Längst machen sich die Auswirkungen der russischen Invasion der Ukraine auch im Wirtschaftsleben der Mitgliedstaaten der Europäischen Union deutlich bemerkbar und führen zu Diskussionen in Politik und Gesellschaft, wie stark betroffene Sektoren und Unternehmen unterstützt werden können.
Dies hat nun auch die Generaldirektion Wettbewerb der Europäischen Kommission auf den Plan gerufen. So erklärte die für Wettbewerb zuständige Exekutiv-Vizepräsidentin der Kommission Margrethe Vestager in einer Erklärung der Kommission vom 10.03.2022:
„Putins Krieg gegen die Ukraine wird sich jetzt und in den kommenden Monaten auch auf die Wirtschaft der EU auswirken. Wir sind daher bereit, die Flexibilität unseres Instrumentariums für staatliche Beihilfen voll auszuschöpfen, damit die Mitgliedstaaten stark betroffene Unternehmen und Sektoren unterstützen können. Gemeinsam mit den Mitgliedstaaten prüfen wir derzeit Optionen für erforderliche und verhältnismäßige Unterstützung. Gleichzeitig müssen faire Wettbewerbsbedingungen im europäischen Binnenmarkt gewahrt bleiben.“
Stellt die Kommission – wie auch schon zu Beginn der Corona-Krise – zwar klar, dass das EU-Beihilfenrecht auch in der wirtschaftlichen Bewältigung dieser Krise weiterhin zu beachten ist, hat sie den Mitgliedsstaaten am 10.03.2022 einen Lösungsansatz für eine Unterstützung betroffener Unternehmen im Einklang mit dem Beihilfenrecht zur Konsultation übermittelt.
Als geeignetes Werkzeug zur flexiblen und effektiven Abfederung der wirtschaftlichen Auswirkungen von Krisen scheint die Kommission immer mehr die Verabschiedung eines Befristeten Rahmens auserkoren zu haben. Denn wie schon als Reaktion auf die Auswirkungen der Finanzkrise 2008/2009 (damals „Vorübergehender Beihilferahmen“) und jüngst als Reaktion auf die Auswirkung der Corona-Krise schlägt die Kommission auch diesmal einen Befristeten Rahmen als erste Reaktion auf die Krise vor, konkret den Befristeten Krisenrahmen zur Stützung der Wirtschaft angesichts der russischen Invasion der Ukraine.
Ebenfalls vergleichbar mit dem Vorübergehenden Rahmen von 2009 und dem Befristeten Rahmen für staatliche Beihilfen zur Stützung der Wirtschaft angesichts des derzeitigen Ausbruchs von COVID-19 stützt sich auch der jetzige Entwurf der Kommission auf Art. 107 Abs. 3 lit. b AEUV. Demnach können Beihilfen zur Behebung einer beträchtlichen Störung im Wirtschaftsleben eines Mitgliedstaats als mit dem Binnenmarkt vereinbar angesehen werden.
Die Kommission bittet die Mitgliedsstaaten in der Konsultation insbesondere um Stellungnahme, welche Maßnahmen zur Bewältigung der aktuellen Krise als notwendig erachtet werden. Hierbei stellt die Kommission in ihrer Erklärung klar, dass Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV eine bereits bestehende Möglichkeit bietet, Schäden abzumildern, die unmittelbar durch den militärischen Angriff Russlands auf die Ukraine verursacht wurden, einschließlich direkter Auswirkungen von Wirtschaftssanktionen oder anderer restriktiver Maßnahmen als Reaktion auf die Invasion. Demnach könnten solche Schäden als Schäden durch sonstige außergewöhnliche Ereignisse im Sinne des Art. 107 Abs. 2 lit. b AEUV angesehen werden. Die im Befristeten Rahmen vorzusehenden Maßnahmen sollen diese Möglichkeit ergänzen.
Der den Mitgliedstaaten zur Konsultation übermittelte Vorschlag enthält zum einen die Möglichkeit der Gewährung von vorübergehenden Liquiditätshilfen (z.B. in der Form von Garantien und zinsvergünstigten Darlehen) für alle von der Krise betroffenen Unternehmen. Zum anderen sieht er die Möglichkeit vor, insbesondere für energieintensive Unternehmen Beihilfen in jeder Form für Mehrkosten aufgrund außergewöhnlich hoher Gas- und Strompreise zu gewähren.
Die Maßnahmen sollen auch Unternehmen in Schwierigkeiten offenstehen, wenn sie aufgrund der derzeitigen Umstände einen akuten Liquiditätsbedarf aufweisen können. Vom Anwendungsbereich ausgeschlossen wären wiederum mit Sanktionen belegte und von Russland kontrollierte Unternehmen.
Die Konsultation umfasst schließlich noch verschiedene allgemeine und spezifische Fragen, wie z.B. solche zu Beihilfeintensitäten und -obergrenzen, zur Aufnahme spezifischer Maßnahmen für bestimmte Sektoren oder zur Definition bestimmter Begrifflichkeiten (wie „energieintensive Verbraucher“).
Nach den Rückmeldungen der Mitgliedsstaaten möchte die Kommission das Feedback schnell analysieren und den Befristeten Rahmen verabschieden. Sie erklärt, auch in der Zwischenzeit bereits im Zusammenhang mit der derzeitigen Krise angemeldete Unterstützungsmaßnahmen vorrangig zu bearbeiten.
*Diesen Beitrag schrieb Christopher Hanke während seiner Tätigkeit als Rechtsanwalt bei MWP.