Seit vielen Jahren beschäftigt die Durchsetzung des EU-Beihilfenrechts neben der EU-Kommission und den Unionsgerichten auch nationale Gerichte im Rahmen von Wettbewerbsbeschwerden. Die Frage der Klagebefugnis ist dabei offensichtlich trotz grundlegender Entscheidungen des BVerwG und des BGH ein Thema, mit dem sich deutsche Gerichte nach wie vor schwertun.
Das belegt eine aktuelle Entscheidung des Verwaltungsgerichts Berlin (26 K 215.19 vom 27. November 2020), in dem es um die Klagebefugnis in einem zweistufigen Förderverfahren für den Breitbandausbau ging.
Der Fall lässt sich vereinfacht wie folgt zusammenfassen: Die Beklagte wurde vom zuständigen Bundesministerium mit der Durchführung des Förderprogramms im Rahmen einer von der Europäischen Kommission genehmigten Rahmenregelung zum Aufbau einer Next Generation Access (NGA)-Breitbandversorgung beliehen. Dementsprechend gewährte die Beklagte der beigeladenen Gebietskörperschaft (Landkreis) einen Zuschuss in Höhe von 6 Mio. Euro und erließ einen entsprechenden Förderbescheid. Nachdem der Landkreis ein Ausschreibungsverfahren durchgeführt und ein Telekommunikationsunternehmen (TK-Unternehmen) ausgewählt hatte, schloss er nach dem Erlass des Förderbescheids einen Kooperationsvertrag mit dem TK-Unternehmen und verpflichtete sich zur Weiterreichung des Zuschusses; der Zuschuss war nach den einschlägigen Förderbestimmungen vollständig weiterzugeben. Die Klägerin erhob Widerspruch, den die Beklagte mit der Begründung zurückwies, er sei unzulässig. Damit kommen wir zu dem Urteil des VG Berlin, in dem die Klägerin – eine (potentielle) Wettbewerberin des TK-Unternehmens – bei Gericht die Aufhebung des Bescheides des Beklagten beantragte. Das VG Berlin wies die Klage als unzulässig ab, da die Klägerin nicht in ihren Rechten verletzt sei.
Das Gericht stellte in seiner Begründung zunächst klar, dass etwaige anderweitige Möglichkeiten der Rechtsverfolgung das klägerische Rechtsschutzinteresse nicht in Frage stellen würden (Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris, Rn. 23). Das Gericht folgte zudem der bestehenden höchstrichterlichen Rechtsprechung, wonach Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV unmittelbar anwendbar sei und auch Wettbewerber schütze (Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris, Rn. 26). Gleichwohl verneinte es die Klagebefugnis, da kein Wettbewerbsverhältnis zwischen Landkreis und Klägerin bestünde, was es aber als entscheidend ansah (Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris, Rn. 27). Unerheblich war dagegen für das Gericht, dass zwischen der Klägerin mit dem ausgewählten TK-Unternehmen eine Wettbewerbssituation bestand, und es führte dazu aus, dass der Förderbescheid nicht dem TK-Unternehmen, sondern dem Landkreis eine Beihilfe gewähre (Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris, Rn. 27). Der dagegen gerichtete Einwand, dass der Landkreis nur eine zwischengeschaltete Stelle zum Durchreichen der Fördermittel sei, drang nicht durch (Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris, Rn. 28, 32). So konnte der Hinweis auf die jüngste Rechtsprechung des Gerichts der Europäischen Union etwa in Sachen Germanwings (T-716/17, Urteil vom 20.05.2020) das Gericht nicht überzeugen. Dort hatte das EU-Gericht ausgeführt, dass es sich bei einer staatlichen Beihilfe der autonomen Region Sardinien, welche über einen öffentlichen Flughafenbetreiber an eine Fluglinie ausgereicht wurden, um Mittel der Region handelte und nicht um solche des öffentlichen Unternehmens (was dann zu anderen Prüfungsmaßstäben hätte führen können), da dieses nur eine zwischengeschaltete Stelle ohne ausreichenden eigenen Spielraum und ohne eigenen Vorteil sei (T-716/17, Urteil vom 20. Mai 2020, Rn. 75 f.). Das Verwaltungsgericht hielt die Ausführungen für nicht maßgeblich, da die Frage der staatlichen Herkunft nicht entscheidend für die Begründung der Klagebefugnis sei (Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris, Rn. 32).
Insgesamt ist das Gericht offenbar der Auffassung, dass der Landkreis eine eigene Beihilfe nach Art. 107 Abs. 1 AEUV erhalten habe und Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV im Hinblick auf diese Beihilfe zwar die Wettbewerber der Gebietskörperschaft, aber nicht die des TK-Unternehmens schützen würden. Damit würde die Klägerin nicht in den Schutzbereich der Norm fallen und nach § 42 Abs. 2 VwGO nicht klage¬befugt sein. Dieses Unterfangen wirft naturgemäß Fragen aus Sicht des EU-Beihil¬fenrechts auf. Insbe¬sondere wird man sich die Frage stellen müssen, ob überhaupt eine Beihilfe zuguns¬ten der Gebietskör¬perschaft vorliegt:
Dem EU-Beihilfenrecht sind Konstellationen nun nicht fremd, in denen es zur Gewährung unter Zuhilfenahme eines Dritten kommt. Bereits die Mitteilung der Kommission über den Begriff der staatlichen Beihilfe aus dem Jahr 2016 gibt wertvolle Anhaltspunkte. Diese hält zunächst grundsätzlich fest, dass ein Vorteil auch anderen Unternehmen als denjenigen gewährt werden kann, denen unmittelbar staatliche Mittel zugeführt werden und führt weiter aus, dass Vehikel zur Vorteilsübertragung nicht Beihilfenempfänger sind, sofern der Vorteil nicht bei ihnen verbleibt (Rn. 115 und Fn. 179 dazu). Auch spricht die Bekanntmachung davon, dass mittelbar eine Begünstigung besteht, wenn die Maßnahme so konzipiert ist, dass sie ihre sekundären Wirkungen auf bestimmbare (nicht bestimmte!) Unternehmen oder Gruppen von Unternehmen lenkt (Rn. 116). Auf die Bestimmung des Empfängers kommt es dagegen nicht an, womit auch unerheblich ist, ob das TK-Unternehmen im Förderbescheid erwähnt wird oder nicht (anders offenbar VG Berlin, Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19-, juris, Rn. 29). All dieses deutet eher darauf hin, dass keine Beihilfe zugunsten der Gebietskörperschaft vorliegt und es damit nicht entscheidend ist, wer deren Wettbewerber sind.
Auch die Rechtsprechung zielt in diese Richtung. In Germanwings (T-716/17, Urteil vom 20.05.2020) hatte Sardinien ein Förderprogramm für den Tourismus aufgesetzt (um die Nebensaison anzukurbeln). Danach konnten die lokalen Flughäfen der Insel Fördermittel abrufen und sie ausgewählten Fluggesellschaften zur Verfügung stellen, damit diese ihre Flugverbindungen zur Insel bewerben, und zudem wurde die Beförderung subventioniert. Streitig war, ob es sich um Beihilfen zugunsten der Flughäfen und/oder um Beihilfen zugunsten der Fluggesellschaften handelte. Die Kommission gelangte im Sommer 2016 zu dem Schluss, dass keine Beihilfen zugunsten der Flughafenbetreiber vorlagen (Europäische Kommission, SA33983, Beschluss vom 29.07.2016, Rn. 394 ff.), und das Gericht der Europäischen Union stützte diese These. Es führte aus, dass die Flughafenbetreiber nur als zwischengeschaltete Stelle tätig gewesen seien und dass es daher nur auf das Verhältnis vom italienischem Staat als Beihilfengeber und den Fluglinien als Beihilfenempfänger ankomme (T-716/17, Urteil vom 20. Mai 2020, Rn. 75 f. und 140 – Germanwings). Überträgt man die Wertungen auf den obigen Fall, so läge wohl nur eine Beihilfe an das TK-Unternehmen vor, da die Gebietskörperschaft den Zuschuss gemäß den Vorgaben des Förderprogramms gänzlich weitergereicht hat. Dann aber wären die Wettbewerber des TK-Unternehmens bei einer vorzeitigen Gewährung dieser Beihilfe geschützt.
Doch nicht nur EU-rechtlich wirft die Entscheidung Fragen auf. So lehnte das Verwaltungsgericht einen Zusammenhang zwischen Förderbescheid und möglicher Rechtsverletzung aus Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV ab, da der Bescheid nicht an das TK-Unternehmen, sondern an die Gebietskörperschaft gerichtet war (VG Berlin, Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19, juris, Rn. 33). Obgleich die Gewährung der Beihilfe an ein TK-Unternehmen durch eine Gebietskörperschaft regelmäßig die Folge des Förderbescheids sein dürfte, konnte das Gericht keinen ausreichenden Kausalzusammenhang erkennen. Mit anderen Worten sei die Rechtsverletzung nicht „durch“ den Verwaltungsakt erfolgt (VG Berlin, Urteil vom 27. November 2020 – 26 K 215.19 -, juris Rn. 27, 29), wie es § 42 Abs. 2 VwGO vorsieht.
Wir werden den Ausgang des Verfahrens beobachten!
*Groundhog day ist der Originaltitel einer US-amerikanischen Filmkomödie aus den 90’er Jahren, die in Deutschland unter dem Titel Und täglich grüßt das Murmeltier lief.
Diesen Beitrag verfasste Rechtsanwältin Gabriele Quardt in ihrer Zeit bei Müller-Wrede & Partner