Bereits seit einigen Jahren streiten Deutschland und die Kommission über staatliche Beihilfen für die Deutsche Post. Mit dem Urteil vom 06.05.2015 (Rs. C-674/13) hat nun die Kommission einen Etappensieg errungen: Der EuGH stellte fest, dass Deutschland nicht alle erforderlichen Schritte ergriffen hat, um einen von der Kommission im Jahr 2012 erlassenen Beschluss effektiv umzusetzen. Die Kommission hatte hierin die Rückforderung von Beihilfen in einem Rahmen von 500 Mio. – 1 Mrd. Euro angeordnet.
Der Sachverhalt
In ihrem Beschluss kam die Kommission zu dem Ergebnis, dass Beihilfen, die der Deutschen Post zur Finanzierung der Pensionskosten ihrer Beamten gewährt wurden, nur im Bereich der sog. „preisregulierten Dienste“ mit dem Binnenmarkt vereinbar seien. Hierbei handelt es sich um solche Postdienste, die mit einer Universalverpflichtung verbunden sind und bei denen die Deutsche Post eine marktbeherrschende Stellung innehat (wie z.B. der Briefversand). Diese Dienste unterliegen daher der Preiskontrolle durch die Bundesnetzagentur. Die Entlastung von Sozialkosten in deregulierten, d.h. dem Wettbewerb unterliegenden Geschäftsbereichen stufte die Kommission dagegen als rechtswidrige Beihilfen ein und ordnete die Rückforderung an, wobei sie die genaue Summe des Rückforderungsbetrages nicht bezifferte. Bei der Umsetzung des Beschlusses kam es zum Streit, ob der Paketversand zwischen Unternehmen („B2B“-Paketdienst) im relevanten Zeitraum einen eigenen sachlich relevanten Markt bildete, der keiner Preisregulierung unterlag und der somit von der Rückforderungsverpflichtung erfasst war. Deutschland lehnte dies unter Hinweis auf eine bestehende Entscheidungspraxis der Bundesnetzagentur ab. Die Kommission hielt die nationalen Regulierungsentscheidungen dagegen für veraltet und verwies auf eine eigene, die Deutsche Post betreffende Kartellrechtsentscheidung, in der sie zwischen einem Markt für den B2B-Paketdienst und einem Markt für den Paketversand an Private („B2C“-Paketdienst) unterschied. Sie vertrat daher die Auffassung, dass Deutschland sich zur Erfüllung seiner Rückforderungsverpflichtung nicht auf die älteren, nationalen Verwaltungsentscheidungen hätte verlassen dürfen, sondern für das Rückforderungsverfahren eine neue, eigenständige Marktabgrenzung hätte vornehmen müssen. Nachdem der Bund dies ablehnte, erhob die Kommission Ende 2013 Vertragsverletzungsklage.
Das Urteil des EuGH
Der EuGH gab der Kommission nun Recht und bestätigt, dass Deutschland für die Feststellung, welche Postdienste von der Rückforderungsverpflichtung erfasst waren, eine eigenständige Analyse des Paketmarktes hätte vornehmen müssen. Den Einwand, dass die Kompetenz zur Marktabgrenzung und Marktregulierung im Postbereich bei der Bundesnetzagentur liege und ihre gültigen Entscheidungen nicht nachträglich durch die Bundesregierung ersetzt werden könnten, ließ der Gerichtshof dabei nicht gelten. Hierzu weist er darauf hin, dass Deutschland für die Beihilfenrückforderung keine rückwirkende Regulierungs-oder Kontrollentscheidung treffen sondern hätte feststellen müssen, ob die fraglichen Paketdienste im maßgeblichen Zeitraum der Preiskontrolle durch die Bundesnetzagentur (ex-post) hätten unterworfen werden können. Ob das nationale Recht eine Kompetenz der Bundesregierung oder einer nationalen Behörde für eine solche Prüfung vorsehe, sei für die Feststellung der Vertragsverletzung unerheblich, da sich mit dem Fehlen entsprechender nationaler Regelungen die Nichteinhaltung der unionsrechtlichen Verpflichtungen nicht rechtfertigen lasse.
Fazit
Ordnet die Kommission die Rückforderung rechtswidriger Beihilfen an, hat der Mitgliedstaat unter Anwendung seiner nationalen Verfahren für die tatsächliche und sofortige Umsetzung dieser Entscheidung zu sorgen. Dass der Mitgliedstaat zur Gewährleistung einer effektiven Rückforderung insofern verpflichtet sein kann, Regelungen des innerstaatlichen Rechts unionsrechtskonform auszulegen oder außer Anwendung zu lassen, ist aus der ständigen Rechtsprechung bekannt. Das Urteil „Deutsche Post“ ergänzt diese Judikatur nun um einen neuen Aspekt: Der Gerichtshof bestätigt, dass das Effektivitätsgebot den betroffenen Mitgliedstaat unter Umständen auch zur Neubewertung einer nationalen Verwaltungspraxis im Rahmen des Rückforderungsverfahrens verpflichten kann. Wie so häufig, lässt der EuGH einen mit der Frage zurück, wie eine solche Neubewertung innerstaatlich umgesetzt und begründet werden soll. Eine Antwort hierauf zu finden, ist Sache des Mitgliedstaat und daher aus Sicht des Unionsrechts völlig offen. Feststeht dagegen, dass das Urteil vom 06.05.2015 nicht die letzte Nachricht aus Luxemburg i.S. Deutscher Post sein wird. Die Nichtigkeitsklagen gegen den Rückforderungsbeschluss (Rs. T-143/12 und T-152/12) sind noch anhängig.
Diesen Beitrag schrieb Rechtsanwältin Julia Lipinsky während ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner