Wer hat‘s erfunden – Beihilfekontrolle nun bald auch in der Schweiz?

Derzeit verhandeln die Schweiz und die Europäische Union über weitere Marktzugangsabkommen. Neben der Einführung eines Streitschlichtungsmechanismus geht es auch um die Frage nach dem Umgang mit staatlichen Beihilfen. Zwar besteht Einigkeit darüber, dass grundsätzlich Regelungen für staatliche Beihilfen erforderlich sind. Unklar ist jedoch, in welcher Form und wie weit eine mögliche Beihilfekontrolle gehen kann.

Die Schweiz und die EU: Seit langem bilateral gut unterwegs

Im Jahre 1992 lehnte die Schweiz einen Beitritt zum EWR ab. Damals schlossen die Mitgliedstaaten der EU und die EFTA Staaten – mit Ausnahme der Schweiz – das Abkommen über den Europäischen Wirtschaftsraum. Im Ergebnis findet damit das „binnenmarktrelevante EU-Recht“ sowie das Wettbewerbs- und Beihilfenrecht in Island, Liechtenstein und Norwegen Anwendung. Die Überwachung der Einhaltung dieser europarechtlichen Vorgaben übernehmen für die EWR-EFTA-Staaten – anders als für die Mitgliedstaaten der EU – nicht die Kommission und der EuGH, sondern die EFTA Surveillance Authority und der EFTA Gerichtshof (sog. Zwei-Säulen-Struktur).

Als Folge der Ablehnung des EWR-Beitritts durch die Schweiz entstand bereits damals ein eigenes bilaterales Vertragswerk zwischen der Schweiz und der EU. Das Interesse der Schweiz bei den bilateralen Abkommen ist und war dabei stets eindeutig: Ein möglichst diskriminierungsfreier Zugang zum europäischen Binnenmarkt, ohne sich dem gesamten Regelwerk der EU unterwerfen zu müssen.

Eine Vereinbarung über die ersten sieben Abkommen, die sog. Bilateralen I schlossen die EU und die Schweiz im Jahre 1998. Die Bilateralen I umfassen Regelungen für die Bereiche Personenfreizügigkeit, öffentliches Beschaffungswesen, Landwirtschaft, Landverkehr, Luftverkehr, Forschung sowie technische Handelshemmnisse. Festgelegt wurde dabei auch, dass es sich bei diesen Abkommen um ein Gesamtpaket handelt: kündigt die Schweiz eines der Abkommen, werden automatisch auch alle anderen Abkommen aufgehoben. Weitere neun Abkommen u.a. zu den Themen Schengen/Dublin, Betrugsbekämpfung und Zinsbesteuerung wurden 2005 zu einem zweiten Paket geschnürt – den Bilateralen II. Heute gibt es über 120 bilaterale Verträge, die die Beziehung zwischen der Schweiz und der EU regeln.

Beihilfenrecht im Fokus der Gespräche

In der aktuellen Debatte zwischen der Schweiz und der EU über neue bilaterale Abkommen und die Vereinbarung eines Rahmenabkommens, das Anwendung auf ausgewählte bereits geschlossene und künftige Marktzugangsabkommen finden soll, rückt auch die Kontrolle staatlicher Beihilfen nach und nach in den Fokus. Gemäß Art. 107 Abs. 1 AEUV sind staatliche Beihilfen verboten, soweit sie einzelne Unternehmen oder Produktionszweige begünstigen und dadurch den Wettbewerb verfälschen oder zu verfälschen drohen, sowie den Handel zwischen den Mitgliedstaaten beeinträchtigen. Staatliche Beihilfen können dabei in unterschiedlichen Formen auftreten. So fallen neben klassischen Subventionen z.B. auch Steuererleichterungen oder staatliche Beteiligungen an Unternehmen, sowie der Verkauf von staatlichen Grundstücken unter Marktpreis in den Anwendungsbereich der Beihilfenkontrolle. Gerechtfertigt sind staatliche Beihilfen jedoch, soweit sie unter einen Freistellungstatbestand (z.B. unter die AGVO oder den DawI-Freistellungsbeschluss) fallen oder von der Kommission genehmigt werden.

Die EU selbst würde die Beihilfekontrolle gerne bereits als generell-abstrakte Regelung in das institutionelle Rahmenabkommen aufnehmen. Dadurch würde eine Kontrolle in allen Bereichen ermöglicht, in denen die Schweiz einen vertraglich geregelten Zugang zum europäischen Binnenmarkt hat oder zukünftig erhalten wird. Die Kontrolle über die staatlichen Beihilfen läge damit bei der Kommission, Rechtsschutz wäre über die Gerichte in Luxemburg gewährleistet. Dahinter steht für die EU das Ziel einer insgesamt homogenen Auslegung und einheitlichen Anwendung der Regeln des EU- Binnenmarktes.

Die Schweiz hingegen möchte eine etwaige Kontrolle der Beihilfen nur auf Einzelfälle  beschränken, diese direkt im jeweiligen Abkommen regeln und auf den dort geregelten Themenbereich begrenzen. Die Zuständigkeit für die Beihilfenkontrolle läge dann nach Vorstellungen der Schweiz bei einer unabhängigen Schweizer Behörde.

Die Forderungen beider Seiten sind nachvollziehbar und insgesamt nicht neu. Aus Sicht der EU verständlich: Zugang zum gemeinsamen Binnenmarkt bitte nur zu unseren Spielregeln, zu denen auch die Beachtung des Beihilfenrechts gehört. Aus Sicht der Schweiz: wasch mich – aber mach mich nicht nass – das bedeutet, gern Zugang zum Binnenmarkt, Regelungen nur in bestimmten Bereichen und wir kontrollieren uns selbst. So ist es bisher auch im bilateralen Luftverkehrsabkommen aus dem Jahr 1999 zwischen der EU und der Schweiz geregelt. Dieses übernimmt das in Art. 107 AEUV verankerte Beihilfeverbot und dessen Ausnahmen. Für die Beihilfenkontrolle zuständig ist dabei die Wettbewerbskommission (WeKo) in der Schweiz. Nationale – mit dem EU-Beihilfenrecht vergleichbare – Vorschriften finden sich im Schweizer Recht nicht. Das Subventionsgesetz, mit einer Legaldefinition des  Subventionsbegriffs in Art. 3 Abs. 1 SUG, formuliert nur allgemeine Bestimmungen über die einzelnen Finanzhilfe- und Abgeltungsverhältnisse im Hinblick auf Bundesmittel. Darüber hinaus ist die Gewährung staatlicher Unterstützungen durch zusätzliche Erlasse geregelt.

Insbesondere aus Sicht der Kantone beobachtet man die Verhandlungen daher mit großer Skepsis. Die Kantone sind regelmäßig an ihren Regionalbanken und Elektrizitätswerken beteiligt. Folglich müssten sich zukünftige Beschlüsse im Rahmen dieser Beteiligungen am Maßstab eines privaten Investors messen lassen, um beihilfefrei zu sein. Der Bestand der Kantonalbanken ist dabei außerdem mit staatlichen Garantien abgesichert. Sparkassen und Landesbanken in Deutschland und Österreich durften bereits einschlägige Erfahrungen im Zusammenhang mit der beihilferechtlichen Bewertung von Anstaltslast und Gewährträgerhaftung machen. Darauf würden die Kantonalbanken sicherlich gerne verzichten.

Beihifenkontrolle als „Kulturschock“

Zurzeit diskutiert der Schweizer Bundesrat über das weitere Vorgehen. Von den vier Bundesratsparteien will die nationalkonservative, rechtspopulistische und wirtschaftsliberale Schweizerische Volkspartei (SVP) konsequent jegliche institutionelle Annäherung der Schweiz an die EU verhindern. Die Sozialdemokratische Partei der Schweiz (SP) steht seit jeher hinter einem Rahmenabkommen mit der EU. Die FDP und die CVP ließen lange keine klare Position erkennen, nun haben sich beide Parteien unter Einschränkungen ebenfalls für ein Rahmenabkommen ausgesprochen. Es sieht also danach aus, als würde die Regelung eines Rahmenabkommens jedenfalls durch den Bundesrat bestätigt. Der seit November 2017 im Amt befindliche Außenminister Ignazio Cassis strebt einen Durchbruch hinsichtlich des Abschlusses noch in 2018 an.

Ob und wie das Beihilfenrecht damit aber auch Bestandteil des Rahmenabkommens werden wird, ist bislang nicht absehbar. Rechtsanwaltskollege Simon Hirsbrunner befürchtet bei der uneingeschränkten Übernahme des EU-Beihilfenrechts einen „Kulturschock“ für sein Land. Um diesen zu vermeiden, wird es vermutlich eine Kompromisslösung geben, mit der beide Seiten leben könnten. Vorstellbar wäre ein kursorischer Hinweis auf das Beihilfenrecht im Rahmenabkommen, verbunden mit konkreteren Ausführungen in den jeweiligen bilateralen Abkommen, z.B. in den derzeit verhandelten Stromabkommen und Finanzdienstleistungsabkommen. Es bleibt abzuwarten, wer dann am Ende die Kontrolle über das Schweizer Beihilfenrecht-light bekommt.

*Diesen Beitrag schrieben Gabriele Quardt und Katharina Högy.

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