Unmöglichkeit der Beihilfenrückforderung bleibt fast immer unmöglich!

Stellt die Kommission die Unvereinbarkeit einer Beihilfe mit dem Binnenmarkt fest, hat sie grundsätzlich den betroffenen Mitgliedstaat zur Rückforderung dieser Beihilfe zu verpflichten. Dies folgt nicht nur aus der ständigen Rechtsprechung des EuGH sondern auch aus Art. 16 Abs. 1 der Beihilfenverfahrensverordnung (VO 2015/1589). Die Beihilfenrückforderung ist die logische und normale Folge der Feststellung der Rechtswidrigkeit von Beihilfen und zielt auf die Beseitigung der durch die rechtswidrige Beihilfe hervorgerufenen Wettbewerbsverzerrung ab. Von der Anordnung bzw. der Durchsetzung der Rückforderung kann die Kommission daher nur in Ausnahmefällen und nur unter sehr engen Voraussetzungen absehen. Dies wird einmal mehr durch das am 6. November 2018 ergangene Urteil der großen Kammer des EuGH in den verbundenen Rechtssachen „Scuola Elementare Maria Montessori Srl“ (C-622/16 P, C-623/16 P) und „Pietro Feracci“ (C-624/16 P) verdeutlicht. Der Gerichtshof bestätigt zwar, dass die Kommission im Fall einer bereits im förmlichen Prüfverfahren festzustellenden absoluten Unmöglichkeit der Beihilfenrückforderung bereits auf deren Anordnung verzichten muss. Die Hürden für den Beleg eines solchen Ausnahmefalls sind allerdings hoch – und zwar sowohl für den betroffenen Mitgliedstaat als auch für die Kommission.

Der Begriff der „absoluten Unmöglichkeit“ ist vom Gerichtshof im Rahmen der Überwachung der Durchführung der Beschlüsse der Kommission im Bereich staatlicher Beihilfen entwickelt worden. Nach ständiger Rechtsprechung kann sich ein Mitgliedstaat gegen eine von der Kommission wegen der Nichterfüllung einer Rückforderungsanordnung erhobene Vertragsverletzungsklage (nach Art. 108 Abs. 2 AEUV) nur mit dem Einwand verteidigen, dass es absolut unmöglich sei, die Rückforderung der Beihilfe ordnungsgemäß durchzuführen. Da es sich hierbei um eine Ausnahme von der Pflicht zur effektiven Beihilfenrückforderung handelt, legt der Gerichtshof allerdings hohe Anforderungen an ein Durchgreifen des Einwandes. Bislang wurde er nur dann als valide angesehen, wenn der betroffene Mitgliedstaat belegen konnte, dass der Beihilfenempfänger liquidiert wurde, ohne dass verwertbare Aktiva verblieben. Die bloße Behauptung der Einstellung der Tätigkeit des beihilfebegünstigten Unternehmens genügt ebenso wenig, wie der Verweis auf rechtliche, politische oder praktische Schwierigkeiten bei der Umsetzung der Rückforderung. Der Mitgliedstaat ist hier verpflichtet, zunächst tatsächliche Schritte zur Beihilfenrückforderung zu unternehmen und mit der Kommission loyal zusammenzuarbeiten, um die Schwierigkeiten zu überwinden bzw. Wege zur zumindest teilweisen Rückforderung zu finden.

Die Besonderheit des Falles, der Ausgangspunkt des Urteils des Gerichtshofs vom 06.12.2018 ist, lag darin, dass sich die Italienische Republik nicht erst nach Erlass eines Negativ- und Rückforderungsbeschlusses auf die Unmöglichkeit der Rückforderung berief, sondern bereits im Stadium des förmlichen Prüfverfahrens. Dem Prüfverfahren lagen Beschwerden u.a. der späteren Kläger zugrunde. Diese wandten sich als private Lehranstalt (Scuola Elementare Maria Montessori) und als Eigentümer einer kleinen Frühstückspension (Herr Ferracci) dagegen, dass Italien mit der Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer, die sog. „nichtgewerblichen“ Einrichtungen (etwa kirchlichen oder religiösen aber auch staatlichen Universitäten und Sportvereinen) gewährt wurde, wenn diese in der betreffenden Immobilie bestimmte Tätigkeiten – wie beispielsweise Lehrtätigkeiten oder Beherbergung – ausübten, eine rechtswidrige Beihilfe gewähre und sie dadurch im Wettbewerb benachteiligt würden. Des Weiteren wandten sich die Beschwerdeführer gegen eine für die fraglichen Einrichtungen geltende Ermäßigung der Körperschaftssteuer. Letztere stufte die Kommission in ihrem Beschluss vom 19. Dezember 2012 zwar nicht als staatliche Beihilfe ein. Hinsichtlich der Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer stellte die Kommission jedoch fest, dass es sich um eine mit dem Binnenmarkt unvereinbare und unter Verstoß gegen Art. 108 Abs. 3 AEUV rechtswidrig eingeführte Beihilfe handele. Insbesondere kam sie zu dem Ergebnis, dass von der Befreiung auch wirtschaftliche Tätigkeiten der nichtgewerblichen Einrichtungen und mithin Unternehmen i.S.d. Art. 107 Abs. 1 AEUV profitierten. Trotz dieser Feststellung sah die Kommission allerdings von der Anordnung einer Rückforderung der Beihilfe ab, da sie dem Einwand der italienischen Behörden folgte, wonach es für diese absolut unmöglich sei, einer entsprechenden Verpflichtung nachzukommen. Es sei nämlich nicht möglich, aus den Kataster- und Steuerdatenbanken die für die Rückforderung erforderlichen Informationen zu gewinnen, insbesondere um die Beihilfenempfänger und die Höhe der rechtswidrigen Beihilfe zu ermitteln.    

Ob die Kommission bei der Beurteilung der absoluten Unmöglichkeit der Beihilfenrückforderung auch einbezog, dass einer der Hauptleidtragenden der Rückforderung Einrichtungen der katholischen Kirche gewesen wären – wie teilweise in der Presse gemutmaßt – sei dahingestellt. Die Scuola Elementare Maria Montessori und Herr Ferracci gaben sich jedenfalls mit dem Ergebnis nicht zufrieden. Das Gericht der EU (EuG) wies die von ihnen eingelegten Nichtigkeitsklagen in erster Instanz allerdings zurück (Urteil vom 15. September 2016, T-220/13). Über die daraufhin von der Montessori-Schule und der Kommission eingelegten Rechtsmittel hatte nunmehr der EuGH zu entscheiden. Die Kommission stützte ihre Rechtsmittel dabei auf die mutmaßliche Unzulässigkeit der Klagen der Beschwerdeführer (zu den hierzu vom Gerichtshof getroffenen Feststellungen wird in einem der nächsten Blogbeiträge auszuführen sein).

Die Scuola Elementare Maria Montessori wandte sich im Wesentlichen gegen das Absehen von der Beihilfenrückforderung wegen absoluter Unmöglichkeit. Dazu trug sie erstens vor, dass die Kommission die absolute Unmöglichkeit nicht bereits im förmlichen Prüfverfahren hätte feststellen dürfen, da es sich hierbei nicht um einen allgemeinen Rechtsgrundsatz handele, der die Kommission nach Art. 14 Abs. 1 Satz 2 Beihilfenverfahrensverordnung a.F. (VO 659/1999, nunmehr Art. 16 Abs. 1 Satz 2 VO 2015/1589) zum Absehen von der Rückforderungsanordnung ermächtige. Zweitens sei der Begriff der absoluten Unmöglichkeit fehlerhaft ausgelegt worden. Dies zum einen dadurch, dass die Kommission die absolute Unmöglichkeit nicht allein aus dem von den italienischen Behörden zur Begründung der absoluten Unmöglichkeit vorgebrachten tatsächliche Sachverhalt hätte ableiten dürfen, da es sich hierbei um rein interne Schwierigkeiten gehandelt habe. Zum anderen habe das Gericht verkannt, dass es nicht Aufgabe der Montessori-Schule gewesen sei, nachzuweisen, dass es auch andere Wege zur Umsetzung der Rückforderung gegeben habe, sondern es Aufgabe Italiens gewesen wäre mit der Kommission in loyaler Zusammenarbeit alternative Methoden für eine wenigstens teilweise Rückforderung aufzuzeigen.

Der EuGH hat dem Rechtsmittelantrag der Montessori-Schule im Ergebnis stattgegeben und den Kommissionsbeschluss insoweit für nichtig erklärt, als die Kommission auf die Anordnung der Rückforderung der durch die Befreiung von der kommunalen Immobiliensteuer gewährten Beihilfen verzichtet hat. Zum ersten Einwand der Montessori-Schule stellt der Gerichtshof allerdings fest, dass es sich bei dem Grundsatz „impossibilium nulla obligatio est“, d.h. dem Grundsatz, dass niemand zu etwas Unmöglichem verpflichtet ist, um einen allgemeinen Grundsatz des Unionsrechts handele. Die Kommission sei insoweit nicht nur ermächtigt, die absolute Unmöglichkeit der Rückforderung bereits im förmlichen Prüfverfahren zu berücksichtigen. Sie muss einen entsprechenden Einwand des Mitgliedstaates sogar prüfen, da sie keine Rückforderungsanordnung erlassen darf, die schon bei Erlass objektiv und absolut unmöglich wäre. Die Kommission (und das diese bestätigende EuG) habe vorliegend allerdings einen Rechtsfehler begangen, weil sie sich damit begnügt habe, die absolute Unmöglichkeit daraus herzuleiten, dass aus den italienischen Kataster- und Steuerdatenbanken die für eine Rückforderung notwendigen Informationen nicht gewonnen werden könnten. Hierbei handele es sich – wie die Montessori-Schule und der Generalanwalt zutreffend ausgeführt haben – um „interne Schwierigkeiten“, die dem eigenen Vorgehen oder den Unterlassungen der nationalen Behörden zuzuschreiben seien. Derartige interne Schwierigkeiten genügten nach der ständigen Rechtsprechung des Gerichtshofs gerade nicht, um auf eine absolute Unmöglichkeit zu schließen.

Anders als der Generalanwalt, der es mit der vorstehenden Feststellung bewenden ließ, ergänzt der Gerichtshof, aus der bestehenden Rechtsprechung gehe hervor, dass die Kommission eine Rückforderung nur dann als objektiv und absolut unmöglich umsetzbar ansehen könne, wenn sie nach eingehender Prüfung feststelle, dass zwei kumulative Voraussetzungen erfüllt seien: Erstens müssten die vom betroffenen Mitgliedstaat geltend gemachten Schwierigkeiten tatsächlich vorliegen und zweitens müssten andere Wege zu einer – auch nur teilweisen – Rückforderung fehlen. Da die Kommission es vorliegend aber gerade unterlassen habe zu prüfen, ob die zweite der Voraussetzungen erfüllt war, sei dem Rechtsmittel stattzugeben. Anders als es das EuG angenommen habe, sei es nicht an der Montessori-Schule gewesen, zu belegen, dass andere Wege der Beihilfenrückforderung existierten. Vielmehr liege die Beweislast für das Vorliegen der Voraussetzungen der absoluten Unmöglichkeit bei der Kommission, da diese mit ihrem Beschluss vom Grundsatz der Beihilfenrückforderung abgewichen sei.

Fazit

Was bleibt von diesem Urteil? Zunächst, dass der EuGH erstmalig klargestellt hat, dass der Grundsatz der absoluten Unmöglichkeit der Beihilfenrückforderung ein allgemeiner Grundsatz des Unionsrechts ist und von der Kommission bereits im Rahmen des förmlichen Prüfverfahrens berücksichtigt werden kann und muss. Des Weiteren hat der Gerichtshof erneut seine strenge Linie bestätigt, wonach die Annahme einer absoluten Unmöglichkeit der absolute Ausnahmefall ist und insbesondere Umstände, die dem Bereich der internen Schwierigkeiten des Mitgliedstaates zuzurechnen sind, nicht ausreichen, um von einer Rückforderungsverpflichtung abzusehen. Den Begriff der internen Schwierigkeiten versteht der Gerichtshof – wie das jetzige Urteil einmal mehr beweist – relativ weit. Schwierigkeiten die Beihilfenempfänger oder den zurückzufordernden Betrag zu  gehören ebenso dazu, wie die Tatsache, dass im innerstaatlichen Recht eine ausreichende Rechtsgrundlage für die effektive Durchsetzung der Rückforderung fehlt. Auch die Komplexität des Rückforderungsvorgangs oder die große Zahl der von der Rückforderung betroffenen Unternehmen erlauben es nicht, die Rückforderung als technisch unmöglich anzusehen. Der Gerichtshof betont hier, dass es Aufgabe der Mitgliedstaaten und der Kommission ist, loyal zusammenzuwirken, um wenigstens eine teilweise Rückforderung zu erreichen. Mit dem Urteil vom 6. November 2018 stellt der Gerichtshof zudem klar, welche Voraussetzungen zu erfüllen sind, damit die Kommission eine absolute Unmöglichkeit anerkennen kann und hebt im Ergebnis hervor, dass hier sowohl die Kommission die Kriterien eingehend prüfen als auch der betroffene Mitgliedstaat hinreichende Nachweise dafür erbringen muss, dass es keine Wege gibt, eine (Teil-)Rückforderung durchzusetzen. Für den konkreten Fall bleibt daher nun abzuwarten, ob die italienischen Behörden den entsprechenden Beleg werden führen können.

*Diesen Beitrag schrieben Julia Lipinsky und Karl Reinermann.

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