Die Europäische Kommission greife das von den steuerberatenden Zünften (und den Steuerpflichtigen) dringend benötigte Instrument der verbindlichen Auskunft an, so ein Beitrag auf der vom Berliner Steuergespräche e.V. ausgerichteten Veranstaltung. Beklagt wurde die Rechtsunsicherheit, die durch die Möglichkeit des Aufgreifens eines Falls durch die Kommission für einen Zeitraum von 10 Jahren bestehe. Das Aufgreifen von Fällen durch die Kommission geschehe willkürlich. An die Politik wurde appelliert, die Kommission in ihre Schranken zu weisen. Außerdem möge der Europäische Gerichtshof seine Rechtsprechung zum Vertrauensschutz überdenken. In Beihilfesachen ist dieser ausschließlich auf Auskünfte und Handlungen der Institutionen der Union ausgerichtet. Aus der Sicht des Steuerpflichtigen könne es jedoch nicht darauf ankommen, welche Einrichtung der öffentlichen Verwaltung den Vertrauenstatbestand schaffe.
Eine verbindliche Auskunft gemäß § 89 Abs. 2 AO ist nicht bindend, wenn sie zuungunsten des Steuerpflichtigen dem geltenden Recht widerspricht (§ 2 Abs. 1 S. 2 StAuskV). Die Verbindlichkeit der Auskunft ist aber nicht stärker ausgeprägt, wenn sie zugunsten des Steuerpflichtigen vom allgemeinen Steuersystem abweicht und diesem damit einen beihilferechtlich relevanten, selektiven Vorteil gegenüber anderen Unternehmen verschafft. Der Gesetzgeber hat möglichen Verstößen gegen das EU-Beihilfenrecht durch den Vorbehalt in § 1 Abs. 1 S. 2 AO Rechnung getragen, so dass die verbindliche gedachte Auskunft in diesen Fällen keine Bindungswirkung erzeugt.
Eine interessante Idee zur Rettung der verbindlichen Auskunft kam aus dem Auditorium: die verbindliche Auskunft schaffe Rechtssicherheit und Vorhersehbarkeit hinsichtlich der Anwendung der allgemeinen Steuervorschriften und sei daher im Sinne der 3. Stufe der beihilferechtlichen Selektivitätsanalyse gerechtfertigt. Die Nutzung des materiell-rechtlichen Prüfungsschritts, in dem die Rechtfertigung einer Abweichung vom steuerlichen Bezugssystem durch die Natur oder den inneren Aufbau des Bezugssystems untersucht wird, für eine mehr verfahrensrechtliche Frage erscheint weitere Überlegungen wert zu sein.
In der Diskussion wurde allerdings klargestellt, dass in Deutschland – soweit ersichtlich – mangels sog. agressive rulings nicht die verbindliche Auskunft oder die tatsächliche Verständigung als Instrument das Problem darstelle, sondern prima facie selektiv wirkende Regelungen des Steuerrechts (z.B. §§ 6 a GrEStG, 50 i EStG, 8 c KStG, Sanierungserlass des BMF) zu denen die verbindlichen Auskünfte ergehen. Nicht weiter wurde auf die eher beiläufig aufgeworfene Frage eingegangen, warum Deutschland die betreffenden Regelungen der Kommission nicht notifiziert und damit die geforderte Rechtssicherheit schafft.
Der Appell an die Politik, die Kommission in ihre Schranken zu verweisen, wird wohl wirkungslos verhallen. Die Kommission handelt (von geringfügigen Exzessen einmal abgesehen) in ihren Schranken. Mit der Entlastung eines Unternehmens von einer Steuerlast, die es eigentlich zu tragen hätte, wird diesem Unternehmen ein selektiver Vorteil gewährt. Diese selektive Vorteilsgewährung unterliegt der Beihilfenkontrolle der Kommission. Die Kommission verweist in ihrer Mittteilung zum Begriff der Beihilfe zu Recht darauf, dass der Gerichtshof bereits 1974 in der Rs. 173/73 (Italien/Kommission) klargestellt habe, dass auch Maßnahmen der Mitgliedstaaten im Rahmen ihrer Steuer- oder Sozialversicherungssysteme der Beihilfenkontrolle unterliegen. Das etwas willkürlich anmutende Aufgreifen von Fällen durch die Kommission ist sicherlich gewissen Modeerscheinungen zu verdanken, im Wesentlichen aber der geringen Personalausstattung bei der Beihilfenkontrolle geschuldet.
Auch wird der Gerichtshof den Vertrauensschutz nicht auf eine beihilferechtswidrige Steuergesetzgebung und entsprechende Handlungen der nationalen Steuerverwaltungen ausdehnen können. Zurückgefordert werden nur Beihilfen, die mit dem Binnenmarkt nicht vereinbar sind aber eingeführt wurden, ohne eine Prüfung der Kommission abzuwarten oder überhaupt einzuleiten. Das beihilferechtliche Durchführungsverbot des Art. 108 Abs. 3 S. 3 AEUV gilt unmittelbar in den Mitgliedstaaten und ist von allen staatlichen Institutionen zu beachten. Die (potentielle) Rechtswidrigkeit des Handelns der mitgliedstaatlich befassten Institutionen ist der Beihilfenkontrolle daher immanent. Die „Täter“ können beim Steuerpflichtigen kein Vertrauen schaffen. Der Steuerpflichtige kann sich nur auf Auskünfte der Unionsorgane verlassen (oder muss sich mit den Ausführungen seiner Berater begnügen).
Diese für den Steuerpflichtigen unerquickliche Situation wird nicht dadurch verbessert, dass die Kommission auf beihilferechtliche Fragen des Steuerpflichtigen keine „verbindlichen Auskünfte“ erteilt. Die Unionsorgane ziehen sich darauf zurück, dass Beihilfeverfahren zwischen Kommission und Mitgliedstaat ablaufen und andere Beteiligte bestenfalls als Informationsquelle dienen. Die Tatsache aber, dass die Kommission – wie das 61. Berliner Steuergespräch eindrucksvoll zeigte – und nicht etwa der Steuergesetzgeber oder die Steuerverwaltung für die Rechtsunsicherheit gescholten wird, könnte die Kommission zum Anlass nehmen, darüber nachzudenken, das Instrument des „Comfort Letters“ weiter auszubauen.
Diesen Beitrag schrieb Rechtsanwalt Christoph von Donat während seiner Zeit bei Müller-Wrede & Partner
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