspricht. Ist die Aufrechterhaltung des Rechtsgeschäfts mit dem durch Vertragsauslegung zu ermittelnden Parteiwillen unvereinbar, ist indes von einer Gesamtnichtigkeit auszugehen. Der BGH schränkt dabei ein, dass nicht automatisch davon ausgegangen werden kann, dass die zahlungspflichtige Partei auch zur Zahlung eines höheren Kaufpreises verpflichtet gewesen wäre und schließt daher in dem konkreten Fall eine Teilnichtigkeit des beihilferelevanten Kaufvertrages daher aus. Als Praxistipp (S. 25) wird nun vorgeschlagen, durch eine „beihilferechtliche salvatorische Klausel“ stets eine Gesamtnichtigkeit im Vorhinein auszuschließen. „Diese Klausel sollte den Fall regeln, dass der jeweilige Vertrag gegen Beihilfenrecht verstößt. Im Fall eines Grundstückskaufvertrages kommt etwa die Verpflichtung des Käufers zur Nachzahlung der Differenz zwischen gezahltem Kaufpreis und beihilferechtlich ordnungsgemäßem Marktwert des Grundstücks in Betracht. Im Fall einer kommunalen Ausfallbürgschaft ist die nachträgliche Erhöhung der Avalprovision auf die marktübliche Höhe denkbar.“ Dieser Ansatz mag aus kommunaler Sicht zum grundsätzlichen Erhalt des Vertrages hilfreich sein. Für begünstigte Unternehmen wird der Abschluss eines Vertrages mit der öffentlichen Hand allerdings zur Blackbox, da sie sich mit Abschluss des Vertrages automatisch auch zur Zahlung eines höheren (im Zeitpunkt des Vertragsabschlusses) ggf. noch nicht absehbaren Kaufpreises oder Avalprovision verpflichtet. Je nach Umfang des Projekts kann es sich dabei um durchaus nennenswerte Größenordnungen handeln, die dann nachgezahlt werden müssen. Fraglich erscheint daher zum einen, ob Unternehmen bereit sind eine solche Klausel (ohne vorherige Deckelung) zu unterzeichnen und wie auch die Rechtsprechung mit der Wirksamkeit einer solchen Generalklausel umgehen wird.

Interessant und hilfreich erscheint hingegen der Praxistipp zur Betrauung im Bereich der Dienstleistung von allgemeinem wirtschaftlichem Interesse im Wege der „gesellschaftlichen Lösung“ (S. 103). Neben der Betrauung über einen Verwaltungsakt oder im Wege eines Vertrages eröffnet dieser „Frankfurter Weg“ eine Betrauung einer kommunalen Eigenverwaltung durch „einen Beschluss der Stadtverordnetenversammlung (Gemeindevertretung) – oder des Magistrats (Gemeindevorstand) – in Verbindung mit einer gesellschaftsrechtlichen Weisung, die in der Gesellschafterversammlung der kommunalen Eigengesellschaften umgesetzt wird.“ In der Stadt Frankfurt hat sich dieser Weg der Betrauung im Verhältnis zu ihren Beteiligungsgesellschaften nach deren Angabe bewährt. Ein Ansatz über den sich im konkreten Fall durchaus nachzudenken lohnt.

Alles in allem dürfte dieses Handbuch Europäisches Beihilfenrecht durchaus geeignet sein, nicht nur hessischen Kommunen das Beihilfenrecht ins Bewusstsein zu führen. Ob dabei jedoch – wie Dr. Carsten Jenner schreibt – in der Mehrzahl der Fälle bereits der gesunde Menschenverstand genügt, um feststellen zu können, ob eine bestimmte kommunale Maßnahme eine anmeldungs- und genehmigungspflichtige Beihilfe zugunsten eines Unternehmens darstellt, mag jedoch zu bezweifeln sein. Wäre diese Aussage uneingeschränkt richtig, wäre sicherlich ein über 100 Seiten starkes Handbuch zum Beihilfenrecht nicht erforderlich. Hingegen teile ich den Ansatz von Dr. Carsten Jennert, dass das Beihilfenrecht keine Nobelpreiswissenschaft ist. Wäre es im Übrigen anders, würde ich das Handbuch natürlich einer Jury für die Vergabe des Nobelpreises vorschlagen, denn die Beteiligten haben es geschafft, die wesentlichen beihilferechtlichen Probleme übersichtlich aufzureißen und Lösungen anzubieten und im Gegensatz zur Kommission, die immer noch an ihrer Mitteilung zum Beihilfenrecht arbeitet, das Handbuch zeitnah und verbraucherfreundlich umzusetzen.

Vielen Dank dafür!

https://www.frankfurt.de/sixcms/media.php/738/Handbuch%20Europ%C3%A4isches%20Beihilferecht%20-%20ohne%20Anschreiben.pdf

Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner

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